Der Brexit und die Folgen für Europas Fußball-Talente
15. Februar 2021Hätte es die neuen Regeln für Transfers, die der Brexit mit sich gebracht hat, schon vor zehn Jahren gegeben, hätte der deutsche Nationalspieler Serge Gnabry vielleicht nie in England gespielt. Seine prägenden Jahre bei Arsenal halfen dem damaligen Teenager zu dem zu werden, der er jetzt ist: einer der besten Offensivspieler der Welt.
Sein Weg zum Ruhm ist einer, der nun jungen europäischen Talenten seit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union verschlossen ist. Früher konnten britische Vereine EU-Bürger im Alter zwischen 16 und 18 Jahren mit Erlaubnis der Eltern verpflichten, wie es Arsenal mit Gnabry getan hat. Diese Regeln gelten jetzt nur noch für Spieler aus Großbritannien.
Wenn britische Vereine Akteure aus der EU verpflichten wollen, müssen sie nun warten, bis diese 18 Jahre alt sind. Außerdem dürfen sie pro Jahr nur noch sechs EU-Spieler im Alter zwischen 18 und 21 Jahren verpflichten. Darüber hinaus müssen diese Spieler bestimmte Kriterien erfüllen. Dazu gehört, ob sie international gespielt haben und in welcher Liga sie gespielt haben.
Und es sind nicht nur Spieler betroffen. Auch die Trainer unterliegen dem Punktesystem, was zum Beispiel die Verpflichtung von David Wagner bei Huddersfield 2015 und Daniel Farke bei Norwich 2017 verhindert hätte, da beide direkt aus der Reservemannschaft von Borussia Dortmund nach England kamen.
"Unentdeckte Talente auf britischen Inseln"
Die Änderungen könnten jedoch eine gute Nachricht für britische Talente sein. "Die neuen Brexit-Regeln schränken die Möglichkeiten für EU-Spieler ein, die nach England gekommen wären. Aber sie schaffen auch Möglichkeiten für Spieler, die sich vorher nicht qualifizier hätten", sagt Doron Salomon von CAA Base der DW.
Die in London ansässige Spieleragentur vertritt viele Topspieler, darunter den Südkoreaner Heung-min Son, der früher in Hamburg und Leverkusen spielte und nun bei Tottenham Hotspur unter Vertag steht. "Englische Klubs werden versuchen, unentdeckte Talente in Teilen der britischen Inseln zu finden, die sie vorher nicht so sehr beachtet haben - vor allem Nordirland, Schottland und Wales."
Schub für EU-Akademien
Damit ergeben sich auf der anderen Seite für Vereine aus der EU mit guten Nachwuchs-Leistungszentren bessere Voraussetzungen. Sie sind nun in einer stärkeren Position, um ihre besten Talente bis zum Alter von mindestens 18 Jahren zu halten, ohne Angst haben zu müssen, dass diese Spieler von den reichen, englischen Klubs abgeworben werden.
Einer dieser Spieler ist Bayer Leverkusens Nachwuchsstar Florian Wirtz. Der 17-Jährige ist das größte Nachwuchstalent der Leverkusener Akademie seit Kai Havertz, der im vergangenen Jahr für 80 Millionen Euro zum FC Chelsea wechselte. Nach den neuen Regeln darf Wirtz derzeit nicht zu einem englischen Verein wechseln.
"Natürlich wollen wir unsere besten Talente nicht verkaufen, wenn sie 16, 17 oder 18 Jahre alt sind, das ist ganz klar", erklärt Leverkusens Sportdirektor Simon Rolfes gegenüber der DW. "Jetzt, wo englische Vereine einen jungen Spieler nicht mehr kaufen können, bis er 18 ist, ist das natürlich eine gute Sache für uns."
Und Rolfes prognostiziert: "Die Regeländerung wird dazu führen, dass englische Klubs nicht mehr so viele Jugendspieler aus Deutschland, Skandinavien, den Niederlanden usw. holen, wie in den letzten Jahren. Dieser Weg ist nicht mehr möglich und es wird die gesamte Transfer-Situation der Jugendspieler in Europa verändern. Und für uns nicht auf eine schlechte Art und Weise."
Zustrom von süd- und mittelamerikanischen Spielern?
Die neuen Vorschriften werden die Dynamik verändern, wie und aus welchen Teilen der Welt britische Klubs junge Talente an sich binden. Vereine am unteren Ende der Premier-League-Tabelle und in Englands zweiter und dritter Liga werden stärker betroffen sein, da viele dieser Vereine ihre Transferstrategien auf die Verpflichtung von EU-Spielern aus den weniger prestigeträchtigen Ligen Europas aufgebaut haben.
"Das gilt für die Klubs mit kleineren Budgets und die Championship-Klubs, die es noch nötiger haben nach einem Mehrwert auf dem Markt zu suchen und früher in Ländern wie Polen oder Griechenland nach EU-Spielern gesucht haben. Diese Spieler haben jetzt fast keine Chance mehr, in England zu spielen", sagt Salomon.
Die Klubs, die die Talentlücke nicht mit britischen Spielern schließen können, werden sich vielleicht in Ländern außerhalb der EU umsehen, wie in Südamerika, wo kontinentale Klubwettbewerbe wie die Copa Libertadores und die Copa Sudamericana nach dem neuen Punktesystem der englischen FA relativ hoch bewertet werden.
"Früher konnten gute Spieler aus Ländern wie Mexiko, Brasilien, Argentinien und Russland, die keinen EU-Pass hatten, nicht nach England kommen, um zu spielen. Es sei denn, sie waren bereits Spitzenfußballer mit internationaler Erfahrung", erklärt Salomon.
"Viele dieser Spieler sollten sich nun nach den neuen Regeln leichter qualifizieren. Die Frage ist also: Welche Vereine werden das erkennen und ihre Scouting-Netzwerke anpassen, um die besten Talente außerhalb der EU zu finden? Es ist durchaus möglich, dass wir einen Zustrom von süd- und mittelamerikanischen Spielern nach Großbritannien sehen werden."
Britische Vereine suchen und finden Schlupflöcher
Natürlich haben die Premier-League-Klubs das Wissen und die Ressourcen, um die negativen Auswirkungen dieser Regeländerungen nicht nur zu minimieren, sondern sie strategisch zu umgehen. Brighton und Leicester zum Beispiel haben bereits Partnerschaften mit den belgischen Zweitligisten Union Saint Gilloise und OH Leuven geschlossen. In der Brexit-Ära werden diese Allianzen den englischen Klubs erlauben, EU-Spieler vor ihrem 18. Lebensjahr von ihrem Partnerklub unter Vertrag nehmen zu lassen und sie dort zu parken, bis sie die nötige Erfahrung haben, um dann in England spiele zu können.
Die neuen Vorschriften werden sicherlich dazu führen, dass es ein Rennen um die besten Volljährigen aus der EU gibt: und ein Verein wie Leverkusen könnte noch mehr mit dem Interesse englischer Vereine an Spielern der Kategorie Wirtz und Havertz zu kämpfen haben.
"Ich würde erwarten, dass englische Klubs sehr heiß darauf sind, die besten 18-Jährigen aus der EU zu verpflichten und bereit sind, potenziell viel Geld zu zahlen, um sie zu bekommen", meint Salomon. "Ich denke, es wird sich ein Markt für Spieler öffnen, die bald 18 werden."
Adaption: Olivia Gerstenberger