Detroit: Verneigung vor der Vergangenheit
11. Januar 2016Wie kaum eine andere Stadt steht Detroit für Niedergang und Auferstehung. Für die Goldenen Zeiten der amerikanischen Autobauer in den 1920ern und die Zeiten tiefer Depressionen ab den 1980er Jahren.
In diesem Jahr hat der US-Präsident sein Kommen angekündigt. Am 20. Januar will Barack Obama die North American International Auto Show, kurz NAIAS, besuchen. Es ist Teil seiner Abschiedstour im letzten Jahr seiner Präsidentschaft, geplant als Festakt für seine Politik. Die Wirtschaft boomt, Kredite sind billig und die Amerikaner in Kauflaune.
Vergangenes Jahr hat die amerikanische Autoindustrie mehr Autos verkauft als je zuvor. Alle drei großen US-Hersteller machten Gewinn, Ford und General Motors (GM) sogar richtig viel.
Auch für deutsche Autohersteller ist der amerikanische Markt interessant wie lange nicht. Verkaufsschlager sind weiterhin die großen, Geländewagen ähnlichen SUV vom Typ BMW X5 und der Mercedes M-Klasse. Mit den sinkenden Benzinpreisen ist sie wieder da, die ungezügelte Lust auf Größe und PS, ohne Rücksicht auf Ressourcen oder Umweltschutz.
VW vor Neuanfang
Sorgenkind VW spielt in den USA traditionell in einer anderen Liga und hat sich durch den Betrugsskandal noch weiter ins Abseits gestellt. Auch in Detroit kann noch niemand wirklich einschätzen, ob die starken Worte der Entschuldigung und Reue, die VW-Chef Matthias Müller am Vorabend der offiziellen Eröffnung fand, sowie das Versprechen zur Besserung und das klare Bekenntnis, auch in Zukunft Arbeitsplätze in den USA zu schaffen, reichen werden, das Ruder herumzureißen.
Also abgesehen von den Wolfsburgern alles bestens in den großen, geschichtsträchtigen Messehallen? Dort wurde seit Wochen geschraubt und gewienert, um alles vorzubereiten an den Ständen der 70 Aussteller, die mit knalligen Effekten die insgesamt rund 800.000 Besucher bei Kauflaune halten sollen.
Was spürbar fehlt, ist wirklich frischer Wind. Das Gefühl von Aufbruch und Neuanfang. Etwas angestaubt wirkt die Inszenierung, trotz allem Glanz und Glitzer, wie eine große Verneigung vor der Vergangenheit.
Messe von Gestern?
"Detroit als erste große Messe des Jahres hat sich eigentlich überholt, weil die wirklichen Trends mittlerweile in Las Vegas auf der CES präsentiert werden", sagt Stefan Voswinkel von Auto Bild.
Die Consumer Electronics Show ist eine der weltweit größten Fach-Messen für Unterhaltungselektronik. Es sei kein Zufall, dass dort zu sehen sei, wie die großen Umbrüche in der Automobilindustrie aussehen werden. "Autofahren und Unterhaltungselektronik sind nicht mehr zu trennen", sagt Voswinkel.
Zu ähnlichen Schlüssen kommt die Unternehmensberatung McKinsey in ihrer jüngsten Studie. Autonomes Fahren ist demnach einer der Megatrends. Bis 2030, so die Prognose, könnten bis zu 15 Prozent der Neufahrzeuge autonom fahren.
Als weiteren Trend macht McKinsey den Wunsch nach maßgeschneiderten Angeboten aus. Also nicht mehr den einen großen Wagen für alles, sondern verschiedene Angebote je nach aktueller Situation. Ein dicker Wagen in der eigenen Garage kann nicht alle Bedürfnisse gleichzeitig befriedigen. Man will den Flitzer mit offenem Verdeck für den Ausflug zum Strand und einen geräumigen Transporter für die Einkaufsfahrt.
Dabei sagt das Unternehmen voraus, dass immer mehr Menschen sich ihre Fahrzeuge künftig teilen werden, Carsharing also schnell zunehmen wird. Comfort statt Besitz.
Auch ist sich McKinsey sicher, dass der Trend zum E-Auto durch die derzeitig günstigen Benzinpreise vielleicht eine kleine Delle erhält, aber grundsätzlich nicht aufgehalten werden kann. Besonders für große Städten prognostizieren die Wissenschaftler eine massive Veränderung schon in den kommenden 15 Jahren.
Automobile Hausmannskost
All das sind Anforderungen, auf die traditionelle Unternehmen reagieren müssen. In Detroit ist davon wenig zu sehen. "Bei dem Auto der Zukunft geht es um die Digitalisierung, um autonomes Fahren - und diese Trends wurden letzte Woche in Las Vegas gezeigt", sagt Voswinkel.
Umweltfreundliche und sichere Autos würden mittlerweile als Standard angesehen. "Detroit liefert letztlich nicht mehr als die zu erwartende Hausmannskost. Zukünftige Fortschritte werden bei der Elektronik und der Vernetzung gemacht."
Dass trotz allem die Hallen voll werden und die Besucher strömen, mag an der großen Geschichte der Stadt und der Schau liegen, der gut eingeführten Marke, letztlich aber auch am Erfolg der großen US-Automarken, vor dem man sich "natürlich auch verneigen muss", sagt Autoexperte Voswinkel.
Und das Autoland Deutschland? Schwer zu sagen. Audi habe seine Hausaufgaben gemacht, sei nicht zufällig bereits vor fünf Jahren der erste deutsche Autobauer in Las Vegas gewesen. Und letztlich könne es sogar sein, dass VW von diesen neuen Anforderungen profitiere.
"Der Manipulationsskandal zwingt das Unternehmen in einen radikalen Umbau", sagt Voswinkel. "Vielleicht sind jetzt die Jahre des Größenwahn vorbei und die Autobauer können wieder zeigen, dass sie wirklich und ehrlich innovativ sind."