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Deutsche Konjunktur als Wundertüte

4. August 2023

Die deutsche Industrie macht schwere Zeiten durch oder steht vor noch schwereren Herausforderungen - je nach Sichtweise. Obwohl es auch hoffnungsvolle Zahlen gibt, bleibt die Lage uneinheitlich und unübersichtlich.

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Produktion beim Ventilatoren-Hersteller ebm-papst in Mulfingen
Bild: Philipp Reinhard/ebm-papst

Die angeschlagene deutsche Industrie meldet sich zurück: Ihre Aufträge wuchsen im Juni völlig überraschend um sieben Prozent im Vergleich zum Vormonat und damit so stark wie seit drei Jahren nicht mehr. Großaufträge - insbesondere aus der Luft- und Raumfahrtbranche - trugen dazu bei, wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte.

Die Aufträge im Maschinenbau stiegen im Juni saison- und kalenderbereinigt um 5,1 Prozent im Vergleich zum Mai. Dabei sorgte allein der Großauftrag für Airbus im Bereich "sonstiger Fahrzeugbau" für ein Plus von 89,2 Prozent. Die indische Fluggesellschaft IndiGo hatte bei der Luft- und Raumfahrtausstellung in Le Bourget bei Paris 500 Maschinen vom Typ A320 in Auftrag gegeben - Wert laut Listenpreis 55 Milliarden Dollar (50,3 Milliarden Euro).

Dennoch kommt das Plus unerwartet, zumal in dieser Größenordnung: Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten mit einem Rückgang von zwei Prozent gerechnet, nachdem es schon im Mai mit 6,2 Prozent einen ungewöhnlich kräftigen Zuwachs gegeben hatte.

Ein Jet der indischen Fluggesellschaft IndiGo auf dem Flughafen von Mujmbai
Die Bilanz der Auftragslage wird bestimmt durch die A320-Bestellung der indischen Airline IndiGoBild: Ashish Vaishnav//SOPA Images/picture alliance

Rezession oder nicht?

Angesichts dieser Nachrichten warnt Volkswirt Marc Schattenberg von Deutsche Bank Research allerdings: "Der erneut sehr kräftige Auftragseingang darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutsche Industrie im Gegenwind von schwächelnder Globalkonjunktur, hohen Energiepreisen und gestiegenen Finanzierungskosten steht. Das spiegelt sich auch in der Schwäche der einschlägigen Stimmungsindikatoren wider."

"Wieder einmal eine faustdicke Überraschung, allerdings auf der erfreulichen Seite. Ist die Rezession am Ende nur ein böser Traum gewesen?", fragte sich LBBW-Ökonom Jens-Oliver Niklasch angesichts dieser unerwartet positiven Auftragsentwicklung. "So düster, wie derzeit die wirtschaftliche Situation Deutschlands als kranker Mann Europas skizziert wird, ist die Lage nicht", sagte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel.

Allerdings deuten Frühindikatoren wie das Ifo-Geschäftsklima darauf hin, dass die drei Quartale in Folge nicht mehr gewachsene größte Volkswirtschaft Europas nach wie vor in einer Konjunkturflaute steckt. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer hält die Auftragsflut daher nicht für nachhaltig, zumal sie auf Großaufträge zurückgeht. "Der Trend bei den Orders weist immer noch nach unten", sagte Krämer. "Ich erwarte nach wie vor, dass die deutsche Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte schrumpfen wird."

Lackierung und Endkontrolle von Artilleriegranaten bei der Rheinmetall AG am Standort Unterluess
Eine Neuentwicklung ist die Bedeutung, die inzwischen die Waffenproduktion erlangt hatBild: Sepp spiegl/IMAGO

Kein Grund zum Jubeln

Weniger gut sei das Bild, so das Bundesamt, wenn man auf das gesamte zweite Quartal blicke: Von April bis Juni legten die Bestellungen lediglich um 0,2 Prozent im Vergleich zur Vorperiode zu. "Durch die beiden deutlichen Anstiege in den Monaten Mai und Juni ist der Auftragseinbruch im März von 10,9 Prozent also ausgeglichen worden", erklärten die Statistiker.

