Psycho-onkologische Beratung bei Krebs
3. Februar 2023"Das Schlimmste für mich war nicht die eigentliche Diagnose, sondern dass ich vor kurzem erfahren habe, dass die Ärzte noch immer Krebszellen in meinem Körper gefunden haben", sagt Kurt Schröder [Name von der Redaktion geändert]. "Das ist bei Pankreaskrebs, also Bauchspeicheldrüsenkrebs, keine schöne Nachricht. Sie haben den Krebs rausoperiert, es sind nur noch Restzellen da. Trotz allem – mir wäre es natürlich lieber, wenn gar nichts mehr da wäre. Aber ich bin ein grenzenloser Optimist."
Schröder ist 61 Jahre alt, war immer gesund, geht mit Leidenschaft seinen Hobbies nach, der Naturkunde und der Fotografie. Im August 2022 kam die Krebsdiagnose, im Oktober die erste Operation. Der sogenannte Kopf der Bauchspeicheldrüse und der Zwölffingerdarm wurden entfernt. Es folgte eine Chemotherapie mit entsprechenden Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Geschmacksveränderungen.
"Brot hat wie Schmirgelpapier geschmeckt", erzählt Schröder. "Bananen waren flammend süß, die konnte ich gar nicht essen." Schon früh wandte er sich an Gudrun Bruns, die Leiterin der Krebsberatungsstelle Münster.
Die Krebsberatung bietet mehr als Erste Hilfe
Gudrun Bruns hat jahrzehntelange Erfahrung im Bereich der Psycho-Onkologie, eine wissenschaftliche Fachrichtung, die sich in den 1970er-Jahren entwickelte. "Die Psycho-Onkologie beschäftigt sich mit den psychischen und sozialen Veränderungen, die durch eine Krebserkrankung entstehen. Es gibt auch die Wechselwirkung zwischen körperlicher und psychischer Verfassung", sagt Bruns.
Studien haben gezeigt, dass circa 25 bis 30 Prozent aller Menschen, die eine Krebsdiagnose bekommen, im Verlauf der Erkrankung psychische Störungen oder psychosoziale Beeinträchtigungen entwickeln.
Die Mitarbeitenden der Beratungsstellen gehen auf die Betroffenen und ihre individuellen Probleme und Ängste ein, um sie auf ihrem schwierigen Weg zurück in den Alltag zu begleiten. Sie leisten auch praktische Hilfe und informieren über die nächsten möglichen Schritte: In Deutschland ist einer davon beispielsweise die Beantragung eines Schwerbehindertenausweises. Viele wissen gar nicht, dass sie ihn in Anspruch nehmen können.
"Frau Bruns kennt ungeheuer viele Leute und Institutionen. Sie hat Verbindungen, die man selber gar nicht kennt", sagt Schröder. "Das ist dann natürlich sofort auch eine gewaltige psychologische Hilfe, wenn man weiß, dass man sich noch an verschiedene Stellen wenden kann und dass die einen auch bei vielem unterstützen."
Psycho-Onkologie muss weltweit einen höheren Stellenwert bekommen
Den emotionalen und psychologischen Aspekten von Krebserkrankungen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, sie in die Krebstherapie zu integrieren und die Bedingungen weltweit zu verbessern, sind einige der Ziele der IPOS, der Internationalen Psycho-onkologischen Gesellschaft.
Gegründet wurde die Organisation mit Sitz in Toronto und New York 1984. Sie setzt sich dafür ein, dass die Psycho-Onkologie weltweit fester Bestandteil von Krebstherapien wird. Dabei sollen internationale Partnerschaften und verschiedene Interessenvertretungen helfen - und nicht zuletzt intensive Forschung. Schließlich geht es um mehr als 19 Millionen Menschen die allein im Jahr 2020 laut der International Agency for Research on Cancer, IARC, neu an Krebs erkrankt sind, und die Zahl wird wachsen. Die IARC schätzt, dass sich die Zahl der Krebstoten von weltweit 9,96 Millionen im Jahr 2020 bis 2040 nahezu verdoppeln wird und dann weltweit bei rund 16,3 Millionen Krebstoten liegt. Umso wichtiger wird ein flächendeckendes Angebot an psycho-onkologischer Beratung und Therapie.
