Comeback-Versuch des Merkel-Kritikers Merz
29. Oktober 2018Es war die Überraschung nach der Überraschung: Erst kündigte Angela Merkel unter dem Eindruck der CDU-Stimmverluste bei der Landtagswahl in Hessen an, nicht mehr für den CDU-Vorsitz zu kandidieren, dann brachte sich ausgerechnet einer ihrer schärfsten Kritiker in Stellung. Der frühere Unionsfraktionsvorsitzende Friedrich Merz will laut Medienberichten für den Parteivorsitz kandidieren.
Entschieden wird darüber auf dem CDU-Parteitag im Dezember in Hamburg. Sollte ihm das Comeback in die erste Reihe der CDU gelingen - es wäre für ihn eine Genugtuung und eine späte Rache an Merkel. Denn Merz war einer der Verlierer ihres Aufstiegs. Die Bundeskanzlerin hatte ihn auf ihrem Weg an die Parteispitze nach einer Reihe von innerparteilichen Disputen verdrängt. Nach der verlorenen Bundestagswahl 2002 beanspruchte Merkel den Posten der Fraktionschefin für sich und drängte Merz, der den Posten zwei Jahre zuvor übernommen hatte, aus dem Amt.
Nörgeleien gegen die Große Koalition
Ein Zerwürfnis, das sich in den Folgejahren vertiefen sollte. Seine Kritik an der Großen Koalition (2005 bis 2009) wurde als Mäkelei eines Frustrierten abgetan. Im Jahr 2009 zog der 1955 in Brilon geborene Sauerländer die Konsequenzen und verabschiedete sich enttäuscht aus der großen Politik. Er habe seine Entscheidung auch "im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Politik der Großen Koalition in Berlin getroffen", begründete er diesen Schritt.
Dabei war er früher einmal ein wesentlicher Machtfaktor innerhalb der Christdemokraten gewesen. Von 2000 bis 2002 amtierte der gelernte Rechtsanwalt als Vorsitzender und von 1998 bis 2000 sowie von 2002 bis 2004 als stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Der Finanzexperte galt als eines der größten Talente seiner Partei, in vielerlei Hinsicht auch als Merkels politisches Gegenmodell: wirtschaftsfreundlicher, konservativer, aber auch provozierender und unterhaltsamer.
Kritik wegen Leitkultur-Forderung
Im Parlament fiel er durch seine scharfen, pointierten Reden auf, die sich merklich abhoben von Merkels gleichermaßen analytischen wie einschläfernden Vorträgen. Merz versuchte immer wieder komplizierte politische Vorgänge auf einfache Botschaften herunterzubrechen. Dabei gelang ihm beileibe nicht alles.
Für großen Ärger sorgte beispielsweise sein Plädoyer für eine deutsche Leitkultur im Herbst 2000. Darin forderte er Regeln für Einwanderung und Integration, die einer Absage an ein multikulturelles Gesellschaftsbild gleichkamen. Wer auf Dauer in Deutschland leben wolle, sagte Merz damals, müsse sich "einer gewachsenen freiheitlichen deutschen Leitkultur anpassen". Eine einheitliche Definition des Begriffs "Leitkultur" wurde allerdings nicht formuliert.
Liberale und Linke verprügelten ihn dafür politisch. Die Bündnis-Grünen warfen ihm eine rassistische Kampagne vor. Nur die Konservativen dankten es ihm - bis heute. Merkel stellte sich zwar personalpolitisch hinter ihn, teilte aber seine Anschauungen nicht. Damals war die heutige Flüchtlingsthematik noch in weiter Ferne. Für Hohn und Spott sorgte der heute 62-jährige dann im Jahr 2004 als er für eine Steuerreform warb, deren Eckpunkte auf einem Bierdeckel erklärbar sein sollten.
Merkels Abstieg als Aufstiegschance
Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag übernahm der wertkonservative Christdemokrat verschiedene Jobs. 2010 managte er die Privatisierung der maroden Landesbank WestLB. Er sitzt in mehreren Gremien von Wirtschaftsunternehmen, etwa im Aufsichtsrat des Flughafens Köln/Bonn. Seit 2009 ist Merz Vorsitzender des "Netzwerks Atlantik-Brücke"; außerdem ist er Mitglied der "Trilateralen Kommission" von Europa und seit März 2016 als Aufsichtsratschef für den deutschen Ableger des weltweit größten Vermögensverwalters Blackrock tätig. Im November 2017 wurde er zum ehrenamtlichen Brexit-Beauftragten Nordrhein-Westfalens ernannt.
Nun also versucht der Mann, der im Machtkampf gegen Merkel unterlegen war, sein politisches Comeback. Er baut offenbar auf die Unterstützung der wiedererstarkenden konservativen Kräfte innerhalb der CDU. Merkels Abstieg soll dann sein Aufstieg sein.