Turbo-Einbürgerung lockt
21. Oktober 2009Die deutsche Zuwanderungspolitik wird sich in den nächsten Jahren vorrangig an den Bedürfnissen der hiesigen Wirtschaft orientieren: Hochqualifizierte und Fachkräfte sind gefragt. Ein Punktesystem, das unabhängig von der Arbeitsmarktlage die Tür für Einwanderer entsprechend ihrer Bildung, Sprachkenntnisse oder ihres Alter öffnet, steht nicht zu Debatte - ebenso wenig wie eine vorzeitige Öffnung des normalen Arbeitsmarktes für die osteuropäischen EU-Staaten vor 2011.
Der CSU-Fachpolitiker Hartmut Koschyk machte nach den Verhandlungen der zuständigen Arbeitsgruppe von Union und FDP klar, dass man nicht mehr darüber streiten wolle, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei oder nicht: "Wir wollen, dass Deutschland immer stärker zum Integrationsland wird, denn darauf kommt es an."
Auffrischung von Innen
Union und FDP wollen in erster Linie die bereits in Deutschland lebenden Migranten und deren Angehörige, die ein Nachzugsrecht haben, besser integrieren und für den Arbeitsmarkt fit machen. Die von vielen Experten empfohlenen "Auffrischung" Deutschlands durch mehr Zuwanderung steht in den Sternen.
Der Grünen-Politiker Wolfgang Wieland sieht in Deutschland keine "lebendige Einwanderungsstruktur" und meint: "Dabei soll es nach dem Willen vor allem der CDU, wie ich annehme, weitere vier Jahre bleiben. Das wird sich in dem Moment ziemlich drastisch auswirken, wenn wir einen Wirtschaftsaufschwung bekommen." Sogar ein Mangel an Auszubildenden sei im alternden Deutschland zu erwarten.
Linke spricht von "Nützlichkeitsrassismus"
Der angesehene Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration hatte der künftigen Regierung ein neues Steuerungssystem für die Einwanderung empfohlen. Schwarz-Gelb will jedoch lediglich für Hochqualifizierte und Fachkräfte weitere bürokratische Hindernisse abbauen. Die Migrationspolitikerin Sevim Dagdelen von der Linkspartei beschuldigt Union und FDP sogar, sie betrieben einen "Nützlichkeitsrassismus".
Union und FDP hoffen, wenn sie die bisher vernachlässigt Qualifizierung Hunderttausender Migranten vorantreiben, das Land sinnvoller zu bereichern als durch den Zustrom neuer Ausländer. "Nachholende Integration" heißt die Devise.
Zwar wird es voraussichtlich kein Integrationsministerium geben, wie es einige Politiker und Experten jüngst forderten, doch ein Integrationsgesetz soll ein deutliches Zeichen setzen. Mit den Migranten sollen individuelle so genannte Integrationsverträge abgeschlossen werden. Prinzipiell gut findet das die Hamburger Migrationsexpertin Ursula Neumann, schließlich gebe es so etwas auch in anderen Ländern: "Die Frage ist, was dann mit diesen Integrationsverträgen auch von Seiten des Staates angeboten wird."
Mehr Stunden und mehr Geld für Sprachlehrer
Im Vordergrund steht weiter das Erlernen der deutschen Sprache in Integrationskursen. Seit ihrer Einführung im Jahr 2005 hatten diese Kurse eine halbe Million Teilnehmer. Die maximale Stundenzahl soll auf 1200 Stunden erhöht und die Bezahlung der Lehrkräfte verbessert werden.
Künftig soll es einen Rechtsanspruch auf ein Verfahren zur Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen und Qualifikationen innerhalb von sechs Monaten geben, außerdem Angebote für Anpassungsqualifizierungen. Als Belohnung für gute Integration lockt der Staat mit einer "Turbo-Einbürgerung", statt einer Wartezeit von acht Jahren. Allerdings weigert sich die Union, junge Migranten von der Pflicht zu befreien, sich spätestens mit 23 Jahren für nur eine Staatsbürgerschaft zu entscheiden. Der Innenpolitiker Koschyk bekräftigt: "Wir bleiben als Union schon entschlossen dabei, dass wir von der generellen Hinnahme doppelter Staatsbürgerschaften nichts halten."
Wird die Residenzpflicht aufgehoben?
Auch das Kommunalwahlrecht für Ausländer scheitert am Veto der Union. Die umstrittenen Sprachtests für nachziehende Ehegatten, die im Herkunftsland absolviert werden müssen, soll es auch weiterhin geben. In anderen Fragen zeigten sich die Fachpolitiker von Schwarz-Gelb sensibler für die Klagen der Migrantenverbände. So ist daran gedacht, Krankenhäuser von der Meldepflicht zu befreien, wenn sich illegal in Deutschland lebende Ausländer dort behandeln lassen. Ähnliches soll für Schulen gelten, in denen die Kinder von "irregulären" Migranten am Unterricht teilnehmen. Asylbewerber sollen sich künftig auch außerhalb des zugewiesenen Bundeslandes frei bewegen können, die "Residenzpflicht" würde aufgehoben.
Noch ist nichts endgültig beschlossen
Das Bleiberecht für Ausländer mit unsicherem Aufenthaltsstatus, die schon lange in Deutschland leben, soll verlängert werden. 35.000 Menschen, vor allem Bürgerkriegsflüchtlinge, könnten in Deutschland bleiben, falls sie bis Ende 2010 Arbeit finden. Doch in Krisenzeiten dürfte das schwer werden. Und ohnehin könnten die Vereinbarungen der Arbeitsgruppe noch einige Korrekturen erfahren. Der alte und mögliche neue Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble soll nicht sonderlich begeistert sein von einigen Beschlüssen der Fachpolitiker.
Autor: Bernd Gräßler
Redaktion: Kay-Alexander Scholz