Deutschlands Gülleproblem
29. Oktober 2014Was hat die Wasserqualität mit Schlachtvieh zu tun? Eine Menge! Steak vom Rind, Frikadelle vom Schwein, Putenkeule, Hähnchenschenkel – die Fleischindustrie kann sich über mangelnde Nachfrage nicht beklagen. Der Bedarf in Deutschland sinkt zwar, dafür werden Fleisch und Milchpulver aber exportiert. Um den weltweiten Hunger zu stillen, werden immer mehr Tiere in Mastbetrieben gehalten.
Doch etwa 27 Millionen Schweine und 13 Millionen Rinder produzieren auch Exkremente. Und zwar täglich in großen Mengen. In der Gülle, einem Gemisch aus Kot und Harn stecken wertvolle Mineralien wie Kalium, Magnesium, aber auch Phosphat, Nitrat und Ammoniak. Gülle und auch getrockneter Hühnerkot sind somit Nebenerzeugnisse landwirtschaftlicher Produktion. Dieser wertvolle Dünger fördert Wachstum und Qualität von Nutzpflanzen, die an die Tiere verfüttert werden - ein Kreislauf. Doch längst gibt es mehr Mastvieh als Düngefläche. Das ist das Hauptproblem. "Es gibt zu viel Vieh und zu wenig Böden", kritisiert Reinhild Bennig, Agrarexpertin beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). "Wir bräuchten 200.000 Hektar mehr Land, um die Gülle zu entsorgen."
Der aus dem Gleichgewicht geratene Nährstoffkreislauf
Die Böden sind mit stickstoffhaltigem Nitrat überdüngt, weil Gülle in tiefere Bodenschichten eindringt. Das begünstigt Algenwachstum in Gewässern, wo andere Pflanzen und Tiere verdrängt werden. Die Überdüngung gehört zu den Hauptursachen für das Artensterben in Deutschland. Holunder, Brennesseln, Himbeeren, Löwenzahn wuchern an überdüngten Stellen, an denen Moose und Flechten eingegangen sind. Für die Bodenlockerung wichtige Regenwürmer verschwinden. Fische bekommen keinen Sauerstoff und sterben. Das Leibniz-Institut für Ostseeforschung sieht in den Stickstoffüberschüssen “das verdrängte Umweltthema.“
Trinkwasserreinigung kostet Milliarden Euro
120 Millionen Tonnen Stickstoff werden jährlich in Umlauf gebracht. Das Stockholm Resilience Center hat errechnet, dass die Erde nur 35 Millionen Tonnen Stickstoff pro Jahr aufnehmen kann. Das ebenfalls in dem Gemisch enthaltene Nitrat setzt sich im Grundwasser ab, aus dem Trinkwasser gewonnen wird. Nitrat ist krebserregend. Das Wasser muss auf Grund der Überdüngung laut einer Studie des Bundesumweltministeriums jährlich mit acht bis 25 Milliarden Euro gereinigt werden. Die Kosten tragen die Verbraucher. "Unsere wichtigste Ressource ist Wasser. Und dieses Wasser verschmutzen wir gerade systematisch, damit einige Wenige unendlich wachsen können durch die industrielle Tierhaltung", gibt BUND-Expertin Benning zu bedenken. Nach Angaben der EU-Kommission weist im für Europa qualitativen Wasservergleich nur Malta eine höhere Grundwasserbelastung mit Nitrat auf.
Zusätzliche Belastung durch atmosphärische Düngung
Bei der Zersetzung der Exkremente in den Ställen entsteht gasförmiges Ammoniak. Diese stickstoffhaltige Verbindung gelangt in die Luft und setzt sich mit Regen am Boden ab. "Dort wirkt Ammoniak zusätzlich wie Dünger", erklärt BUND-Agrarwissenschaftlerin Benning.
Doch damit nicht genug: Deutschlands Landwirte importieren zusätzlich 60.000 LKW-Ladungen der dort überschüssigen Gülle aus den Niederlanden. Die Behörden in Den Haag notieren dies auf einer Transportdatenbank, während es hier bisher keine Dokumentationspflicht gibt und kein Gesetz, das die Transporte maßregelt. Und in Deutschland regeln sogar Güllebörsen Angebot und Nachfrage. Als Folge werden jährlich 130.000 Tanklastwagen-Ladungen mit Tierfäkalien von Region zu Region transportiert, nur um jeweils maximal erlaubten Düngemengen einzuhalten.
