Deutschland droht US-Truppenabzug
7. Januar 2012Auch die US-Amerikaner müssen sparen. Angesichts einer Staatsverschuldung von über 15 Billionen US-Dollar scheint dies kaum zu verwundern. Zwei exorbitant teure Kriege im Irak und Afghanistan haben den US-Verteidigungshaushalt in den vergangenen zehn Jahren förmlich explodieren lassen. Deshalb könne man die Streitkräfte von den Sparmaßnahmen auch nicht ausnehmen, sagte US-Präsident Barack Obama bei einem seiner äußerst seltenen persönlichen Auftritte im Pentagon in Washington am Donnerstag (05.01.12). Eigenhändig stellte Obama die neue US-Verteidigungsstrategie vor. Es soll nicht willkürlich, linear oder flächendeckend in allen Bereichen gekürzt werden, sondern allein unter strategischem Vorzeichen.
Mit ihrer neuen Militärstrategie liegt der Schwerpunkt der USA in Zukunft stärker auf dem asiatisch-pazifischen Raum, gefolgt vom Mittleren Osten. Europa rutscht in der geographischen Prioritätenliste der US-Amerikaner damit auf Position drei. Bisher hatten die Europäer hier noch auf dem ersten Platz gestanden. Die asiatisch-pazifische Region und der Nahe Osten hätten "wachsende Bedeutung für die Zukunft der USA mit Blick auf Wirtschaft und nationale Sicherheit", sagte US-Verteidigungsminister Leon Panetta. Dort werde die Präsenz ausgebaut. Doch auch in Bündnisse und Allianzen wie die NATO solle verstärkt investiert werden.
"Truppenpräsenz in Europa wird weiter zurück gefahren"
Das Engagement in Europa werde sich "notwendigerweise" den neuen Gegebenheiten anpassen, sagte Panetta, "vor allem im Lichte der Sicherheitsbedürfnisse des Kontinents verglichen mit strategischen Prioritäten anderswo". Mit derzeit rund 52.000 Soldaten ist Deutschland der zweitgrößte Stationierungsort der US-Armee. Doch wie lange noch? "Die Amerikaner werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ihre Truppenpräsenz in Europa weiter zurück fahren und damit auch Standorte schließen", wagt Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS), einen Blick in die Zukunft. Einige Regionen in Deutschland könnten aufgrund der neuen militärischen Ausrichtung der USA wirtschaftlichen Schaden nehmen, sollten die US-Amerikaner wirklich ihre Truppenstärke hierzulande reduzieren. Auch Oliver Thränert, Sicherheits-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik geht von Truppenreduzierungen aus, rechnet aber nicht mit einem "vollständigen Abzug", erläutert er im Interview mit DW-WORLD.DE. "Vor allem der Standort Ramstein ist für die Kommando- und Kommunikationsstrukturen, sowie für die medizinische Versorgung von enormer Bedeutung für die amerikanischen Soldaten."
Konkreter werden die Auswirkungen der neuen Strategie für Deutschland, wenn man in eine auf der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichte Geheim-Depesche des US-Außenministeriums blickt. Die Depesche stammt vom 21. Januar 2010. Der streng vertrauliche Inhalt: Bis spätestens 2015 sollen insgesamt 10.471 US-Soldaten und -Angestellte aus Deutschland abgezogen werden. Betroffen sind 23 Standorte vornehmlich in Hessen und Baden-Württemberg. Die aufgegebenen Objekte sollen der Bundeswehr übergeben werden, doch aufgrund der tiefgreifenden Bundeswehrreform wird man dort sicherlich nur begrenzten Bedarf haben. In Mannheim rechnet man daher aufgrund des Truppenabzugs mit Haushaltseinbußen in Höhe von rund sechs Millionen Euro - pro Jahr. In Heidelberg, der ältesten US-Garnisonsstadt, gar mit 7,5 Millionen Euro Verlust.
Amerikaner haben noch Kernwaffen in Deutschland
Was mit den letzten 20 stationierten Atomwaffen der USA auf dem Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz passieren soll, ist in dem neuen Strategiepapier nicht vermerkt. Zwar stehe in dem Papier, dass die Amerikaner zu der "klassischen Verteidigung" Europas nicht mehr so stark beitragen müssten, wie in der Vergangenheit, sagt BITS-Leiter Nassauer. Trotzdem wollen sie ihren Bündnisverpflichtungen durch Stationierung und Truppenpräsenz in Europa weiter nachkommen. "Sollten sie aber ihre Truppenstärke reduzieren, könnten die USA im Gegenzug ihre nuklearen Waffen stärker politisch signalisieren", sagt Nassauer. Damit es nicht heisse, die Amerikaner kämen ihren Verpflichtungen nicht mehr nach. Insofern könnte ein anders gewichtetes Argument für die kontinuierliche Präsenz von Kernwaffen entstehen. Allerdings hatte sich Präsident Obama den Kampf für eine atomwaffenfreie Welt auf die Fahnen geschrieben. "Man könnte es auch so interpretieren, dass über weitere nukleare Abrüstung nachgedacht wird."
Mehr Engagement von Deutschland gefordert
Auch von einer neuen Aufgabenverteilung für die Deutschen in der amerikanischen Militärstrategie geht Nassauer aus. "Europa ist nicht in erster Linie Konsument von Sicherheit, die die Amerikaner bereit stellen, sondern ist zusammen mit den Amerikanern ein Lieferant von Sicherheit weltweit", sagt der Sicherheits-Experte. "Man kann davon ausgehen, dass die Amerikaner an die Deutschen den Anspruch stellen werden, einen entsprechenden Anteil der militärischen Verteidigungslasten zu übernehmen." Was nichts anders bedeutet, als dass die Deutschen sich mit ihren Streitkräften zur Aufrechterhaltung der Weltordnung betätigen sollen.
Zu einem ähnlichen Fazit kommt auch Sicherheits-Experte Thränert. "Europa wird auch weiterhin ein wichtiger Partner für die USA bleiben, aber wenn es um Konflikte vor der eigenen Haustür geht, dann wird Europa die in Zukunft alleine regeln müssen."
Autor: Arne Lichtenberg
Redaktion: Pia Gram