DGB-Chef geißelt Dumpinglöhne und TTIP
1. Mai 2015Reiner Hoffmann, der seit einem Jahr amtierende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), hat sich Verstärkung geholt. Bei seiner Premieren-Rede am "Tag der Arbeit" in Berlin kann er Leslie Manasseh begrüßen, den Präsidenten des britischen Dachverbandes Trades Union Congress (TUC). Die sichtbare Solidarität seines Kollegen von der Insel findet Hoffmann "klasse". Die beiden stehen auf einer Bühne vor dem Brandenburger Tor. Gleich nebenan befinden sich die Botschaften Großbritanniens, Frankreichs und der USA. Auch die russische ist ganz in der Nähe.
So international, wie dieser Ort ist, so international ist das Thema, über das der DGB-Boss rund eine halbe Stunde spricht: Es geht um Chancen und Risiken der globalisierten Wirtschafts- und Arbeitswelt. Die schreite stetig voran und mache keine Pause, sagt Hoffmann. Und: "Das ist nicht an sich schlecht." Allerdings erlebe man seit vielen Jahren, "dass die Früchte der Globalisierung immer ungleicher verteilt sind. Und das ist schlecht!"
Schlecht sei auch, dass die Politik bisher viel zu wenig getan habe, "um mit der Internationalisierung der Unternehmen Schritt zu halten und um globale Spielregeln zu schaffen". Im Gegenteil, Finanzmärkte seien dereguliert und der internationale Handel liberalisiert worden.
"Internationale gewerkschaftliche Zusammenarbeit ausbauen"
Die Folgen habe man bei der internationalen Finanzmarkt-Krise bitter zu spüren bekommen. Darunter würden viel zu viele Menschen heute noch leiden, insbesondere in den südeuropäischen Nachbarländern. Man brauche "robuste Leitplanken und faire Spielregeln", damit nicht nur wenige, sondern alle Menschen von den Vorteilen und Gewinnen der Globalisierung profitieren könnten. Deshalb lässt Hoffmann keinen Zweifel daran aufkommen, dass es mit dem DGB kein "neo-liberales Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA namens TTIP" geben werde. Auch TUC-Boss Manasseh ist grundsätzlich gegen das weitgehend ausgehandelte, aber noch nicht unterschriebene Vertragswerk.
Der Brite und sein deutscher Kollege ahnen, welche Herkules-Aufgabe ihnen bevorsteht. "Wir wissen, dass wir dafür die europäische und internationale gewerkschaftliche Zusammenarbeit noch weiter ausbauen müssen", sagt Hoffmann. Nationale Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft seien seit langem nicht mehr ausreichend. Der DGB-Vorsitzende erinnert an die Errungenschaften der Gewerkschaftsbewegung seit dem ersten internationalen Tag der Arbeit am 1. Mai 1890. Beispielhaft nennt er den Acht-Stunden-Tag, bezahlte Urlaubstage, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Und "anständige Löhne", allerdings nur da, "wo Tarifverträge existieren". Den Gewerkschaften gehe es aber um gute Arbeit überall. "Dafür kämpfen wir", sagt er.
"Größter Niedriglohn-Sektor nach Lettland"
Hoffmann prangert die Zustände in Deutschland an. Man gehöre zu den reichsten Volkswirtschaften der Welt, habe aber zugleich nach Lettland den größten Niedriglohn-Sektor in Europa. Zugleich verändere sich die Arbeitswelt weiter rasant durch Digitalisierung, Globalisierung und demografische Entwicklung. Die Auswirkungen bekäme man bereits zu spüren. "Heute unterbieten Schein-Selbständige sich auf Internetportalen zu Dumpingpreisen: seien es Maler, Klempner oder Gärtner." Erzieherinnen würden mit hohem Engagement zu dürftigen Löhnen Kinder betreuen. Für gute Arbeit erwarteten Menschen aber neben einem fairen Lohn gute Arbeitsbedingungen, Respekt und Wertschätzung.
Eindringlich warnt Hoffmann vor sozialer Spaltung und Endsolidarisierung. Mit dem seit Jahresbeginn zu zahlenden Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde habe man einen historischen Erfolg errungen. Eine Aushöhlung werde der DGB nicht zulassen, sagt Hoffmann unter Hinweis "auf viele Arbeitgeber und Teile der CDU/CSU", die gegen den Mindestlohn "agitieren" würden. Von der Politik fordert Deutschlands ranghöchster Gewerkschaftsfunktionär, Rahmenbedingungen für gute Arbeit zu setzen. "Damit unter anderem der Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen endlich aufhört."
"Geiz ist nicht geil, sondern unanständig und skrupellos"
Der Blick über den nationalen Tellerrand bleibt Hoffmanns Perspektive. Kaum ein Produkt, das man hier kaufen könne, komme ausschließlich aus Deutschland. Die meisten Textilien würden von Näherinnen in Asien stammen, "die zu Hungerlöhnen schuften müssen, damit T-Shirts hier schön billig sind". Damit müsse Schluss sein. "Geiz ist nicht geil, sondern nur unanständig, ja oft auch skrupellos", appelliert der deutsche DGB-Vorsitzende an das Gewissen der Konsumenten. Hoffmann fordert international gerechte Wertschöpfungs- und Lieferketten. "Egal, ob es die Bauarbeiter in Katar oder die indische Click-Workerin in Delhi ist."