Neuer Personalausweis: Mehr Überwachung?
2. Juli 2021"Das war ein Scheiß-Gefühl", sagt Datenschützerin Leena Simon über den Moment, in dem ihr zuletzt im Bürgeramt die Fingerabdrücke abgenommen wurden. Den Zeigefinger der rechten und der linken Hand musste sie auf die Glasplatte eines Scanners drücken - für einen neuen Reisepass. Mit einem Trick, über den sie öffentlich nicht sprechen möchte, hat Simon damals versucht, den Scan ihrer Fingerabdrücke unbrauchbar zu machen. Im Verein Digitalcourage setzt sie sich für den Schutz privater Daten ein.
Wie gut ihr Störmanöver gelungen ist, weiß Leena Simon nicht genau. Aber was sie noch genau weiß: "Ich habe mich wirklich den gesamten Tag schlecht gefühlt." Sie findet es schlicht "übergriffig", wenn der Staat die Bürger dazu zwingt, ihre Fingerabdrücke abzugeben. Eine Methode, die üblicherweise die Kriminalpolizei nutzt, um Verbrechen aufzuklären. "Ich verstehe nicht, warum ich dem Staat meine Fingerabdrücke abgeben muss, wenn ich nichts verbrochen habe."
Fingerabdruck wird im Personalausweis Pflicht
Es hat einen Grund, dass Datenschützer wie Leena Simon derzeit alarmiert sind: Am 2. August weiten die deutschen Behörden die Pflicht, Fingerabdrücke abzugeben, massiv aus: Ab diesem Tag müssen alle Bürgerinnen und Bürger, die einen neuen Personalausweis beantragen, verpflichtend ihre Fingerabdrücke einlesen lassen. Bisher war das freiwillig. Vorgeschrieben war es nur für den Reisepass.
Mehr als 62 Millionen Deutsche besitzen einen Personalausweis, der das Format einer Scheckkarte hat und zehn Jahre lang gültig ist. Viele benutzen ihn, um sich im Inland auszuweisen. Aber auch Reisen innerhalb der EU sind damit möglich.
Zwei biometrische Merkmale
Im "Perso", wie er gerne genannt wird, ist ein Chip integriert. Dieser enthält das biometrische Foto, das auch auf dem Ausweis zu sehen ist. Künftig kommen die Fingerabdrücke als zweites biometrisches Merkmal hinzu.
Das mache den Ausweis sicherer, ist der CDU-Innenpolitiker Josef Oster überzeugt: "Damit haben wir die Möglichkeit, sehr schnell und eindeutig zu klären: Passen Person und Ausweis zueinander?", betonte er im Gespräch mit der Deutschen Welle. Oster befasst sich im Innenausschuss des Bundestags mit dem Thema. "Wir legen hier ein extrem hohes Sicherheitsniveau an den Tag", bewertet er den Personalausweis mit Fingerabdrücken. Beschwerden darüber seien ihm noch nicht zu Ohren gekommen, auch in seinem Wahlkreis nicht.
Einheitliche Standards in Europa
Die neue Regelung betrifft nicht nur Deutschland: In der gesamten Europäischen Union sollen ab dem 2. August nur noch Reisedokumente mit einer Kombination aus biometrischen Fotos und Fingerabdrücken ausgestellt werden. Das hat die EU im Juni 2019 beschlossen. Damit will sie der Fälschung und dem Missbrauch von Reisedokumenten einen Riegel vorschieben.
Besteht der Verdacht, dass ein Ausweis gefälscht ist oder dass er unrechtmäßig von einer anderen Person benutzt wird, kann der Fingerabdruck auf dem Chip ausgelesen und verglichen werden. Dazu ist ein spezielles Lesegerät nötig. Solche Geräte haben die Polizei, der Grenzschutz und der Zoll. Sie sind im Verdachtsfall auch befugt, die verschlüsselten Daten auf dem Chip auszulesen.
Nur wenige Fälschungen
Aber erhöht es wirklich die Sicherheit, wenn künftig alle Personalausweise mit einem digitalen Fingerabdruck ausgestattet werden? Kritiker überzeugt das Argument nicht. Schon jetzt sei der deutsche Personalausweis "auch ohne Fingerabdruck so valide, dass er kaum gefälscht und kaum missbraucht wird", argumentiert der Jurist und Datenschützer Thilo Weichert.
Daten, die die Deutsche Welle auf Anfrage vom Bundesinnenministerium erhielt, stützen dieses Argument: Demnach wurden im Jahr 2020 bei Grenzkontrollen nur 34 gefälschte deutsche Personalausweise entdeckt, 2019 waren es gerade einmal 26. Vor diesem Hintergrund sei es nicht gerechtfertigt, die Fingerabdrücke von mehr als 60 Millionen Deutschen zu erfassen, betont Weichert. "Das ist einfach ein unverhältnismäßiger Eingriff." Einen "derart intensiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte" hält er für verfassungswidrig.
Unveränderliche Daten
Die Datenschützer treibt noch eine andere Sorge um: Immer mehr digitale Systeme nutzen den Fingerabdruck als unveränderliches biometrisches Merkmal. Damit lassen sich Smartphones entsperren und Bürotüren öffnen. In erster Linie mit dem Zeigefinger, dessen Abdruck künftig auch im Personalausweis verpflichtend ist.
