Der "andere Maidan" in Kiew
12. Dezember 2013"Unsere Stimme will niemand hören", sagt Natalia, eine Frau Ende 40. "Die westlichen Medien ignorieren uns." Auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton bekommt ihr Fett weg: "Sie soll sich ein Hörgerät und eine Brille besorgen, damit sie die Menschen hier hört und sieht." Ashton besuchte vor wenigen Tagen in Kiew nur den "Maidan Nesaleschnosti" (Unabhängigkeitsplatz), auf dem Gegner des Präsidenten Viktor Janukowitsch seit Wochen protestieren - zu seinen Anhängern kam Ashton nicht.
Natalia ist eine von - geschätzt - 3000 bis 5000 Menschen, die im Marijinsky-Park neben dem ukrainischen Parlament für Janukowitsch und die regierende Partei der Regionen bereits tagelang demonstrieren. Sie ist Hausfrau und kommt aus Kiew. Doch die meisten Menschen hier sind aus den östlichen und südlichen Regionen der Ukraine angereist. Dort hat Janukowitsch seine Hochburgen.
Nach Berichten ukrainischer Medien werden die Demonstranten angeblich bezahlt. Doch die Menschen, mit denen die Deutsche Welle gesprochen hat, bestreiten das. "Ich würde nie für Geld demonstrieren", sagt Natalia. Wenn man weiter danach fragt, bekommt man Aggressivität zu spüren. Es ist denkbar, dass die Teilnehmer westlichen Medien anders begegnen, als einheimischen.
Eingezäunte Demonstranten
Eigentlich braucht man kein Hörgerät - wie Natalia es empfiehlt, um die Demonstranten wahrzunehmen. Sogar der Präsident selbst, dessen Amtssitz wenige hundert Meter entfernt ist, könnte die Reden und die laute Musik hören.
Der Gegen-Maidan befindet sich im abgesperrten Regierungsviertel auf einem Hügel oberhalb der Stadtmitte. Doch seine Lage ist für die Demonstranten ein Problem. Denn auch an normalen Tagen gibt es hier nur wenige Passanten. Anders als ihre politischen Gegner demonstrieren die Janukowitsch-Anhänger quasi unter sich. Nur die Polizisten, die sie und das Regierungsviertel bewachen, hören ihnen vielleicht zu.
Und: Die Kundgebung für Janukowitsch findet hinter einem mehr als zwei Meter hohen Zaun statt. Auch die restlichen Demonstranten sind von brusthohen Metallplatten umgeben - obwohl sie keinen Angriff fürchten müssen. Im Gegenteil. Mehrere Busse mit Sondereinheiten der Polizei versperren die umliegenden Straßen. Aktivisten der Opposition kommen nicht hierher.
Ja zu Europa, aber…
"Ja zu Europa, nein zu Unruhen." Das ist die präsidententreue Botschaft dieser Demonstranten. Sie steht auf großen Plakaten und wird immer wieder von Rednern auf der Bühne wiederholt. Die Proteste auf dem Unabhängigkeitsplatz seien ein Putsch, inspiriert und finanziert vom Westen.
"Wir sind hierher gekommen, um einen Staatsstreich durch die Opposition zu verhindern", sagt Ljudmila, eine ältere Frau aus Kiew. Auch sie sei "für Europa, aber nicht unter diesen Bedingungen". Ähnlich begründete Präsident Janukowitsch seine Entscheidung, das fertig ausgehandelte Assoziierungsabkommen mit der EU auf Eis zu legen. "Wir sind noch nicht reif für eine EU-Annäherung, unsere Wirtschaft ist noch zu schwach", sagt ein junger Mann aus Poltawa im Herzen der Ukraine. Dass dies dem Präsidenten erst jetzt aufgefallen ist, obwohl das Abkommen mit der Europäischen Union seit zwei Jahren unterschriftsreif ist, stört die Demonstranten nicht.
Manche von ihnen haben eigenartige, falsche Vorstellungen von der EU. "In Europa müssen Hennen einen Meter Platz für sich haben, das können sich unsere Landwirte nicht leisten", erzählt Natalia. "Um Milch zu verkaufen, muss man in Europa ein Massagegerät kaufen und Kühe damit massieren", sagt sie in vollem Ernst.
Janukowitsch-Anhänger wider Willen
Nicht alle, die in diesen Tagen im Marijinski-Park demonstrieren, sehen die Protestler auf dem Unabhängigkeitsplatz im Zentrum der Hauptstadt als Gegner oder gar Feinde. Nicht alle stehen bedingungslos hinter Janukowitsch. "Auf dem Maidan sind normale Leute, die auch ein Recht haben zu demonstrieren", sagt ein Mann. "Janukowitsch hat einen Fehler gemacht, als er versuchte, den Maidan räumen zu lassen", meint eine Frau.
Man trifft auch Menschen, die gegen den Präsidenten sind. "Ich finde die Janukowitsch-Politik schlecht", sagt ein Mann Ende 50. Er möchte anonym bleiben und auch nicht angeben, aus welcher Stadt er kommt. "Wenn ich das sage, verliere ich sofort meinen Job", sagt er mit einem Lächeln im Gesicht. Nur so viel verrät er: Er arbeite in einem Schwerindustriebetrieb im Süden der Ukraine, dessen Besitzer der Janukowitsch-Partei angehören. "Man hat uns mit Bussen für einen Tag hierher gebracht", sagt der Mann. Die Frage, ob er dafür Geld bekomme, ignoriert er.
Am Ende des Gesprächs outet er sich sogar als Anhänger der inhaftierten ehemaligen Ministerpräsidentin und Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko: "Sie konnte die Menschen begeistern und mitreißen, Janukowitsch nicht."
Applaus ohne Begeisterung
Generell sieht das Lager der Janukowitsch-Anhänger wie eine Kopie des oppositionellen Maidan aus. Auch hier gibt es Zelte und warmen Buchweizenbrei, aus den Lautsprechern ertönen ukrainische patriotische Lieder. Auch hier gibt es Flaggen der Ukraine und der Europäischen Union. Und doch ist das der andere Maidan. Man merkt es spätestens dann, wenn eine Rede des Präsidenten abgespielt wird. Es gibt keine Pfiffe, sondern Applaus. Allerdings: ohne Begeisterung.