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Radovan Karadžić, der Kriegsverbrecher?

Marina Martinovic23. März 2016

In Den Haag ist das Urteil im Fall des ehemaligen Serbenführers in Bosnien-Herzegowina, Radovan Karadžić, verkündet. Der Schuldspruch umfasst schwere Kriegsverbrechen und Völkermord.

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Radovan Karadžić im Gerichtssaal des Haager Tribunals (Foto: MICHAEL KOOREN/AFP/Getty Images)
Radovan Karadžić im Gerichtssaal des Haager TribunalsBild: Michael Kooren/AFP/Getty Images

Er ist ein Mann mit vielen Facetten: Psychiater, Dichter, Politiker und für viele in Bosnien-Herzegowina ein Kriegsverbrecher, der selbst ein Fall für die Psychiatrie ist. Radovan Karadžić wird nämlich für die schlimmsten Kriegsverbrechen, die während des fast vierjährigen Krieges in Bosnien-Herzegowina in den 1990-ern verübt wurden, verantwortlich gemacht. Dementsprechend liest sich auch die Anklage gegen ihn vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag. Karadžić soll laut Anklage als der damalige politische Führer der Serben in Bosnien-Herzegowina die Verantwortung tragen, für den Völkermord an etwa 8.000 muslimischen Männern und Jungen in der ostbosnischen Stadt Srebrenica. Zudem werden ihm Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Konkret: Vertreibung, Mord und Folter. Es geht auch um die Verletzung des Kriegsrechts im Fall der Belagerung von Sarajevo. Im letzteren Punkt gibt es keine Zweifel, betont der Balkan-Experte Franz-Lothar Altmann im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Da wurde die Zivilbevölkerung beschossen und bombardiert. Das ist ein eindeutiges Kriegsverbrechen", sagt Altmann.

Der in einem montenegrinischen Dorf 1945 geborene Radovan Karadžić lebte zwar seit seinem 15. Lebensjahr in der damals multikulturellen jugoslawischen Stadt Sarajevo in der Teilrepublik Bosnien und Herzegowina, stammte aber aus einer Familie, die auch Tschetniks in ihren Reihen hatte. Tschetniks sind nationalistische serbische Extremisten, die für ein Großserbien eintreten und die im Zweiten Weltkrieg von den kommunistischen Partisanen besiegt wurden.

Ratko Mladic und Radovan Karadžić Steckbrief mit beiden Gesichtern. Foto: EPA/FEHIM DEMIR, dpa -
Ratko Mladic und Radovan Karadžić wurden per Steckbrief gesuchtBild: picture alliance/dpa

"Kampfgeist der Serben“

Nachdem er mit seiner Familie aus den montenegrinischen Bergen in das pulsierende Sarajevo zog, schloss er die Schule ab, studierte danach Medizin, verbrachte sogar ein Jahr zum Zweck der Weiterbildung an der Columbia University in New York und gründete schließlich eine eigene psychotherapeutische Arztpraxis in Pale, einem kleinen Ort in direkter Nähe zu Sarajevo, größtenteils von Serben bewohnt.

Er war auch bekannt durch seine Dichtertätigkeit und war Mitglied des Schriftstellerverbandes. Aber, "wie aus dieser Persönlichkeit, die so viele Facetten hatte, dann ein Politiker wurde, der eine überaus nationalistische Richtung vertrat, ist schon ein Phänomen", erklärt der Balkan-Experte Franz-Lothar Altmann. Seine nationalistischen Neigungen habe man bereits in seinen Gedichten erkennen können, denn schon da habe er vom "Kampfgeist der Serben" gesprochen. "Und dann hat er Dobrica Ćosić, der ein nationalistischer Romancier war, kennengelernt und sich von ihm beeinflussen lassen. Das hat ihn offensichtlich noch stärker in diesen nationalistischen Dreh gedrängt.“

Doch, nicht nur der serbische Dichter und Schriftsteller Dobrica Ćosić übte Einfluss auf Karadžićs Weltanschauung aus. Er lernte auch Slobodan Milošević kennen, den ehemaligen serbischen Präsidenten, dem ebenfalls vor dem Haager Tribunal der Prozess gemacht wurde. Allerdings verstarb Milošević 2006, noch bevor ein Urteil gefällt werden konnte. In den 1980-ern lernte Karadžić im Gefängnis Momčilo Krajišnik kennen, einen späteren Politikerfreund, der in Den Haag zu 20 Jahren Haft wegen Kriegsverbrechen verurteilt wurde. Karadžić saß elf Monate in Untersuchungshaft wegen angeblicher Veruntreuung von Geldern. Er wurde allerdings freigesprochen, weil seine Partei, die Serbische Demokratische Partei (SDS), nach der Demokratiewende 1990 in Jugoslawien eine von jenen war, die in der damaligen jugoslawischen Republik Bosnien-Herzegowina an die Macht kam. Und somit kam Radovan Karadžić als Parteipräsident auch an die Macht.

