Globalisierung auf dem Prüfstand
28. Mai 2020Logistik-Unternehmen wie zum Beispiel Dachser sind so etwas wie Seismographen des globalen Handels. Ruckelt es irgendwo in der Wirtschaft, dann leuchten in der Firmenzentrale im Allgäu die Lämpchen. Fast 12.000 LKW kurven im Auftrag des Unternehmens durch Europa. Durch die Luft und über das Meer hat das Unternehmen in Familienbesitz im vergangenen Jahr eine Million Sendungen um den Globus transportiert.
Selbst als sich während der Pandemie ein Großteil der Welt im Corona-Lockdown befand, war bei Dachser an Stillstand nicht zu denken: "Es gab zwar Rückgänge bei etlichen Industriegütern und der Automobilwirtschaft, aber konsumnahe Bereiche wie Lebensmittel haben sogar geboomt", sagt Andreas Froschmayer, der für die strategische Ausrichtung des Unternehmens verantwortlich ist. Doch auch die Logistikbranche hat mit den Folgen des Coronavirus zu kämpfen.
"Diese verdammten Lieferketten"
Gerade bei der Industrie stellt sich Dachser auf einen Wandel ein. "Viele Kunden werden überprüfen, ob es noch sinnvol ist, die Lieferketten irgendwo auf der Welt zu haben", sagt Froschmayer.
In Deutschland macht die Industrie noch immer ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes aus, in den USA ist es etwas weniger und in China liegt der Anteil der Industrie an der Wirtschaftsleistung bei 40 Prozent. Alle drei Länder gelten als Zentren der internationalen Arbeitsteilung (siehe Grafik) - hier kommen viele Teile an, werden weiterverarbeitet und häufig auch wieder exportiert.
Nicht nur der Corona-Schock hat die Verletzlichkeit der Lieferketten gezeigt, auch politisch wird derzeit gegen die weltweite Arbeitsteilung gewettert. "Diese verdammten Lieferketten. Wenn auch nur ein Teil der Welt nicht funktioniert, kommt alles durcheinander. Wir sollten sie wieder in den USA haben", sagte US-Präsident Donald Trump.
Er ist mit seiner Kritik nicht allein. Umweltexperten sehen die internationale Arbeitsteilung als ökologischen Unsinn. Und viele Handelsexperten kritisieren die Arbeitsteilung seit der Corona-Krise als zu anfällig für externe Schocks. Laut einer Umfrage der Strategieberatung McKinsey überlegt jedes vierte Unternehmen in Deutschland, Teile der Lieferkette seltener auszulagern.
Den Trend zu kürzeren Lieferketten könne man allerdings schon seit zehn Jahren beobachten, sagt der Ökonom Hartmut Egger: "Nach der Finanzkrise haben viele Unternehmen reagiert und ihre Zulieferer und Produzenten wieder verstärkt in der Nähe gesucht." So wurden für Europa die Produktion in Ländern in Osteuropa und Nordafrika interessanter.
Die Corona-Krise könnte diesen Trend nun weiter verstärken. "Eine Krise bringt ja auch immer Kostenwahrheiten mit sich. Dadurch können die Unternehmen jetzt besser verstehen, was es kostet, wenn ihre Lieferketten ausfallen", so Egger im Gespräch mit der DW.
Weg von Just-in-time-Produktion
Welchen Vorteil es hat, die Lieferketten in eigener Hand zu haben, das merkt derzeit der Hersteller von Garten- und Landwirtschaftsgeräten Stihl. Der Exportschlager des schwäbischen Unternehmens ist die Motorsäge. Sie wird in mehr als 160 Ländern verkauft. Die Hälfte aller Teile produziert Stihl selbst. Damit habe man sich nun in der Pandemie von der Konkurrenz abgehoben, berichtet Unternehmenssprecher Stefan Caspari. "Wir haben weiter produziert und weiter verkauft."
Es sei zwar punktuell zu Ausfällen und Unterbrechungen gekommen, das habe man aber mit Beständen kompensieren können. Denn anders als viele andere in der Industrie setzt Stihl für die Produktion nicht auf die zeitlich genau abgestimmte Zulieferung von Teilen "just in time", sondern greift auf ein gut gefülltes Lager zurück. "Das muss man sich natürlich leisten können, aber jetzt in der Krise hat es sich gelohnt", sagt Caspari im DW-Gespräch.
Für Hartmut Egger von der Universität Bayreuth könnte eine verstärkte Lagerhaltung unterschiedlicher Produktionsstufen ein weiterer Trend nach der Pandemie sein. "Je komplexer die Lieferkette, desto höher das Ausfallrisiko. Dieses Risiko können Unternehmen mit Lagerbeständen verkleinern."
Wenn die Deglobalisierung ausbleibt
Bisher hatte man in vielen Unternehmen aus Kostengründen auf große Lager verzichtet. Die Frage sei nun, wie sehr Firmen tatsächlich von einem erneuten externen Schock ausgingen und dementsprechend auch die zusätzlichen Kosten in Kauf nehmen, so Egger.
Beim Logistiker Dachser geht man bereits davon aus. Weltweit hat der Konzern über 170 Lagerhallen. "Warehousing ist ein Zukunftsfeld. Um die Lieferketten stabiler zu gestalten, brauchen die Unternehmen wieder mehr Puffer", ist Strategiechef Froschmayer sicher. Nach der Pandemie werde alles ein Stück weit anders sein als in Vor-Corona-Zeiten. "Letztendlich glauben wir aber, dass es die länderübergreifende Logistik genauso geben wird, wie vorher. Das heißt, das Potenzial der Arbeitsteilung weltweit ist weiter da."
Auch der Ökonom Egger glaubt nicht, dass es einen radikalen Trend zur Deglobalisierung gibt. Denn die Lieferketten zurückzuholen berge auch Nachteile. "Man gibt die Kostenvorteile auf, die man durch die Verlagerung erzeugt hat. Außerdem setzt man sich stärker regionalen Schocks aus - wie zum Beispiel einer Flut oder Ähnlichem."
Für ärmere Länder ergeben sich Einnahmeausfälle und für die besonders weit verzweigte deutsche Wirtschaft könnten Wettbewerbsnachteile entstehen. Diese drohen auch, wenn die Unternehmen stärker auf Lagerhaltung setzten, sagt Egger: "Die täglichen Preise werden steigen. Produkte anderer Länder könnten auf dem Weltmarkt attraktiver werden."
Nach Berechnungen des ifo-Instituts sind Deutschlands wichtigste Industriebranchen (siehe Grafik) auch diejenigen mit besonderer Komplexität. Dazu zählen beispielsweise die Autombilindustrie, der Maschinenbau und die Elektrotechnik.
Noch sind die Unternehmen hier vor allem mit Krisenmanagement beschäftigt. Doch Produktionsausfälle haben bereits Kosten verursacht, und Lagerhaltung wird langfristig auf das Budget drücken. Unter dem Kostendruck könnte ein wirklicher Umbruch ausbleiben. Und damit auch die Hoffnung vieler Ökologen auf nachhaltigere und sinnvollere Lieferketten.