"Die Nährstofftransporte sind auch seuchenhygienisch problematisch, weil dort enthaltene Keime, auch Antibiotika resistente Keime, unkontrolliert durch die Gegend gefahren werden", mahnt Reinhild Benning an. Außerdem verteuern die Gülletransporte die Agrarprodukte.
Die Niederlande mussten sich bereits auf Grund europäischen Rechts zur Reduzierung ihrer Rinder-Bestände verpflichten. Die Bundesregierung konnte sich bisher vor strengeren Richtlinien drücken, da es keinen einheitlichen europäischen Grenzwert gibt. Der aber hätte massive wirtschaftliche Auswirkungen auf die industrielle Tierhaltung.
Wirtschaftliches Interesse vor Umweltschutz
Bisher fehlte der Bundesregierung der politische Wille, strengere Düngeregeln umzusetzen. Das zeigt die bisherige Richtlinie, die Betriebe mit einem Trick aushebeln können, in dem sie Gülle an Biogasbetriebe liefern, die auch Mais zur Stromproduktion vergären. Diese werden schließlich zusammen als "Gärreste aus pflanzlichen Rohstoffen" deklariert. "Die Gülle wird auf dem Papier also weiß gewaschen, die Nährstoffe Stickstoff und Phosphor sind noch vorhanden und gelangen ins Grundwasser und dann ins Trinkwasser", sagt Reinhild Benning, "denn die Biogasanlage entzieht dem Gemisch lediglich Methan zur Stromgewinnung."
Die Große Koalition von Union (CDU/CSU und SPD), die auch 2006 die Regierung stellte, beschloss damals "das ungebremste Wachstum der Landwirtschaft - auf Kosten des Umweltschutzes“, glaubt Reinhild Benning. "Deshalb erhielten Biogasanlagen das Privileg, den Nährstoffgehalt nicht vollständig erfassen zu müssen." Außerdem wurde die sogenannte Hoftorbilanz abgeschafft. In der mussten Landwirte die Stickstoffmengen angeben, die in Tierfutter oder Dünger in einen Agrarbetrieb gelangten und die ihn in Form landwirtschaftlicher Produkte wieder verließen. Die Stickstoff-Differenz musste auf Acker oder Weidefläche gelandet und ausgeglichen sein.
Bundesregierung spielt auf Zeit
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) will nun die Hoftorbilanz wieder einführen. Größere Betriebe sollen sich 2018 wieder zur bürokratischen Bilanzierung ihres Stickstoff-Umsatzes verpflichten. Hendricks hat sich darin gegen Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) durchgesetzt.
Die EU-Kommission in Brüssel hatte Deutschland im Juli zum Handeln gezwungen und mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gedroht, sollte die Bundesregierung den Wasserschutz weiterhin vernachlässigen. Mit der Umsetzung der Novellierung der Düngeverordnung ist aber erst im Frühjahr 2015 zu rechnen.
Ökolandbau Vorreiter
Große Wasserwerke handeln längst eigenverantwortlich und finanzieren Landwirten die Umstellung auf Ökolandbau. Denn im Ökolandbau sind Tierhaltung und Ackerbau aufeinander abgestimmt. Es darf nur so viel Vieh gehalten werden, wie der Hof über eigene Futtermittel ernähren kann. Ein Prinzip, das funktionierte Jahrhunderte bis zur Industrialisierung und der Erfindung synthetischer Stickstoffdünger. "Die Föderung des ökologischen Landbaus ist sinnvoll", sagt der Experte für Tierhaltung beim UBA. "Eine strikte Flächenbindung der Tierhaltung wäre aus Umweltsicht der Königsweg. Die Agrar-Ökonomie geht leider in die gegenteilige Richtung", bedauert Dietrich Schulz.
Immerhin können Verbraucher diesen Weg stoppen und zur Wasserreinhaltung beitragen: Durch die Wahl von Produkten aus ökologischem Landbau oder Reduzierung des Fleischkonsums.