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NEIN zur Plastiktüte

Karin Jäger16. September 2014

Sie sind reißfest, dünn und stecken beim Einkauf viel weg. Aber nach dem Gebrauch landen Plastiktüten oft in Parks und im Meer - mit verheerenden Folgen. Eine Berliner Studentin versucht, die Plastik-Invasion zu stoppen.

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Symbolbild Plastiktüten Verbot Umweltschutz
Bild: Getty Images

Am Anfang war es nur ein Studentenjob. Stefanie Albrecht meldete sich bei der Deutschen Umwelthilfe, um den Verein bei einer Aktion in Berlin zu unterstützen: Bürger sollten auf der Straße angesprochen werden, um ihre Einwegplastiktüten gegen Mehrwegtragetaschen einzutauschen. Die Organisation wollte damit auf den enormen Plastiktütenverbrauch und auf die umweltzerstörerischen Folgen aufmerksam machen.

Stefanie Albrecht Aktion gegen Plastiktüten
Stefanie Allbrecht: "NEIN zu Plastiktüten"Bild: privat

Allein in der Bundeshauptstadt werden stündlich 30.000 der dünnen Beutel über Ladentheken und Marktstände gereicht – 259 Millionen Stück pro Jahr. Darin landen unverpacktes Obst und Gemüse, Fisch, Arzneimittel, Bücher, Kleidung. Ganz Deutschland verbraucht 17 Millionen Tüten täglich, etwa sechs Milliarden im Jahr, meist nur ein Mal, ehe sie im Müll landen – oder in der Umwelt.

Stefanie Albrecht studiert Naturressourcenmanagement. Sie kauft Secondhand-Kleidung, baut in einem Schrebergarten Gemüse an und versucht, Müll zu vermeiden: "Aber mit Plastik und Rohöl habe ich mich vorher nie befasst." Angeregt durch die Gespräche mit den Fremden auf der Straße, die sich wie sie über die achtlose Weg-Werf-Mentalität empörten, beschloss sie, sich weiter zu informieren, um dann andere für das gigantische ökologische Problem zu sensibilisieren. Sie begann, wissenschaftliche Arbeiten über die Taschen aus Polyethylen zu studieren und erfuhr, dass zur Herstellung des Kunststoffs nur für den jährlichen Bedarf in Deutschland rund 260 Millionen Liter Erdöl, dazu Erdgas und Strom verbraucht werden.

Andererseits hat Plastik viele Vorteile: günstig in der Herstellung, durch wenig Volumen zusammenfaltbar, reißfest, beständig gegen Wasser und Chemikalien und es ist sehr leicht. Seit das Kaufhaus Horton in Neuss erstmals 1961 Plastiktüten an Kunden ausgab, platzieren viele Händler darauf gedruckte Werbung.

Symbolbild Plastiktüten Verbot Supermarket in Paris 2012
Allgegenwärtig: Plastik im SupermarktBild: Lionel Bonaventure/AFP/Getty Images

Die Verpackung könnte vielfach verwendet und recycelt werden. Weil sie aber oft kostenlos und fast überall erhältlich ist, wird das Massenprodukt achtlos entsorgt: 25 Minuten wird so eine Tüte im Durchschnitt gebraucht – vom Einkauf bis nach Hause.

Bedrohung für das Ökosystem

Studien gehen auch davon aus, dass es 100 bis 500 Jahre dauert, ehe das Plastik in der Natur abgebaut ist. Mikroorganismen greifen das Material nicht an, allein durch die Witterungseinflüsse wird es in kleinere Teile zersetzt und fliegt oder schwimmt umher.

Die Folgen für Tiere und Umwelt sind fatal: Ganze Landstriche und Meere gleichen einer Müllhalde. Ein Teppich aus Resten von Tüten, Flaschen, Kanistern, Möbeln, Gabeln, Zahnbürsten verhindert vielerorts die Sicht auf das Wasser. Und wildlebende Tiere verenden elendig. Sie verhungern, weil sie Plastikfetzen für Nahrung halten und fressen. Das Meterial kann nicht verdaut und ausgeschieden werden und verstopft den Magen, der schließlich keine andere Nahrung mehr aufnehmen kann. Oder die Tiere bleiben an Plastikfetzen hängen, strangulieren sich, ersticken.

Surfrider Kampagne gegen Plastiktüten Melbourne
Tödlich: Plastik für TiereBild: Surfrider/Ron Prendergast

Forscher der Organisation CSIRO fanden jüngst bei jedem zweiten Seevogel vor der Küste Australiens Plastikteile im Körper. CSIRO warnt vor dem Aussterben 95 Prozent aller lebenden Tiere in der Region bis 2050, sollte die Kunststoffproduktion weiter steigen. Gefährdet seien auch Fische, Schildkröten, Wale, Delfine, Seekühe, Krokodile und Krustentiere.

