Neuwahlen in Deutschland im Februar: die nächsten Schritte
12. November 2024Am Tag des Wahlsieges von Donald Trump in den USA hat sich in Deutschland die kriselnde deutsche Bundesregierung endgültig entzweit: Ein Streit um die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik legte offen, wie zerrüttet das Verhältnis insbesondere zum kleinsten Koalitionspartner FDP war.
Deren Vorsitzenden Christian Lindner hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nun aus dem Amt des Finanzministers entlassen. Zwei der drei übrigen liberalen Minister folgen ihrem Parteichef, während Verkehrsminister Volker Wissing im Amt bleibt und lieber der FDP den Rücken kehrt.
Die Ampel-Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Freien Demokraten ist Geschichte - und zugleich nimmt ein Fahrplan Gestalt an, wie Deutschland wieder zu einer handlungsfähigen Regierung kommt.
Schritt 0: Einigung auf Zeitplan und dringende Vorhaben
Scholz' ursprünglicher Plan sah vor, dass die beiden verbliebenen Koalitionspartner - Scholz' SPD und die Grünen - als Minderheitsregierung eine Reihe von Themen zum Abschluss bringen: Scholz nannte das Rentenpaket, die erforderlichen nationalen Gesetze im Rahmen der EU-Asylreform sowie ein noch zu schnürendes Hilfspaket für die kriselnde Wirtschaft.
Allerdings bräuchte er nach dem Ausfall seines Koalitionspartners FDP dafür Stimmen aus der Opposition. CDU-Chef Friedrich Merz, der die größte Oppositionsfraktion im Bundestag (bestehend aus CDU und ihrer bayerischen Schwesterpartei CSU) anführt, hat Scholz' Ansinnen eine Absage erteilt: Er will wichtige Vorhaben erst umsetzen, nachdem Scholz die Vertrauensfrage gestellt hat (siehe unten: Schritt 1). Für Scholz' sozialpolitische Vorhaben sieht die Union ohnehin keinen Zeitdruck, da man diese auch rückwirkend beschließen könne.
Als unstrittig gilt, dass die Regierungsfraktionen und die Union gemeinsam die bereits beschlossene Stärkung des Bundesverfassungsgerichts umsetzen. Hierzu ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, die im nächsten Parlament möglicherweise nicht gegen die in Teilen rechtsextreme AfD oder das links-nationalistische Bündnis Sahra Wagenknecht zu bilden wäre. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) hat in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, noch im derzeitigen Bundestag ein neues Sondervermögen für die Bundeswehr aufzulegen - auch dieser Beschluss braucht eine Zweidrittelmehrheit.
Schritt 1: Vertrauensfrage im Bundestag
Der gemeinsame Zeitplan von SPD und Union sieht vor: Bundeskanzler Scholz stellt am 11. Dezember schriftlich den Abgeordneten die Vertrauensfrage. Was dann passiert, regelt Artikel 68 des Grundgesetzes: Der Bundeskanzler bringt einen Antrag in den Bundestag ein, in dem er die Abgeordneten zu einem Bekenntnis auffordert, ob sie ihm vertrauen. Ursprünglich wollte Scholz dies erst im Januar tun; die Union forderte ein schnellstmögliches Handeln.
Die deutsche Verfassung sieht eine mindestens 48-stündige Beratungszeit vor dem entscheidenden Votum vor. Die Abstimmung ist nunmehr für Montag, 16. Dezember vorgesehen.
Bekommt der Kanzler bei der Vertrauensfrage wie abzusehen weniger als die Hälfte der Stimmen der Abgeordneten, würde das den Weg zu einer vorgezogenen Bundestagswahl ebnen. Das kommt in Deutschland nur selten vor.
Schritt 2: Bundespräsident löst Parlament auf
Spricht nur eine Minderheit der Abgeordneten dem Kanzler das Vertrauen aus, so muss dieser dem Bundespräsidenten vorschlagen, das Parlament aufzulösen. Sieht auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier keine Möglichkeit mehr für eine stabile Regierung, kann er den Bundestag vorzeitig auflösen. Qua Gesetz bleiben ihm bis zu 21 Tage, um diesen Schritt zu vollziehen.
Nun kommt Grundgesetz-Artikel 39 ins Spiel, in dem es heißt: "Im Falle einer Auflösung des Bundestages findet die Neuwahl innerhalb von sechzig Tagen statt." Die Bundeswahlleiterin hat bereits angemahnt, diesen Zeitraum voll auszuschöpfen, um einen reibungslosen Ablauf organisieren zu können. Die rot-grüne Minderheitsregierung bleibt geschäftsführend im Amt.
Schritt 3: Vorgezogene Bundestagswahlen
Scholz hatte eine Wahl im März angedacht. Der erste Vorschlag der Union hätte einen Termin im Januar ergeben. Knapp eine Woche nach dem Ampel-Aus steht eine Einigung: SPD und Union haben sich auf den 23. Februar als Wahltag geeinigt. Formell liegt diese Entscheidung beim Bundespräsidenten. Üblicherweise liegen Wahlen nicht in Schulferien - und einige Bundesländer machen Ende Februar / Anfang März wegen Karneval frei.
Für alle Beteiligten folgt ein Kraftakt, schließlich hatte man sich auf den 28. September 2025 als regulären Wahltermin eingestellt. Die Parteien müssen nun in beschleunigtem Tempo ihre Kandidaten nominieren und in den einzelnen Bundesländern Landeslisten aufstellen. Es ist zudem die erste Bundestagswahl unter einem neuen Wahlrecht, das das nächste Parlament auf 630 Abgeordnete begrenzt.
Schritt 4: Regierungsbildung
Umfragen legen nahe, dass sich im nächsten Parlament die Mehrheiten deutlich verschieben würden; die Nicht-mehr-Regierungspartei FDP droht an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern und den Wiedereinzug zu verpassen. Aktuell sehen viele Meinungsforscher Möglichkeiten etwa für eine Regierung aus CDU/CSU und SPD.
2021 lagen zwischen Bundestagswahl und Amtsantritt der Ampel-Regierung 73 Tage. Legt man die gleiche Zeitspanne auf einen möglichen Wahltermin am 23. Februar an, so würde Deutschland im Mai wieder über eine politisch voll handlungsfähige Regierung verfügen - mehr als drei Monate nach dem Amtsantritt Donald Trumps am 20. Januar 2025.
Dieser Artikel wurde am 12.11.2024 aktualisiert.