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Deutschland aus der Konserve

Greta Hamann15. Mai 2013

Vom Bauernhof zum Bauhaus: Der Einfluss deutscher Immigranten in Brasilien ist bis heute sichtbar. Im Deutschlandjahr sollen alte Klischees durch eine neue Sicht auf die deutsche Kultur ersetzt werden.

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Oktoberfest in Blumenau (Foto: Marcelo Martins)
Bild: Marcelo Martins

Wer erleben möchte, wie man in manchen Teilen Deutschlands vor mehr als 100 Jahren lebte, sollte nach Brasilien fahren. In der Stadt Blumenau im Süden des Landes wird mittags im "Himmelblau Palace Hotel" Eisbein mit Sauerkraut serviert und deftiges "Eisenbahn"-Bier ausgeschenkt. Abends erklingen "Prosit"-Gesänge aus Fachwerkhäusern. Gängige Sprache ist nicht etwa brasilianisches Portugiesisch, sondern ein alter Hunsrücker Dialekt.

In Südbrasilien hat sich das alte Deutschland wie in einer Konservendose erhalten. Traditionelle Bräuche werden bis heute gepflegt. Die 300.000- Einwohner-Stadt Blumenau beispielsweise rühmt sich damit, nach München mit rund 500.000 Besuchern das zweitgrößte Oktoberfest weltweit zu veranstalten. In Städten wie Blumenau, Novo Hamburgo oder São Leopoldo zeigt sich der starke Einfluss deutscher Einwanderer auf die brasilianische Kultur.

Drei junge Frauen im Dirndl mit hügeliger Flusslandschaft im Hindergrund (Foto:oktoberfestitapiranga.com.br )
Heimatfilm-Romantik: die Oktoberfestköniginnen von Itapiranga 2011Bild: oktoberfestitapiranga.com.br

Die ersten deutschen Einwanderer kamen im Jahr 1824 in Porto Alegre, Hauptstadt des südlichsten brasilianischen Bundesstaates Rio Grande do Sul, an. Sie gründeten die Stadt São Leopoldo, die noch immer als "Wiege der deutschen Einwanderung" gilt. Die Stadt wurde nach der Erzherzogin Leopoldine aus dem Hause Habsburg benannt. Diese holte nach ihrer Heirat mit dem späteren brasilianischen Kaiser Pedro I. deutsche Siedler in ihre neue Heimat. Die verarmten Kleinbauern aus dem Hunsrück und Pommern hofften auf ein besseres Leben in Südamerika.

Pickelhaube und Schuhplattler

Rund ein Viertel aller Bewohner Porto Alegres haben deutsche Wurzeln. Genau wie unter vielen anderen Brasilianern ist auch ihr Deutschlandbild häufig von überlieferten Erinnerungen an die Heimat der Vorfahren und von veralteten Klischees geprägt. Doch jenseits der gängigen Stereotypen von Preußentum und Porsche, Pickelhaube und Schuhplattler, Fußball und Volksmusik, haben sich deutsche Kultur und Traditionen scheinbar unbemerkt mit zahlreichen Bereichen des brasilianischen Lebens vermischt.

Die deutsch-brasilianische Symbiose beschäftigt Kulturwissenschaftler und Historiker gleichermaßen. So bemüht man sich am Martius-Staden-Institut in São Paulo, nicht nur die Familiengeschichte deutschsprachiger Volksgruppen aufzuarbeiten, sondern auch den Mentalitätswandel, der mit der Immigration aus Europa einherging. Institutsleiter Eckhard Kupfer wirbt für ein neues, "aufpoliertes" Deutschlandbild.

Aus diesem Grund initiierte er eine Wanderausstellung über den deutschen Naturforscher Fritz Müller. Der Wissenschaftler kam Mitte des 19. Jahrhunderts als deutscher Einwanderer nach Blumenau und leistete mit seinen Beobachtungen einen wichtigen Beitrag zu Darwins Evolutionstheorie. "Jeder kennt Darwin, aber keiner kennt Fritz Müller", erklärt Eckhard Kupfer.

Nach Angaben Kupfers stand der deutsche Naturforscher Fritz Müller 16 Jahre lang mit Charles Darwin in Briefkontakt und unterrichtete ihn regelmäßig über seine Beobachtungen in der teils noch unberührten Natur rund um Blumenau. Charles Darwin nannte ihn später "Fürst der Beobachter". "Ohne Müller hätte es Darwin gar nicht gegeben", stellt Eckhard Kupfer klar.

Bauhausstil am Zuckerhut

Auch in der Architektur Brasiliens ist der deutsche Einfluss spürbar. So kann man bei einem Bummel durch die Großstädte São Paulo oder Rio de Janeiro noch zahlreiche Gebäude im Bauhausstil entdecken. Unter anderem sind das Museum für Moderne Kunst in São Paulo oder die Hochschule für Industriedesign in Rio von der Architektur des Bauhaus-Gründers Walter Gropius inspiriert. Dies gilt auch für die von den berühmten Architekten Oscar Niemeyer und Lúcio Costa entworfene Hauptstadt des Landes Brasília.

Eine Reihe quaderförmiger Hochhäuser in Brasilia (Foto: AP/dapd)
Brasilianische Bauhaus-Variante: Ministerien in BrasíliaBild: AP

In Zeiten der Globalisierung liegt zudem die deutsche Sprache wieder voll im Trend. So verzeichnet das Goethe-Institut in Porto Alegre großen Zulauf bei Deutschkursen. "Die meisten Brasilianer wollen neben Englisch eine weitere Sprache erlernen", erläutert Instituts-Direktor Reinhard Sauer. "Viele haben Vorkenntnisse und wollen den Dialekt, den sie  von Omi und Opi gelernt haben, in ein reines Hochdeutsch verwandeln", fügt er hinzu. Schließlich wollten sie auch im "echten Deutschland" verstanden werden.

Sauer lebt seit 18 Jahren in Brasilien. Er hat sich fest vorgenommen, das veraltete Deutschlandbild, dem sowohl viele Nachfahren deutscher Einwanderer als auch Brasilianer anhängen, zu vertreiben. Statt bayerische Touristenattraktionen wie das Münchner Oktoberfest oder das Schloss von Märchenkönig Ludwig II. am Herrenchiemsee zu thematisieren, setzt er im Goethe-Institut auf die geistige Auseinandersetzung mit deutschen Philosophen.   

"Unsere Veranstaltungen zu Kant, Hegel, Schopenhauer, Nietzsche, Heidegger, zur Frankfurter Schule oder zu aktuellen Philosophen wie Peter Sloterdijk, haben enormen Zulauf", erklärt Sauer. Dieses Interesse hätte zunächst kaum jemand erwartet. Doch mittlerweile spielten deutsche Philosophen sogar in den brasilianischen Geisteswissenschaften eine große Rolle.

Auch der deutsche Dramatiker und Lyriker Berthold Brecht hat bis heute noch großen Einfluss auf die brasilianischen Theatermacher. Und unter brasilianischen Fachleuten aus dem Bereich Tanz gibt es wohl kaum jemanden, der Pina Bausch und das Tanztheater Wuppertal nicht kennt.

Die Liste deutscher Einflüsse auf die brasilianische Kultur ist noch lange nicht erschöpft - ob deutsche Märchen, klassische Musik, aktuelle Elektronikmusik, Literatur oder Kino: Die deutsche Kultur ist aus dem brasilianischen Alltag kaum mehr wegzudenken.