Der Libanon auf Emanzipationskurs
7. März 2005
Trotz aller Fortschritte seit Ende des Bürgerkrieges (1975 bis 1990) ist die Lage in der einstigen "Schweiz des Nahen Ostens" schwierig. Die Wirtschaftsleistung des Libanon ist zwar 2004 um mehr als vier Prozent gewachsen, aber besonders im Süden leben große Teile der meist schiitischen Bevölkerung in großer Armut. Ein Problem sind auch die bis zu 400.000 palästinensischen Flüchtlinge, die in großen Lagern leben. Um das Gleichgewicht im Lande nicht zu stören, lehnen die Libanesen deren Integration ab.
"Müllhalde der Geschichte"
Es gibt im Libanon 18 anerkannte Religionsgemeinschaften. Etwa 60 Prozent der 3,78 Millionen Einwohner sind Muslime, wobei die Schiiten die größte Gruppierung stellen. Unter den rund 40 Prozent Christen dominieren die Maroniten. Grundlage für die Normalisierung der Verhältnisse nach dem Bürgerkrieg war eine unter syrischer Vermittlung zu Stande gekommene Einigung auf ein religiöses Proporzsystem, das die Macht nach konfessionellen Gesichtspunkten neu aufteilte. Der Friedensregelung zufolge ist der Staatspräsident immer Maronit, der Ministerpräsident Sunnit, der Parlamentspräsident Schiit.
Dieses Verfahren wird inzwischen in Frage gestellt. "Das neue Libanon sollte sich vom System der Troika lösen. Diese dreiköpfige parlamentarische Hydra, die aus einem maronitischen (christlichen) Präsidenten, einem sunnitischen Ministerpräsidenten und einem schiitischen Parlamentspräsidenten besteht", fordert die Beiruter Tageszeitung "Daily Star". Die Politik der Postenverteilung auf der Basis ethnischer und religiöser Zugehörigkeit gehöre "auf die Müllhalde der Geschichte".
Prominente Opposition
Die Oppositionsbewegung im Libanon schart sich um einen Mann, dessen Werdegang eng mit der tragischen Geschichte seines Landes verbunden ist: Walid Dschumblatt. Er führt die etwa 200.000 Mitglieder umfassende islamische Religionsgemeinschaft der Drusen. Die politische Laufbahn von Walid Dschumblatt begann 1977, als sein Vater, der Drusenführer Kamal Dschumblatt, ermordet wurde. Er hatte sich dem syrischen Einmarsch im Libanon widersetzt und wurde in der Nähe eines syrischen Kontrollpostens getötet.
Walid Dschumblatt übernahm daraufhin den Vorsitz der Sozialistischen Fortschrittspartei (PSP). Zu jener Zeit war er fest überzeugt, dass dem Libanon keine andere Wahl blieb, als sich Syrien als Schutzmacht gegenüber Israel anzuvertrauen. Inzwischen hat der 57-Jährige seine Ansichten geändert und koordiniert seine Aktionen mit der christlichen, anti-syrischen Opposition."Ich bin für einen pluralistischen, unabhängigen, demokratischen und arabischen Libanon", sagt er.
Streitpunkt Truppen
Nach dem Bürgerkrieg galt der Libanon als einigermaßen sicher. Die im Land stationierte "Friedenstruppe" der Syrer verhinderte neue Auseinandersetzungen zwischen den Bürgerkriegsparteien. Zeitweise waren im Libanon mehr als 30.000 Soldaten stationiert. Nach Beendigung der Kämpfe im Jahr 1990 blieben die Truppen im Land – als "Friedenstruppe". Allerdings hatte Syrien bereits 1989 im Abkommen von Taif seinen arabischen Nachbarn zugesagt, den Libanon zu verlassen. Der darin vorgesehene Rückzug ins östliche Bekaa-Tal - die Vorstufe zum völligen Truppenabzug - war für Anfang der 1990er Jahre vorgesehen. In der Resolution 1559 fordert die internationale Staatengemeinschaft Syrien zum Rückzug auf.
Am 5. Februar 2005 hat der syrische Präsident Baschar el Assad erneut eine umfangreiche Truppenverlegung angekündigt - mit zunächst sehr vagen Worten. Am 7. März haben sich Syrien und Libanon auf den Abzugsplan für die syrischen Truppen geeinigt. Assad und sein libanesischer Amtskollege Emile Lahoud stimmten bei ihrem Treffen in Damaskus darin überein, die rund 15.000 syrischen Soldaten zunächst ins Bekaa-Tal und später in die Grenzregion zu verlegen. Einen Monat darauf soll über den definitiven Rückzug der Soldaten nach Syrien entschieden werden. (arn)