Der Höhenflug der Grünen ist erstmal vorbei
11. Juni 2021Vor siebeneinhalb Wochen war die grüne Welt noch in Ordnung. Annalena Baerbock, die junge, dynamische Parteichefin, wurde zur Kanzlerkandidatin ausgerufen, die Partei stieg in den bundesweiten Umfragen auf fast 30 Prozent und überholte in den Umfragen ab und an sogar die CDU mit dem neuen Parteichef Armin Laschet. Das Kanzleramt schien erstmals in der grünen Geschichte in greifbarer Nähe.
Ein enttäuschendes Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt
Aber in den Wochen danach ist viel passiert, die Wahlkampagne der Partei stockt. An diesem Wochenende treffen sich die Grünen zum digitalen Parteitag, um ihr Wahlprogramm zu beschließen. Und um Annalena Baerbock auch offiziell, per Parteitagsbeschluss, zur Bewerberin um das Kanzleramt zu küren. Vor wenigen Tagen, am vergangenen Sonntag, mussten die Grünen aber erleben, dass gute Umfragewerte und Wahlergebnisse verschiedene Sachen sein können.
Bei der Landtagswahl in dem ostdeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt kamen die Grünen auf gerade einmal 5,9 Prozent, viel weniger als erwartet. Baerbock möchte dennoch optimistisch blieben, wie sie am Wahlsonntag in Berlin sagte: "Für uns ist klar: Die Ausgangslage bei der Bundestagswahl ist eine komplett andere. Nach der Pandemie geht es darum, dieses Land gemeinsam zu erneuern. Dafür treten wir als Bündnis 90 / Die Grünen an."
Debatten schon um den Titel des Wahlprogramms
Um den Klimaschutz wird es wieder einmal gehen auf dem Parteitag, die Basis hat über 3300 Änderungsanträge am Wahlprogramm eingereicht. "Deutschland. Alles ist drin", steht groß über dem Programm. Aber schon hier fordert ein Änderungsantrag, dass Wort Deutschland zu streichen, was den Grünen einige bittere Schlagzeilen schon vor dem Parteitreffen bescherte. Die Grünen wollen die Kanzlerin stellen, bekennen sich aber nicht zum eigenen Land?
Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt musste die Partei erkennen, dass manche forsche Forderung beim Klimaschutz in den Flächenländern nicht gut ankommt.Vor allem im Osten nicht. Für den Vorsitzenden der CDU, für Armin Laschet, bedeutet die Wahl in Sachsen-Anhalt, welche die CDU klar gewann, einen deutlichen Punktsieg über seine momentane Hauptkonkurrentin auf Bundesebene.
Laschet, Kanzlerkandidat der Union von CDU und CSU, sagte Anfang der Woche über Annalena Baerbock und die Grünen nach der Sachsen-Anhalt-Wahl: "Sie ist die Hauptwettbewerberin, und ich nehme alle Bewerber ernst. Ich habe jetzt nur gelernt: Wenn man hinter der FDP landet, ist das jetzt nicht ein Riesen-Schub, den sie in Sachsen-Anhalt ausgelöst hat."
Tatsächlich werden die Grünen im neuen Landtag in Magdeburg die kleinste von sechs Fraktionen stellen. Und in einer aktuellen Umfrage des "ZDF-Politbarometer" für ganz Deutschland käme die Partei nur noch auf 22 Prozent, sechs Prozentpunkte hinter der Union.
Forsche Klimaschutzpläne kommen nicht überall gut an
Beim Parteitag muss die grüne Parteispitze aufpassen, dass die immer mal wieder rebellische Basis ihr nicht unerfüllbare Ziele beim Klimaschutz ins Programm schreibt. Die Grünen fordern schon jetzt 70 Prozent weniger Klimagase bis 2030, immer von 1990 angerechnet. Eine große Gruppe von Basisvertretern will 85 Prozent.
Dabei sind schon die 65 Prozent, welche die gegenwärtige Regierung verspricht, nur mit äußerster Kraft erreichbar. Und weiter: Ein Tempolimit auf Autobahnen von 130 Stundenkilometern fordert der Programmentwurf, Teile der Basis sind für 100. Baerbock weiß, dass allzu forsche Forderungen nicht überall gut ankommen. Aber dass die Partei vor allem beim Klimaschutz einen Schwerpunkt setzt, das findet sie gut.
Die Regierung habe viel versprochen und wenig eingelöst beim Kampf gegen die Treibhausgase: "Deswegen schauen wir noch mal ganz genau hin, was wir im 100-Tage-Sofortprogramm und bei den Instrumenten in den nächsten Jahren machen müssen. Weil leider die Bundesregierung das offensichtlich nicht mehr plant, das jetzt noch in dieser Legislaturperiode in die Wege zu leiten, gerade auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien."
Einige Fehler im Wahlkampf
Debattiert werden wird auf dem Parteitag sicher auch die zuletzt unglückliche Reise von Mit-Parteichef Robert Habeck in die Ukraine, wo dieser sich unter dem Eindruck der Gespräche mit seinen Gastgebern für deutsche Lieferungen von Defensivwaffen einsetzte. Dabei sagt das Programm der Grünen: "Wir machen uns stark für zivile Krisenprävention und wollen mit einer restriktiven Ausfuhrkontrolle europäische Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisengebiete sowie an Autokraten beenden." Habeck sprach wenig später davon, er habe Minenräumgeräte gemeint.
Die anderen Parteien kritisierten ihn dennoch als außenpolitisch naiv. Und Baerbock musste zugeben, Weihnachtsgeldzahlungen der Partei dem Bundestag nicht gemeldet zu haben, was sie mittlerweile nachgeholt hat. In ihrem Lebenslauf fanden Journalisten einige falsche Angaben, sie gab etwa Mitgliedschaften in Organisationen wie dem renommierten "German Marshall" an, was nicht stimmte.
Fehler über Fehler über Fehler also im Wahlkampf. Robert Habeck gibt das unumwunden zu: "Nicht verschweigen will ich, und darüber haben wir auch gesprochen, dass die letzten drei Wochen vielleicht kein Rückenwind waren für die wahlkämpfenden Kollegen in Sachsen-Anhalt. Und die Diskussionen, die auf der Bundesebene geführt wurden, sicherlich nicht geholfen haben."
"Helfen kann nur noch ein Schwächeanfall der Union"
Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, sagte deshalb Anfang der Woche der Nachrichtenagentur Reuters mit Blick auf die Bundestagswahl: "Die Chancen der Grünen sind nicht mehr allzu groß, stärkste Partei zu werden. Sie kann das nur noch schaffen bei einem Schwächeanfall der CDU." Und weiter: "Die Union ist wieder auf Kurs, stärkste Kraft zu bleiben."
Dabei sind es noch über 100 Tage bis zur Bundestagswahl. Die Grünen müssen deshalb auf dem Parteitag vor allem ihrer angeschlagenen Spitzenkandidatin den Rücken stärken.