"Feindbild" gegenüber den Muslimen

Er war allerdings nicht der einzige, der seine nationalistischen Prägungen ausleben konnte. Es war eine Zeit im damaligen Jugoslawien, die geprägt war von omnipräsentem Nationalismus. Slowenen, Kroaten und andere Völker fühlten sich unterdrückt von Belgrad und hochrangigen Serben und wollten aussteigen aus dem gemeinsamen Jugoslawien. So auch Bosnien-Herzegowina. Die serbischen Politiker wollten das allerdings nicht zulassen. Und da nahm die leidvolle Kriegsgeschichte des Landes dann auch ihren Lauf. Karadžić selbst entwickelte zu der Zeit als Politiker gegenüber den Muslimen zunehmend ein "Feindbild". "Das war offensichtlich eine Übertragung vom früheren Feindbild gegenüber den Osmanen", erklärt Franz-Lothar Altmann. "Die Muslime, die muslimischen Bosniaken, sind für ihn so eine Art Nachfahren der Osmanen, gegen die ja Serbien, das serbische Volk, sich lange gewehrt und gekämpft hat."

Die Bosniaken und Kroaten stimmten am 1. März 1992 in einem Referendum für ein unabhängiges Bosnien-Herzegowina ab. Die Serben boykottierten die Abstimmung. Einen Monat später brach der Krieg aus. In den von Serben mehrheitlich bewohnten Gebieten wurde bereits vorher die Serbische Republik ausgerufen, die später in Republika Srpska umbenannt wurde und deren erster Präsident Radovan Karadžić war. In den Jahren danach wurden etwa 100.000 Menschen ermordet, es kam zu massenweisen und systematischen Vergewaltigungen, Hunderttausende wurden vertrieben auf allen Seiten. Und es kam zum Völkermord in Srebrenica, wo rund achttausend muslimische Jungen und Männer ermordet wurden. Für die Ausführung des Massakers wird in Den Haag dem Oberbefehlshaber der serbischen Streitkräfte in Bosnien-Herzegowina, General Ratko Mladić, der Prozess gemacht. Denn ihm hat die UN im Juli 1995 Srebrenica, das zu dem Zeitpunkt eine UN-Schutzzone war und ein Zufluchtsort für Tausende bosniakische Binnenflüchtlinge, kampflos überlassen.

Radovan Karadžić alias Dr. Dragan Dabić, Heiler und Naturmediziner (Foto: dpa - Report - picture-alliance/dpa)
Radovan Karadžić versteckte sich lange als Dr. Dragan Dabić, Heiler und NaturmedizinerBild: picture-alliance/dpa

In Serbien versteckt

Beide, Mladić und Karadžić, haben sich nach dem Krieg jahrelang unbemerkt in Serbien versteckt gehalten. Karadžić hatte nicht nur eine andere Identität angenommen, als Dr. Dragan Dabić, und sein Erscheinungsbild deutlich verändert, er hatte auch "offensichtlich eine große Anzahl von Helfern, Sympathisanten, die ihm geholfen hatten und die auch immer wieder, wenn eine Aktion gestartet wurde, um ihn festzunehmen, rechtzeitig gewarnt haben", sagt Altmann. Doch nach erheblichem Druck auf Serbien seitens der EU wurde nach 12 Jahren Radovan Karadžić in der serbischen Hauptstadt Belgrad verhaftet. Fast drei Jahre später wurde auch Ratko Mladić verhaftet – in einem kleinen Ort in Nordserbien.

Das Urteil im Fall Karadžić in Den Haag ist, wie es der Chefankläger des Jugoslawien-Tribunals Serge Brammertz betonte, ein historisches: Nun soll endlich geklärt werden, ob Karadžić, der damalige politische Führer der Serben in Bosnien und Herzegowina, selbst das Morden in Srebrenica und vielen anderen Orten angeordnet hat.