Über den Preis zum Nachdenken anregen

Stefanie Albrecht schockieren solche Nachrichten. Gemeinsam mit dem Verein Deutsche Umwelthilfe sammelte sie Unterschriften auf der Internet-Petitionsplattform change.org, um die Bundesregierung aufzufordern, ein Gesetz zu einer Abgabe für dünne Plastiktüten zu erlassen.

Surfrider Kampagne gegen Plastiktüten
Strandgut in BrasilienBild: Surfrider/Sandro Oliveira

"Mir war neu, wie man über das Internet Meinungen einholen kann, aber das Thema schlug ziemlich ein", sagt Albrecht stolz. Ohne die Aktion anzukündigen, ohne Werbung, hatten nach zwei Tagen 50.000 Plastikmüll-Gegner unterschrieben. Inzwischen hat Stefanie Albrecht über 100.000 Unterschriften gesammelt. Die Liste will sie der Bundesumweltministerin übergeben. Auf einen Termin bei Barbara Hendricks (SPD) wartet die Studentin noch.

Deutschland ein Plastiktüten-Entwicklungsland

Andere Länder sind Deutschland einen Schritt voraus: Händler in Irland müssen seit 2002 eine Abgabe pro Tüte verlangen. Der Verbrauch wurde durch die Umweltsteuer von 328 auf 16 Plastikexemplare pro Einwohner und Jahr gesenkt. In Deutschland liegt der Jahreverbrauch pro Kopf bei 76 und damit deutlich geringer als der EU-Durchschnitt von 198 Tüten. "Allerdings muss man sehen, dass Deutschland mehr als 80 Millionen Einwohner hat. Somit können wir bei einer geringen Reduktion pro Kopf mehr Plastiktüten vermeiden als andere EU-Länder", sagt Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe. Durch einen Mindestbetrag von mindestens 22 Cent werde der Verbraucher zum Nachdenken gezwungen: "Brauche ich die Tüte wirklich oder kann ich die Ware nicht doch in den Rucksack packen?", argumentiert Fischer.

Thomas Fischer
Thomas Fischer fordert eine Steuer auf PlastiktütenBild: Deutsche Umwelthilfe e.V.

Für unsinnig hält Fischer den Beschluss des Europäischen Parlaments, den Verbrauch in den EU-Mitgliedstaaten innerhalb von drei Jahren um 50 Prozent zu verringern. Nach fünf Jahren soll der Verbrauch um 80 Prozent gesunken sein. Ob durch Einschränkungen, Verbote oder eine Abgabe steht allerdings noch nicht fest. "Deutschland liegt ja bereits unter dem Durchschnitt. Demzufolge müssten wir gar nichts reduzieren."

Nachdem Plastiktütenabfälle in Bangladesch Abwasserkanäle verstopft und während der Monsune 1988 und 98 für Überschwemmungen gesorgt hatten, sind sie dort verboten. Auch China, Kenia, Ruanda und Südafrika haben die ultradünnen Plastiktüten verboten.

Biologisch abbaubare Plastiktüten seien keine Alternative, weil sie nur zu 30 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen und 70 Prozent Rohöl, sagt DUH-Experte Fischer. Die Kompostierung dieser Varianten sei schädlich, warnt auch das Umweltbundesamt, weil sie weder Humus bilden können noch über pflanzenverträgliche Nährstoffe verfügen.

Die bei der Aktion in Berlin eingesammelten Plastiktüten kommen übrigens wieder zum Einsatz: Am Samstag (20.09.2014) wollen auf dem Tempelhofer Feld in der Bundeshauptstadt 1500 Umweltschützer, verbunden durch 30.000 Tüten, eine neun Kilometer lange Kette bilden. Das wäre Weltrekord. Sie hoffen, durch diese Aktion noch mehr Menschen über Alternativen aus Stoff oder Korbgeflecht zum Nachdenken zu bringen. "Für den Spontaneinkauf und den Wochenendeinkauf gibt es längst tolle und praktische Modelle: Zusammenfaltbare und stabile Polyesterbeutel oder Permanent-Tragetaschen aus recyceltem Kunststoff", meint Thomas Fischer.

Vielleicht erleben sogar die alternativen Jutebeutel aus den 1980er Jahren bald eine Renaissance? Stefanie Albrecht jedenfalls wird die Entwicklung beobachten. Im kommenden Jahr will sie ihr Studium beenden und in der Forschung für Nachhaltigkeit oder als politische Umweltberaterin arbeiten. Bedarf an Aufklärung besteht jedenfalls.