Das Bundeswirtschaftsministerium sieht daher keinen Grund zum Jubeln: "Dennoch bleiben die Aussichten für die Industriekonjunktur angesichts des weiter eingetrübten Geschäftsklimas und der schwachen Weltkonjunktur vorerst verhalten". Immerhin: "Die Produktion erhält damit neue Nahrung", sagte der Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank AG, Alexander Krüger, zur anziehenden Nachfrage.

Die Bestellungen aus dem Inland gaben im Juni gegen den Trend um zwei Prozent zum Vormonat nach, während die Auslandsnachfrage um 13,5 Prozent zulegte - die aus der Euro-Zone dabei um 27,2 Prozent. Einen besonders positiven Einfluss hatten der sogenannte sonstige Fahrzeugbau mit Plus von 89,2 Prozent. Dazu zählen der Bau von Schiffen, Schienenfahrzeugen, Luft- und Raumfahrzeugen sowie von Militärfahrzeugen.

Eine Mitarbeiterin der Firma Pilz arbeitet in der Produktion für Automatisierungstechnik
Die Auftragslage beim für die Konjunktur wichtigen Maschinenbau lässt zu wünschen übrigBild: Bernd Weißbrod/dpa/picture alliance

Sorgenkind Maschinenbau 

Im deutschen Maschinenbau ist vorerst kein Ende der Auftragsflaute in Sicht. Nach einem weiteren Rückgang der Bestellungen im Juni verzeichnete die Branche im ersten Halbjahr preisbereinigt (real) ein Minus gegenüber dem Vorjahreszeitraum von 14 Prozent, wie der Maschinenbauverband VDMA am Dienstag in Frankfurt mitteilte. "Zahlreiche Unternehmen zehren zwar noch von hohen Auftragsbeständen, bei den Neubestellungen wird die Luft aber langsam eng. Eine Trendwende ist bisher nicht in Sicht», sagte VDMA-Chefvolkswirt Ralph Wiechers.

Im Juni sanken die Bestellungen den Angaben zufolge um 15 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. «Der Maschinen- und Anlagenbau bekommt die zögerliche Investitionsneigung in praktisch allen Absatzregionen  nun voll zu spüren», erläuterte Wiechers. Als Gründe nannte er die Zinserhöhungen von Notenbanken zur Eindämmung der Inflation. Höhere Zinsen verteuern Kredite. Das kann die Nachfrage bremsen.

Bauarbeiter in Berlin während ihrer Frühstückspause
Ein aussagekräftiges Indiz für die Konjunktur-Entwicklung ist immer die Lage am BauBild: Thomas Koehler/photothek/picture alliance

Schatten auch am Bau

In der vergangenen Woche hatte die Baubranche ebenfalls von anhaltenden Schwierigkeiten berichtet. Die Auftragslage auf dem Bau habe sich auch im Mai nicht nachhaltig verbessert. Im Vergleich zum April des laufenden Jahres verzeichnete das Bauhauptgewerbe zwar ein reales Auftragsplus von 3,5 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte. Zum Vorjahresmonat lagen die Bestellungen aber im Minus: sowohl bereinigt um Preissteigerungen (minus 5,7 Prozent) als auch nominal (minus 2,1 Prozent).

Hohe Baupreise und gestiegene Zinsen belasten seit Monaten die Nachfrage. In den ersten fünf Monaten des Jahres 2023 sanken die Auftragseingänge im Bauhauptgewerbe nach Angaben der Wiesbadener Statistiker im Vergleich zum Vorjahreszeitraum kalender- und preisbereinigt (real) um 14,7 Prozent und nominal um 3,7 Prozent.

dk/hb (dpa, rtr, afp)