Der UN-Pakt, von dem fast niemand spricht
10. Dezember 2018Immerhin 36 der 193 UN-Staaten haben den Migrationspakt in Marrakesch abgelehnt. Der prominenteste unter ihnen: die USA. Aber auch die EU-Länder Ungarn, Österreich, Bulgarien, Tschechien und Polen wollen sich die Erklärung nicht zueigen machen.
Kommende Woche steht dann der UN-Flüchtlingspakt auf der Agenda. Wie der Migrationspakt geht auch er auf die New Yorker Erklärung von 2016 zurück, bei der sich die 193 UN-Mitglieder darauf verständigt hatten, "mit Menschlichkeit, Sensibilität und Einfühlsamkeit mit großen Flüchtlings- und Migrationsbewegungen umzugehen", wie es in Artikel 11 des Dokuments heißt.
USA und Ungarn wollen nicht
Am 17. Dezember soll die Vollversammlung in New York den Flüchtlingspakt verabschieden. Und bisher sah es so aus, dass mindestens 192 Staaten zustimmen würden. Eine Absage hatte bisher nur Washington signalisiert. Der UN-Flüchtlingspakt sei "unvereinbar mit der Immigrations- und Flüchtlingspolitik der USA", hieß es aus dem Weißen Haus.
Kurz vor dem Migrationsgipfel in Marrakesch dann hat sich auch Ungarns Regierung gegen den Flüchtlingspakt ausgesprochen. Auf ihrer Webseite zitiert die Regierung ihren Migrationsberater György Bakondi: Die Begriffe Migration und Asyl würden seit 2015 ständig durcheinandergeworfen. Ungarns Außenminister Peter Szijjártó bezeichnet den Flüchtlingspakt als "Hintertür" des Migrationspakts. Migranten, so die Befürchtung, könnten kurzerhand zu Flüchtlingen erklärt werden.
Den Berliner Migrationsexperten Marcus Engler wundert diese Lesart nicht: "Die ungarische Regierung versucht ja seit langem, die Migrationsdebatte für ihre Zwecke zu nutzen", sagte Engler der DW. Dabei enthalte der UN-Flüchtlingspakt eigentlich keine Verpflichtungen, denen Ungarn nicht bereits unterliege: "Darin steht nichts, was über die Genfer Flüchtlingskonventionen oder die Europäische Menschenrechtskonvention hinausginge", sagt Engler. Zudem sei der Flüchtlingspakt rechtlich ebenso unverbindlich wie der Migrationspakt.
Genau das könnte auch ein Grund sein, warum der Flüchtlingspakt bisher so wenig Beachtung fand: Während der Migrationspakt die erste Vereinbarung zwischen UN-Regierungen ist, die das Problem der massenhaften Migration in den Fokus nimmt, ist der Flüchtlingspakt eher eine Erinnerung an bereits bestehende Vereinbarungen, geflohenen Menschen Schutz zu gewähren.
Rückkehr, Umsiedlung, Lastenausgleich
Im Flüchtlingspakt sind nun vier konkrete Ziele zum Umgang mit diesen Menschen beschrieben: Es geht darum, die Staaten, die bisher besonders viele Flüchtlinge aufgenommen haben, stärker zu unterstützen und zu entlasten, darunter die Türkei, den Libanon und Jordanien, aber auch Iran, Pakistan und Uganda. Außerdem sollen Flüchtlinge stärker integriert werden - in den Arbeitsmarkt, das Bildungssystem etc. Und die Staaten sollen Geflohenen bei einer "Rückkehr in Sicherheit und Würde" in ihre Heimatländer helfen.
Das drittgenannte der vier Ziele lautet: "den Zugang zu Drittstaatenlösungen erweitern". "Dabei geht es vor allem um besonders schutzbedürftige Menschen", erklärt Engler: Kranke, Kinder, Alleinerziehende und anderweitig besonders verletzliche Menschen sollten demnach aus prekären Verhältnissen, wie sie in vielen Flüchtlingslagern herrschen, umgesiedelt werden - und zwar in Länder, die beispielsweise eine adäquate medizinische Versorgung bieten können. Nach Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR ist von den weltweit 24 Millionen Kriegsflüchtlinge eine Million besonders schutzbedürftig. Im ganzen Jahr 2018 werden voraussichtlich 50.000 dieser Menschen von Drittstaaten aufgenommen worden sein.
Warum zwei verschiedene Pakte?
All dies, betont Migrationsforscher Engler, sei im Grunde nichts Neues, sondern nur ein weiteres Bekenntnis zu bestehenden Übereinkünften. "Eine verbindlichere Regelung wäre sicher wünschenswert, aber dazu waren die Mitgliedstaaten nicht bereit."
Ob es nun sinnvoll war, einen Migrations- und einen Flüchtlingspakt zu entwerfen, darüber könne man lange diksutieren, sagt Engler. Klar sei allerdings, dass das internationale Recht zwischen Migration und Flucht unterscheidet, und das hätte auch jede UN-Vereinbarung tun müssen. "Beides in einen Pakt zu gießen, wäre wohl nicht weniger verwirrend gewesen", vermutet Engler. Allein aber, dass - Stand heute - dem Flüchtlingspakt 31 Staaten mehr zustimmen wollen als dem Migrationspakt, zeigt, dass auch die Regierungen einen Unterschied sehen.