Kommt ein generelles Abschiebeverbot für Iraner?
29. November 2022Geht es nach Bundesinnenminister Nancy Faeser (SPD), dann soll es ein generelles Abschiebeverbot in Deutschland für iranische Staatsbürger geben. Das gewaltsame Vorgehen der Regierung in Teheran gegen Demonstranten lässt in ihren Augen gar keine andere Wahl, alles andere hält sie für unverantwortlich. So äußerte sie sich mehrfach gegenüber Medien. Entzündet haben sich die Proteste im September nach dem Tod der 22-jährigen Kurdin Jina Mahsa Amini im Gewahrsam der Sittenpolizei.
Einige deutsche Bundesländer haben angesichts der Vorgänge im Iran bereits einen Abschiebestopp für sich beschlossen: Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein sowie Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Faser hat weitere Länder aufgefordert, dem Beispiel zu folgen. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius will bei der Innenministerkonferenz seinen Länderkollegen einen allgemeinen Abschiebestopp vorschlagen. "Die Menschenrechtslage ist katastrophal und die Lage wird jeden Tag dramatischer", sagte er zur Begründung.
Auch die schleswig-holsteinische Integrations- und Gleichstellungsministerin Aminata Touré (Grüne) fordert das: "Die Menschen aus dem Iran, die hier leben, sind verzweifelt", sagte Touré kürzlich im Kieler Landtag. Ihre "aufenthaltsrechtlichen Herausforderungen" müssten "im Zusammenschluss aller Bundesländer und dem Bund neu bewertet und diskutiert werden". Für die Grünenpolitikerin kann das nur ein generelles Abschiebeverbot bedeuten.
Lindholz: "keine Freifahrtscheine" für Straftäter
Aber das ist keine einhellige Meinung. Widerstand kommt von mehreren unionsgeführten (CDU oder bayerischer CSU) Bundesländern und von Unionspolitikern im Bundestag.
Die CSU-Innenpolitikerin Andrea Lindholz erläutert die Einwände gegenüber der DW: "Ein generelles Abschiebeverbot sehe ich kritisch, weil davon pauschal auch Straftäter und Gefährder profitieren würden. (...) Niemand darf einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt werden, doch es sollte auch keine Freifahrtscheine geben."
An einer Abschiebung von Straftätern und Gefährdern will zum Beispiel Bayern festhalten. Aus Sachsen, ebenfalls unionsgeführt, ist ähnliches zu hören.
Lindholz' Unionskollege im Bundestag, Christoph de Vries, meint zudem, in Asylverfahren spiele auch jetzt schon "die Einschätzung der individuellen Gefährdung des Asylbewerbers im Falle einer Abschiebung eine maßgebliche Rolle", wie er der DW schreibt, also "auch ohne Erlass eines generellen Abschiebeverbots". Daher hätten "Oppositionelle, Frauen und Homosexuelle derzeit keine Abschiebung zu befürchten".
Aber bei "Personen, die aus wirtschaftlichen Motiven nach Deutschland illegal eingereist sind", müsse eine Rückführung ebenso möglich sein wie bei Straftätern. "Im Falle eines generellen Verbots hätte beispielsweise auch der stellvertretende Leiter des Islamischen Zentrums Hamburg (IZH) nicht in den Iran abgeschoben werden können. Diese Person hatte Kontakte zu terroristischen Gruppierungen und hat im Iran überhaupt nichts zu befürchten, weil das IZH direkt vom Mullah-Regime seine Weisungen erhält", so de Vries.
Pro Asyl: Abgeschobenen würde Folter drohen
Während Unionspolitiker als Grundlage zur Entscheidungsfindung einen neuen Iran-Lagebericht aus dem Auswärtigen Amt anfordern, meinen Flüchtlingshilfsorganisationen, dass die Informationen über die Situation im Iran ausreichen, um die Frage von Abschiebungen schon jetzt klar zu beantworten. Die Organisation Pro Asyl schreibt der DW: "Bei einer Abschiebung in einen Folterstaat wie Iran kann Deutschland aus unserer Sicht nicht sicherstellen, dass dort keine Folter droht."
Dies müsse Deutschland aber bei einer Abschiebung gewährleisten können. Pro Asyl sieht auch keinen Spielraum für Ausnahmen: "Dieses Menschenrecht ist universell. (…) Das heißt: Es gilt auch für Straftäter*innen und sogenannte Gefährder*innen." Wer in Deutschland Straftaten begehe, solle "auch in der Bundesrepublik vor Gericht gestellt und bestraft werden".
Genauso sieht es Amnesty International, die der DW auf Anfrage mitteilt: "Wir halten Ausnahmen von einem generellen Abschiebestopp für nicht vertretbar. Ein Abschiebestopp gilt grundsätzlich für alle Personen."
Derzeit werden kaum Iraner abgeschoben
Doch um wie viele Personen geht es? Im Moment leben nach Angaben des Bundesinnenministeriums von Oktober fast 12.000 ausreisepflichtige Iranerinnen und Iraner in Deutschland. In den ersten acht Monaten dieses Jahres wurden aber nur 31 in das Land abgeschoben, im gesamten Jahr 2021 waren es 28, vorwiegend Straftäter. Diese sogenannten Rückführungen sind nach Angaben des Innenressorts weiterhin grundsätzlich möglich, die praktischen Hürden bei der Umsetzung aber hoch.
Aus Niedersachsen, das für das allgemeine Abschiebeverbot eintritt, sind in zwei Jahren nur zwei Männer in den Iran zurückgeführt worden, aus dem Land Berlin nach Angaben der Senatsverwaltung in den Jahren 2020, 2021 und 2022 keine einzige Person.
Europäische Lösung schwierig?
Das ist aber für Pro Asyl nicht maßgebend. Die Organisation setzt auch nicht auf eine Initiative von Bundesinnenministerin Faeser, sondern hat bereits im Oktober gefordert: "Die Bundesländer sollten vorangehen und nicht auf die Bundesregierung warten." Die Länder sollten bei der Innenministerkonferenz einen formalen Abschiebungsstopp beschließen.
Die CSU-Politikerin Andrea Lindholz hofft dagegen auf ein Vorgehen, das sogar über Deutschland hinausgeht: "Hilfreich wäre es, wenn die Bundesregierung für ein einheitliches und abgestimmtes Vorgehen der EU-Staaten sorgen würde. Das tut sie aber bislang nicht und das halte ich für falsch."
Aber europäische Abstimmungen in Sachen Asyl und Aufenthaltsrecht sind notorisch schwierig. Und selbst innerhalb Deutschlands ist unklar, was die Innenminister zur Frage eines generellen Abschiebestopps für Iraner beschließen werden.