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"Zugsicherung ist deutschlandweit im Einsatz"

Hannah Fuchs9. Februar 2016

Bei dem Bahnunglück in Bayern läuft die Suche nach der Ursache. War's ein Fehler bei der Technik? Bahnexperte Uwe Höft erklärt im Interview, dass auch automatische Sicherungen manchmal manuelle Befehle benötigen.

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Punktförmige Zugbeeinflussung PZB (Foto: dpa).
Bild: picture-alliance/dpa/J.Woitas

Deutsche Welle: Noch ist nicht bekannt, wie es zu dem Unglück kommen konnte - ob es menschliches Versagen war oder ob ein technisches Problem vorlag.

PZB 90 heißt das Sicherungssystem, das an dem betroffenen eingleisigen Streckenabschnitt - und auch deutschlandweit - im Einsatz ist. Können Sie erklären, wie genau das funktioniert?

Uwe Höft: Diese "Punktförmige Zugbeeinflussung" (PZB) ist eigentlich ein sehr zuverlässiges und schon relativ altes System bei der Bahn.

Es funktioniert folgendermaßen: An der Strecke - zum Beispiel an kritischen Punkten, wie an Signalen - und am Fahrzeug sind Elektromagnete fest installiert, die die Geschwindigkeit des Zuges kontrollieren.

Professor Uwe Höft (Foto: Höft).
Professor Uwe HöftBild: privat

Zum Beispiel sind Halt zeigende Signale mit einem scharfgeschalteten 2000 Hz-Magneten gesichert. Würde jetzt ein Zug das Signal überfahren, würde er automatisch abgebremst.

Davor gibt es weitere Magneten, wie den 1.000 Hz-Magneten. Der liegt zum Beispiel an einem Vorsignal. Wenn der Zug auf ein Halt zeigendes Signal zufährt, dann muss der Lokführer das an dem Vorsignal entsprechend quittieren und seine Fahrweise entsprechend einstellen - also den Zug abbremsen. Tut er das nicht, wird der Zug automatisch gebremst.

Und dann gibt es zwischendrin noch einen 500 Hz-Magneten, der auch noch einmal die Geschwindigkeit überwacht. Der liegt meistens 150 bis 300 Meter vor dem Signal. Hat der Zug dann noch immer eine bestimmte Geschwindigkeit nicht unterschritten, wird auch automatisch eine Zwangsbremsung eingeleitet.

Und dass zwei Züge auf dem selben Gleis aufeinander zufahren - wie kann das sein?

Das dürfte normalerweise nicht passieren. Für den sicheren Zugbetrieb und die Abwicklung des Zugbetriebs ist der sogenannte Fahrdienstleiter verantwortlich. Der gibt die Zustimmung zu Zugfahrten und sorgt dafür, dass diese Dinge nicht passieren. Dabei wird er natürlich durch die Technik unterstützt.

Bei Störungen gibt es dann verschiedene Rückfallebenen, wo dann wieder Menschen handeln müssen - und vor allen Dingen richtig handeln müssen.

Weshalb in diesem Fall ein Unglück passiert ist, darüber kann man spekulieren. Es ist Aufgabe des Eisenbahn-Bundesamtes beziehungsweise der Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle, diesen Sachverhalt zu klären. Sie werden verschiedene Daten auswerten: die Telefonate zwischen den Zugführern und Fahrdienstleitern und natürlich auch die Blackbox. Sie zeichnet alle Handlungen des Lokführers auf.

Was wären denn zum Beispiel denkbare Fehler, die dem System unterlaufen könnten?

Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, dass ein Signal gestört ist. Auch dann muss es die Chance geben, daran vorbeizukommen. Dafür gibt es dann Tastenbedienungen im Stellwerk: Ich kann ein sogenanntes Ersatzsignal schalten. Dann erkennt der Lokführer: "Okay, ich darf jetzt an diesem Signal vorbeifahren".

Aber sollte man an einem Halt zeigenden Signal überhaupt jemals vorbeifahren?

Nein. Eben dafür sind sie da: Man soll halten. Aber es gibt manchmal eben Fälle, wo das Signal gestört ist. Dann muss ich trotzdem den Bahnbetrieb weiter aufrecht erhalten können.

Das ist dann vom Sicherheitsniveau sicherlich nicht so hoch, aber dafür gibt es normalerweise den Fahrdienstleiter und den Triebfahrzeugführer. Beide müssen dann nach den festgeschriebenen Regelwerken handeln.

Die einfachste Variante ist dann tatsächlich, dass der Fahrdienstleiter ein Ersatzsignal gibt. Dieses Signal zeigt dem Triebfahrzeugführer, dass er an dem Halt zeigenden Signal vorbeifahren darf.

Solche Möglichkeiten gibt es, weil es eben auch technische Störungen im Bahnbetrieb gibt.

Nun sind wir beim autonomen Fahren aber doch eigentlich schon viel weiter. Gibt es in absehbarer Zeit keine Technik, die solche Magnetsignale ablösen könnte?

Im Prinzip gibt es modernere Sicherungstechnik, die ein autonomes Fahren theoretisch auch ermöglichen würde. Aber das Streckennetz in Deutschland würde hinsichtlich der Streckenlänge und des Investitionsaufwands noch einiges erfordern. Es wird wahrscheinlich noch sehr, sehr lange dauern, bis solche Systeme wirklich sicher laufen.

Was wäre denn zum Beispiel eine modernere Sicherungstechnik?

Also: Es gibt dieses neue europäische Zugsicherungssystem, das "European Train Control System" (ETCS). Das ist gerade auf der Neubaustrecke zwischen Leipzig und Erfurt in Betrieb gegangen.

Und dann gibt es eine Strecke zwischen Berlin und Leipzig, wo auch diese Technik verbaut ist, allerdings gibt es da Unterschiede. Zwischen Berlin und Leipzig stehen auch noch konventionelle Signale - als Rückfallebene.

Auf der Strecke Leipzig-Erfurt hat man komplett auf die Signale verzichtet. Dort arbeitet man mit sogenannten "Balisen". Die kann man sich wie kleine Funksensoren vorstellen, die im Gleisbett verlegt sind. Darüber werden die Informationen zwischen dem Zug und dem Fahrdienstleiter ausgetauscht. Das geht schon sehr stark in Richtung automatisiertes Fahren - auch wenn dann noch immer ein Lokführer dabei ist. Das ließe sich auch am ehesten automatisieren.

Aber…?

Der Investitionsaufwand ist gigantisch. Flächendeckend wird das in Deutschland sicherlich nicht in naher Zukunft im Einsatz sein - sondern weiterhin das PZB-System, was auch sehr zuverlässig funktioniert.

Über PZB hört man aber auch, dass es - wie Sie auch schon sagten - "signaltechnisch nicht sicher" ist. Gibt es hier nicht die Möglichkeit, dass man nachrüstet?

Dann müsste man das Sicherungssystem komplett auswechseln. Von der Grundkonzeption her sind bei PZB ganz viele Mängel abgestellt. Aber wie gesagt, wenn dann Ausnahmesituationen auftreten, und Menschen handeln - und Menschen machen Fehler - dann kommt es leider auch zu Unfällen. Die hundertprozentige Sicherheit wird es wahrscheinlich auch bei automatischen Systemen wie dem ETCS nicht geben.

Professor Dr. Uwe Höft vertritt das Fachgebiet Marketing und Innovation an der Fachhochschule Brandenburg. Er befasst sich dort mit dem System Bahn. Außerdem ist er Herausgeber der Zeitschrift Privatbahn Magazin.

Das Interview führte Hannah Fuchs.