Der Sinn und Unsinn von Sanktionen
17. Mai 2013Welchen Zweck verfolgt das iranische Atomprogramm? Diese Frage treibt die internationale Gemeinschaft seit Jahren um. Strebt der Gottesstaat nach Atomwaffen? Oder soll man den Beteuerungen der iranischen Regierung glauben, dass es ausschließlich um die zivile Nutzung der Atomenergie geht? Niemand im Westen kann die Frage sicher beantworten.
Seit die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) 2006 Zweifel an der ausschließlich zivilen Nutzung des iranischen Atomprogramms im UN-Sicherheitsrat angemeldet hat, will die internationale Gemeinschaft eine Antwort erzwingen. Das Mittel der Wahl: Sanktionen.
Hartes Sanktionsregime
In mehreren Beschlüssen der Europäischen Union und in Abstimmung mit den USA wurden die Sanktionen 2012 erheblich verschärft. Die Bundesrepublik Deutschland verfolgt bei ihrer Sanktionspolitik wie die EU und die USA einen "doppelten Ansatz", den das Auswärtige Amt auf seiner Internetseite wie folgt erläutert: "Einerseits wird Iran eine umfassende Kooperation angeboten, für den Fall, dass er in der Frage seines Nuklearprogramms mit der Weltgemeinschaft kooperiert. Andererseits sollen Sanktionen den Iran zum Einlenken in der Nuklearfrage bewegen, solange er nicht kooperiert."
Die 2012 beschlossenen Sanktionen sind wesentlich drastischer und umfassender als alle vorherigen. Sie betreffen den Finanzbereich, schließen ein Öl- und Erdgasembargo mit ein, sowie lange Listen wichtiger iranischer Persönlichkeiten, Unternehmen und Institutionen, deren Bewegungsfreiheit international eingeschränkt wird. Die Bundesregierung betont immer wieder, dass sich die Maßnahmen nicht gegen die iranische Zivilbevölkerung richten.
Tatsächlich hat sich die Wirtschaftslage im Iran in den letzten Monaten dramatisch verschärft. Die Inflation steigt rasant, die Landeswährung, der Rial, hat 30 Prozent seines Werts eingebüßt, Lebensmittel wie Hühner- und Rindfleisch sind für die meisten Menschen unerschwinglich geworden. Regelmäßig kommt es bei lebensnotwendigen Medikamenten zu Engpässen. "Die ganze Bevölkerung leidet unter den Sanktionen." Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Dubai Initiative, ein Gemeinschaftsprojekt der Dubai School of Government (DSG) und der Harvard Kennedy School (HKS).
Kein Einlenken in Sicht
Trotz der Sanktionen hat der Iran bis heute keinerlei Zugeständnisse gemacht. Die jüngsten Atomgespräche im Frühjahr 2013 sind, wie alle Atomgespräche zuvor, ergebnislos geblieben. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Philipp Mißfelder (CDU), war im Vorfeld noch vom Erfolg der Sanktionen überzeugt und sagte im Deutschlandfunk: Der Westen hätte viel früher strenger auftreten müssen.
Das Gegenteil ist der Fall, sagen Kritiker. Der deutsch-iranische Politologe Ali Fathollah-Nejad ist der Ansicht, dass Sanktionen eine Lösung des Konflikts behindert haben, da sie die Fronten verhärteten, "denn der Machtvorsprung des Regimes gegenüber der Zivilgesellschaft wächst". Die Sanktionen träfen die Mittelschicht, die das Rückgrat des inländischen Widerstands gegen die Regierung bildet, viel härter als die herrschende Clique. In der Folge würde das Regime an Macht gewinnen und die Opposition an Einfluss verlieren.
Nicht zuletzt ist Fathollah-Nejad überzeugt, dass der Westen und der Iran verschiedene Perspektiven haben. "Der Westen denkt entlang von Kosten-Nutzen-Kalkulationen. Die Iraner sehen Sanktionen demgegenüber als illegitimes Druckmittel, gegen das man Widerstand leisten muss." Während der Westen also davon ausgeht, dass es einen Punkt gibt, an dem der Iran einknickt, erhöht der Druck tatsächlich die Widerstandsfähigkeit des Iran.
Das Problem der gezielten Sanktionen
Sanktionen erfüllen aber nicht nur nicht ihren Zweck, sondern treffen nach Ansicht vieler Kritiker die Falschen. Die Bevölkerung hat es doppelt schwer, denn sie leidet unter dem Regime und den Sanktionen.
Ein Beispiel dafür ist der Irak. In den neunziger Jahren verursachten die Sanktionen gegen das Land eine humanitäre Katastrophe, ohne die Machthaber zu Fall zu bringen. In der Folge haben eine Vielzahl von Experten Konzepte für sogenannte "kluge" oder "gezielte" Sanktionen vorgelegt. Ziel dieser Konzepte war es, Sanktionen als ein wichtiges Zwangsmittel zur Sicherung des Friedens, die in der UN-Charta (Kapitel 7, Artikel 41) vorgesehen sind, zu erhalten. Ungezielte Sanktionen, die ganze Bevölkerungen ins Elend stürzten, sind nämlich nur schwer mit dem Völkerrecht vereinbar und sollten der Vergangenheit angehören.
Im Falle des Iran, wo weitgehende Wirtschaftssanktionen jetzt wieder vor allem das Volk treffen, kann man aber kaum von gezielten Sanktionen sprechen. "Im Fall von Iran muss man davon ausgehen, dass die momentanen Sanktionen nicht mit dem Völkerrecht zu vereinbaren sind, weil sie de facto das soziale Gefüge ins Visier nehmen", sagt Fathollah-Nejad.
Lösungsansätze verzweifelt gesucht
Wie könnte ein Ausweg aussehen, der beiden Seiten eine akzeptable Lösung böte? Das konservative Internationale Institut für Sicherheitsstudien (INSS) der Universität Tel Aviv kommt in seiner jüngsten Studie zu dem Ergebnis, dass die Sanktionen gegen den Iran noch nicht schmerzhaft genug seien. Da der Iran immer noch nicht eingelenkt habe, sei eine Erhöhung des Drucks die logische Konsequenz.
Niema Movassat, der für die Partei Die Linke im Bundestag sitzt, hat sich mehrfach zu den Sanktionen gegen den Iran geäußert. "Ich lehne die Sanktionen gegen den Iran ab!" Er fordert ein grundsätzliches Umdenken: "Meiner Ansicht nach müsste der Westen den ersten Schritt gehen." Das bedeutet: Ein Ende der Sanktionen sowie Sicherheitsgarantien für alle Staaten in der Region. Längerfristig müssen die Doppelstandards bei der Nutzung der Atomenergie unbedingt beendet werden. Zum Beispiel müssten Pakistan und Israel, die beide anders als der Iran dem Atomwaffensperrvertrag nie beigetreten sind, aber im Gegensatz zum Iran Atomwaffen besitzen, nuklear abrüsten. "Wir müssen auch den Iran trotz seines menschenverachtenden Regimes endlich nach internationalem Recht behandeln." Wenn dies geschähe, stiegen auch die Chancen auf einen innenpolitischen Wandel im Iran selbst.