Im Fall eines Diebstahls oder Missbrauchs, warnt Maja Smoltczyk, die Datenschutzbeauftragte von Berlin, sei der Schaden besonders groß, "da biometrische Merkmale nicht wie ein Passwort einfach geändert werden können". Nicht ohne Grund hatten Datenschützer vorgeschlagen, den Abdruck eines kleinen Fingers statt den der beiden Zeigefinger für den Personalausweis zu verwenden, jedoch ohne Erfolg.
Droht die zentrale Speicherung?
Zwar sollen die Fingerabdrücke, so die gesetzliche Vorgabe, nur auf dem Chip des Personalausweises und nirgendwo sonst gespeichert werden. Auch darf nur ein kleiner Kreis von Personen darauf zugreifen, etwa Behördenmitarbeiter und die Polizei. Aber, warnt Datenschützer Thilo Weichert: "Ich bin mir sicher, dass es dabei nicht bleiben wird." In der Vergangenheit habe der Staat seinen Zugriff auf sensible private Daten immer wieder ausgeweitet.
Weichert fürchtet, dass die Fingerabdrücke irgendwann doch zentral gespeichert werden könnten, etwa in einer Datenbank. Sie könnten dann mit den Spuren verglichen werden, die Menschen im Alltag überall zurücklassen. Im schlimmsten Fall könnten sie dazu missbraucht werden, um Menschen zu überwachen. "Wir sehen in China und in vielen anderen autoritären Staaten, wie Biometrie dazu verwendet wird, um die gesamte Bevölkerung staatlicherseits unter Kontrolle zu halten", warnt der Jurist.
Skepsis in vielen Bürgerämtern
Bis zum 2. August ist die Abgabe der Fingerabdrücke freiwillig. Wie also haben sich die Bürgerinnen und Bürger entschieden, die zwischen Anfang Januar und Mitte Juni einen neuen Personalausweis beantragt haben? Das hat die Deutsche Welle bei den Meldestellen der 20 größten deutschen Städte erfragt.
Das Ergebnis überrascht: In einigen Städten stieß die Abgabe von Fingerabdrücken auf große Ablehnung, etwa in Nürnberg, Düsseldorf und Bochum. "Die Bereitschaft, einen Fingerabdruck im Personalausweis zu speichern, ist gering. Es herrscht eine überwiegend ablehnende Haltung", schrieb die Stadt Bochum der DW.
In Düsseldorf akzeptierten gerade einmal 15 Prozent aller Antragsteller die Abgabe der Fingerabdrücke. Auch in Hamburg, Leipzig, Essen und Dortmund überwog die Skepsis: Dort wurden seit Anfang des Jahres jeweils zwischen 54 und 60 Prozent aller Personalausweise ohne Fingerabdrücke beantragt.
Relativ ausgewogen war das Verhältnis in Münster, Hannover und Bremen: Hier entschieden sich gut die Hälfte der Antragssteller dafür, ihre Fingerabdrücke abzugeben. Eine breite Akzeptanz vermeldete nur eine einzige der 20 befragten Großstädte: Frankfurt am Main. Dort gaben in den ersten fünf Monaten des Jahres fast drei Viertel der Antragsteller freiwillig ihre Fingerabdrücke ab. Woher die Unterschiede zwischen den einzelnen Großstädten rührten, ließ sich nicht feststellen.
Kein Run auf den Perso "ohne"
Einen Ansturm auf die Bürgerämter, um auf den letzten Drücker noch einen Personalausweis ohne Fingerabdrücke zu beantragen, konnten die deutschen Großstädte nicht feststellen. Im Gegenteil: Viele Bürgerinnen und Bürger hätten gar nicht gewusst, dass sie ihre Fingerabdrücke bald verpflichtend abgeben müssen und jetzt schon freiwillig abgeben können.
Die Mitarbeiter hätten dazu viele Fragen beantworten müssen: Beispielsweise, wofür die Fingerabdrücke gebraucht werden, wer Zugriff auf die Daten erhält und wie diese geschützt werden. Nach der Beratung, teilte die Stadt Essen mit, seien die Reaktion in der Regel positiv gewesen, "zumal es sich bei den Fingerabdrücken um ein zusätzliches Sicherheitsmerkmal handelt und die Abnahme kostenfrei erfolgt".
Klage geplant
Auch nach dem Stichtag 2. August rechnet Datenschützerin Leena Simon nicht mit großem Widerstand auf den Bürgerämtern. Sie selbst aber will sich wehren: Sie plant, gerichtlich gegen die Pflicht zur Abgabe von Fingerabdrücken für den Personalausweis vorzugehen. "Ich muss einfach zugeben, dass ich dem Staat, was Datenschutz und den sensiblen Umgang mit Daten angeht, nicht vertraue."
Manche Gegner der Regelung haben sich anscheinend auf andere Weise beholfen: Wie die Deutsche Welle erfahren hat, sollen sie ihren noch gültigen Personalweis "versehentlich" kaputtgemacht haben, zum Beispiel in der Mikrowelle. So konnten sie ein neues Dokument noch ohne Fingerabdrücke beantragen, das dann erst einmal für zehn Jahre gültig ist.