"Der Schutz von Flüchtlingen kostet Geld"
24. März 2005Nach wochenlangen Verhandlungen haben sich die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates auf die Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der westsudanesischen Region Darfur durch den Internationalen Strafgerichtshof geeinigt. Die Veto-Macht USA werde einen von Frankreich vorgelegten Beschlussentwurf trotz ihrer grundsätzlichen Ablehnung des Gerichtshofes durch Stimmenthaltung passieren lassen, sagten UN-Diplomaten am Mittwoch (23.3.2005). Damit werde auch der Weg frei zu einer Resolution, mit der das Mandat zum Einsatz von 10.000 Blauhelmsoldaten vergeben werden soll; sie sollen das Friedensabkommen zwischen der Regierung Sudans und Rebellen im Süden des Landes überwachen.
DW-WORLD sprach mit der amtierenden UN-Flüchtlingskommissarin Wendy Chamberlin über diese Krisenregion.
DW-WORLD: Im vergangenen Jahr wurde die Situation in Darfur als humanitäres Desaster bezeichnet. Trifft dieser Ausdruck nach wie vor zu, und wie schätzen Sie die heutige Lage ein?
Wendy Chamberlin: In der Tat ist es weiter ein sehr beunruhigendes humanitäres Desaster. Aus diesem Grund engagiert sich das UNHCR besonders in West-Darfur so stark mit dem Programm zum Schutz von Flüchtlingen.
Wie ist die heutige Situation in Darfur im Vergleich zum vergangenen Jahr? Hat sie sich verbessert oder verschlechtert?
Es ist schwer zu sagen, ob es sich gebessert oder verschlechtert hat. Die Lage ist auf jeden Fall so, dass wir sehr unzufrieden sind. In Darfur leben 1,5 bis zwei Millionen Inlandsflüchtlinge (internally displaced people, IDP), die dringend Schutz benötigen. Viele von ihnen leben in Flüchtlingslagern, aber eine große Zahl befindet sich außerhalb der Lager über das Land verteilt. Sie werden regelmäßig angegriffen, ermordet, vergewaltigt und sie leiden sehr unter ihrem Schicksal. Deshalb ist der UNHCR vor Ort und versucht, diesen Menschen so viel Sicherheit wie möglich zu geben.
200.000 weitere Flüchtlinge befinden sich im benachbarten Tschad. Um so viele schutzsuchende Menschen versorgen zu können, haben Sie begonnen, auch dort Camps einzurichten. Wie stellt sich die Situation in diesen Lagern dar?
Die Lage der Flüchtlinge aus Darfur, die im Tschad leben, hat sich dank der Arbeit von Organisationen wie UNHCR im Vergleich zum vergangenen Jahr, als die Lage sehr verzweifelt war, deutlich gebessert. Wir haben mehr als elf Lager für über 200.000 Flüchtlinge errichtet, in denen wir den Flüchtlingen Unterkunft, Nahrung und eine grundlegende medizinische Versorgung bereitstellen. Mehr als 45.000 Schüler können hier zur Schule gehen. Ein großes Problem stellt allerdings die Versorgung mit Wasser dar. Wir suchen ständig nach Standorten für neue Lager, in denen wir ausreichend Wasser zur Verfügung stellen können. Trotzdem haben sich die Bedingungen verbessert. Wir bekommen finanzielle Unterstützung von Geberländern und von Privatspendern im Tschad und in Darfur. Aber im Tschad ist es für uns einfacher. Wir können den Menschen nur helfen, wenn Regierungen und andere Geldgeber uns unterstützen. Und das klappt im Tschad besser als in Darfur. In Darfur bekommen wir von der internationalen Gemeinschaft einfach nicht die finanziellen Mittel, um die Menschen zu versorgen.
Was müsste Ihrer Meinung nach getan werden, um die Situation auch in Darfur zu verbessern?
Der Schutz von Flüchtlingen kostet Geld. Für dieses Jahr hat das UNHCR für ein Projekt, das bis zum Ende des Jahres 30 Millionen Dollar kosten wird, bisher lediglich etwa 1,5 Millionen Dollar erhalten. In West-Darfur gibt es zwei Millionen Flüchtlinge, Zehntausende wurden ermordet, Frauen werden vergewaltigt. Sie brauchen Hilfe und das kostet Geld. Wir appellieren vor allem an die Regierungen, haben aber bisher kaum Reaktionen darauf erhalten. Ich muss Ihnen sagen, dass mich das absolut verblüfft hat. Es gibt eine große Aufmerksamkeit von Seiten der Medien und der humanitären Organisationen, aber trotzdem läuft das Geld, um den Menschen zu helfen nicht ein. Natürlich ist das UNHCR nicht die einzige UN-Organisation in Darfur. Viele Nichtregierungsorganisationen und andere Organisationen, wie die GTZ, sind ebenfalls dort. Trotzdem: Das Geld um den Menschen zu helfen kommt nicht. Wir werden finanziell nicht genügend unterstützt und ich kann das einfach nicht begreifen.
Befürchten Sie, dass mehr Flüchtlinge versuchen werden in den Tschad zu gelangen? Wie wird sich dies auf die Situation dort auswirken?
Davon gehe ich aus. Lassen Sie mich Ihnen eine Geschichte erzählen, die verdeutlicht, wie schlimm die Lage ist. Ich habe kürzlich mit einer unserer jungen weiblichen UNHCR-Mitarbeiterinnen gesprochen. Sie erzählte mir, dass sie außerhalb des Lagers auf eine Gruppe alleingelassener Frauen und Kinder gestoßen sei. Natürlich bieten wir solchen gefährdeten Flüchtlingen sofortige Hilfe an und versorgen sie mit dem Nötigsten. Diese Frauen waren ihrem Schicksal überlassen, weil sie bei der Suche nach Feuerholz angegriffen und vergewaltigt worden waren. Wir fragten sie: 'Wenn ihr bei der Suche nach Feuerholz angegriffen und vergewaltigt werdet, warum schickt ihr nicht eure Ehemänner?' Sie antworteten: 'Wir würden unsere Männer schicken, aber sie würden getötet werden, während wir nur vergewaltigt werden.' Diese Menschen brauchen dringend Schutz und wir müssen da sein, um ihnen zu helfen.
Verlangt die Situation dann nicht nach militärischer Unterstützung?
Natürlich ist Sicherheit eine zentrale Voraussetzung und sie beginnt mit bewaffneten Friedenstruppen, damit die Soldaten die Menschen schützen können. Aber wir sind eine zivile Organisation und leisten eine andere Art der Sicherheit.
Wie ist die Zusammenarbeit des UNHCR mit der sudanesischen Regierung?
Wir wollen und müssen mit der Regierung zusammenarbeiten und unterhalten beispielsweise ein Büro in Khartum. Aber unsere Aufgabe und unser Adressat sind die Menschen selbst.
Könnte die sudanesische Regierung mehr tun oder hat sie mehr Anstrengungen unternommen als früher?
Ich denke, dass jeder mehr leisten kann. Aus diesem Grund üben wir Druck auf all unsere Partner aus – auch auf die Regierung des Sudan - viel mehr zu tun, um die Menschen zu schützen, denn es muss noch sehr viel mehr getan werden.