Die Sorgen und Ängste, mit denen Betroffene zu kämpfen haben, ähneln sich, egal ob es um Menschen in Afrika, Asien oder Europa geht, und egal um welche Art von Krebs es sich handelt.
Auch die Angehörigen brauchen Hilfe
Eine Krebsdiagnose stellt das Leben auf den Kopf, auch das von Angehörigen. Studien belegen, dass auch sie starken psychischen Belastungen ausgesetzt sind, weil sich auch ihr Lebensalltag verändert.
"Angehörige haben oft das Gefühl, die Erkrankten maximal unterstützen zu müssen, und dann gerät ihr eigenes Leben oft völlig aus dem Blickfeld. Kommt dann aber jemand seinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen nach, ist das oft mit moralischen Bedenken und schlechtem Gewissen belegt, auch wenn es einfach nur um einen Kinobesuch geht oder verschiedene Freizeitaktivitäten", erklärt Bruns.
Ein solches Verhalten aber helfe niemanden. "Es ist absolut notwendig, dass die Angehörigen für sich selbst Wege finden, um ihre eigene Energie wieder aufzuladen."
Zu großer und selbstloser Einsatz könne dann auch schnell ins Gegenteil umschlagen, weiß auch Schröder. Seine Partnerin, Simone Burmann [Name von der Redaktion geändert], hatte ihre Diagnose bereits 2010 bekommen.
"Als ich meine Partnerin damals begleitet habe, habe ich gemerkt, wie ungeheuer anstrengend das ist. Als ich dann meine eigene Krebsdiagnose bekam, habe ich meine Partnerin immer wieder ermahnt, nicht jeden Tag ins Krankenhaus zu kommen. Sie hat mich meines Erachtens nach viel zu oft besucht. Irgendwann ist sie dann an ihre Grenzen gekommen und seelisch zusammengebrochen."
Bei Burmann war damals ein Zervixkarzinom entdeckt worden, also Gebärmutterhalskrebs. "Es war ein schnellwachsender Tumor, und ich bin dreimal operiert worden", erzählt sie. "Die Gebärmutter wurde mir entfernt und Teile der Vagina." Seitdem ist die heute 55-Jährige krebsfrei. Ihren eigenen Krankenhausaufenthalt hat sie ganz anders erlebt als ihr Partner. "Für mich war es sehr wichtig, häufig Besuch zu bekommen, Unterstützung zu haben und einfach zu wissen, es ist jemand da."
Krebs ist und bleibt ein Schreckgespenst
Das gesamte Gefühlsspektrum zeigt sich bei den meisten schon kurz nach der Diagnose. Nicht nur Ängste, Wut und Gereiztheit gehörten dazu, auch Trauer, sagt Bruns. "Es ist die Trauer über den Verlust der Gesundheit, die die Menschen vor ihrer Erkrankung noch hatten." Vor der Diagnose haben die meisten ihre Gesundheit als selbstverständlich angesehen.
Mittlerweile sind Krebserkrankungen wesentlich besser behandelbar, viele Krebsarten sind heilbar. "Aber was bleibt, sind die Assoziationen von Siechtum und Sterben. Und natürlich haben viele Angst davor, dass ihre Erkrankung nicht geheilt werden kann, dass sie vielleicht wiederkommt und dass sie zum Tod führt", sagt Bruns.
Krebserkrankten immer wieder Mut zu machen, ist eine der wichtigsten Aufgaben in der Psycho-Onkologie. "Es geht oft einfach darum, die Menschen nicht alleine zu lassen und ihnen einfach zuzuhören."
Einen festen Ablauf gebe es dabei nicht, sagt Schröder. "Die Gespräche haben sich einfach von Tag zu Tag ergeben. Sie haben zum Beispiel damit angefangen, dass Frau Bruns gefragt hat: 'Wie geht es Ihnen heute? Was liegt an?' Und dann beginnt man halt, einfach zu erzählen."