Der faire Handel boomt
5. August 2015Wer macht eigentlich unsere Kleider? Wer erntet die Baumwolle, wer färbt die Stoffe, wer näht sie? Meistens bleibt das völlig im Dunkeln, aber Ben Irion interessiert genau das. In seinem Modegeschäft in Berlin-Kreuzberg verkauft er ausschließlich Kleidung, die zertifiziert ist - zertifiziert für faire Arbeitsbedingungen und einen schonenden Umgang mit der Umwelt.
"Die Bedingungen sollten so sein, dass die Leute dabei nicht geschädigt werden und vernünftiges Geld dafür kriegen", beschreibt der 45-jährige Unternehmer mit der Schiebermütze seine Anforderungen. Ist das der Fall, dann bietet Ben Irion die Ware in seinem Laden an. Oft sind es kleine Modelabels, die mit Kooperativen im Ausland zusammenarbeiten.
"Viel Luft nach oben"
Schicke Jeans und bedruckte T-Shirts aus Bio-Baumwolle, Schuhe aus recycelten Materialien - wer möchte, kann sich auf 100 Quadratmetern komplett neu einkleiden, einschließlich der Socken und der Unterwäsche. Das Geschäft mit dem Namen "Supermarché" läuft so gut, dass Ben Irion und sein Team im vergangenen Jahr in ein größeres Ladenlokal umgezogen sind. Viele Kunden kämen ganz bewusst in den schlicht eingerichteten Laden, um fair produzierte Kleidung zu kaufen, erzählt er. Global betrachtet sei das aber eine Minderheit.
Der Anteil der fair produzierten Kleidung am gesamten Bekleidungsmarkt liegt bei höchstens einem halben Prozent." Da sei noch "viel Luft nach oben". Den großen Modelabels fehle es noch an der Bereitschaft, faire Standards von unabhängiger Seite kontrollieren zu lassen. "Die lassen sich ungerne in die Karten schauen", kritisiert Irion, "da gibt es keine Transparenz".
Die gesamte Lieferkette überwachen
Während er das sagt, huscht eine Kundin mit den Worten "Das ist mir doch zu teuer" wieder aus dem Laden. Mit den Kampfpreisen von Ketten wie H&M kann es fair gehandelte Kleidung naturgemäß nicht aufnehmen - das günstigste T-Shirt kostet hier 12 Euro. Aber die Nachfrage nach fair produzierter Kleidung wächst. Die Organisation "Fairtrade International" arbeitet derzeit an einem neuen Produktsiegel, mit dem die gesamte Lieferkette für ein Kleidungsstück überwacht werden soll. Bisher gibt es nur ein Siegel für fair gehandelte Baumwolle.
Bestseller Kaffee
Wenn alle Produkte zusammengerechnet werden, ist der faire Handel in Deutschland 2014 um stolze 31 Prozent gewachsen - das geht aus der aktuellen Statistik des "Forums Fairer Handel" hervor. Dass erstmals die Milliardenmarke geknackt wurde, ist in erster Linie dem Kaffee zu verdanken. Die Deutschen trinken immer mehr fair gehandelten Kaffee und geben dafür auch gerne mehr Geld aus. Auf diesen Zug sind auch drei Jungunternehmer aus Berlin aufgesprungen, die hochwertigen Kaffee aus Äthiopien anbieten. "Coffee Circle" heißt das Startup, das fünf Jahre nach seiner Gründung schon 20 Mitarbeiter hat.
Fair auch ohne Siegel
Durch die Fabriketage im ehemaligen Arbeiterbezirk Wedding, in dem das Unternehmen sitzt, zieht der Geruch von frisch gebrühtem Kaffee. Den Kaffee wählen Geschäftsführer Martin Elwert und seine Kollegen persönlich in Äthiopien aus, lassen ihn in Berlin rösten und verkaufen ihn dann via Internet - für durchschnittlich acht Euro pro 350 Gramm. "Wir sprechen hier von einigen der besten Kaffees der Welt", sagt Co-Gründer Elwert. Die Kunden honorieren diese Qualität und kaufen den Kaffee inzwischen gerne im Abonnement. Für ihr Produkt zahlt Coffee Circle den Kleinbauern höhere Preise als die marktüblichen und unterstützt außerdem soziale Projekte in den Anbauregionen. Das sei kein Geschenk, betont der 34-jährige Unternehmer, sondern eine gerechte Würdigung der guten Arbeit der Kaffeebauern.
"Ich glaube, dass die Kaffeebauern über ökonomische Anreize zum Erfolg kommen und nicht über solidarische", sagt Elwert. Ein Fairtrade-Siegel brauche er nicht, um als Unternehmer fair zu handeln. Unter dem Siegel würden zwar höhere Preise gezahlt als die marktüblichen, "aber die Qualität spielt keine große Rolle". Die Kaffeebauern müssten viel Geld für die Zertifizierung zahlen und bekämen dann zwar mehr Geld für ihren Kaffee, aber nicht dafür, dass sie besseren Kaffee produzieren. "Das ergibt langfristig keinen Sinn", sagt der Firmengründer, dessen Kaffee folglich in der offiziellen Statistik zum fairen Handel nicht auftaucht.
Fairer Handel auf Wachstumskurs
Es stimme zwar, dass Geschmack und Qualität nicht Teil der Standards für fairen Handel seien, räumt der Geschäftsführer des "Forums Fairer Handel", Manuel Blendin, ein. "Die Kriterien beziehen sich auf soziale und teils auf ökologische Aspekte." Unter den fair gehandelten Produkten seien aber viele sehr hochwertige und zunehmend auch Bio-Produkte. Blendin rechnet damit, dass der faire Handel in Deutschland auch in den kommenden Jahren weiter zweistellig wachsen wird.
Zumal die Deutschen im internationalen Vergleich bisher eher Mittelmaß sind: 13 Euro gibt jeder Deutsche pro Jahr für fair gehandelte Produkte aus, 33 Euro sind es in Großbritannien und immerhin 57 Euro beim europäischen Spitzenreiter Schweiz.