Logistiker zwischen Hype und Krise
19. Mai 2020Als das Coronavirus sich im chinesischen Wuhan ausbreitete, war das erste Beben auf der ganzen Welt zu spüren. Der Nachschub aus chinesischer Produktion geriet ins Stocken. Das hatte schon früh Folgen für den Seeverkehr. So ging beispielsweise beim deutschen Logistiker Kühne und Nagel das Nachfragevolumen für Seetransport von und nach China im ersten Quartal deutlich - um einen zweistelligen Prozentsatz - zurück.
Was die Menge der Ladung angeht, sind Schiffe die wichtigsten Verkehrsträger. Schaut man auf den Wert der Ladung, dann hat der Luftverkehr eine große Bedeutung.
Auch der Personenflugverkehrwurde schnell stark eingeschränkt, was die Logistikbranche ebenfalls zu spüren bekam. "Im Luftverkehr wurde zwar überwiegend der Passagierverkehr eingestellt, aber ein großer Teil der Luftfracht erfolgt im Bauch von Passagiermaschinen", erklärt Eric Heymann von Deutsche Bank Research. Schaut man wiederum auf die Nummer vier der deutschen Logistikunternehmen, so sank allein die weltweite Luftfrachtkapazität von Kühne und Nagel ab Anfang März um rund 60 Prozent in nur wenigen Wochen.
USA und China werden zu Problemen
Inzwischen hat sich das Virus weltweit ausgebreitet. Zwar wird sowohl in Europa als auch in anderen Teilen der Welt die Produktion wieder langsam hochgefahren, aber es knirscht noch überall im System. An vielen Häfen gibt es eine eingeschränkte Personaldecke und Vorschriften, die die Logistik erschweren. In Europa haben die Reedereien beispielsweise weiterhin ihre Kapazitäten um die Hälfte reduziert, um Angebot und Nachfrage auszugleichen.
Nicht nur, dass viele Schiffe gar nicht fahren, auch die Charterraten für Schiffe sind in allen Segmenten um teilweise bis zu 40 Prozent gesunken, heißt es vom Verband Deutscher Reeder, der jüngst eine Umfrage gestartet hatte. Außerdem erwarten die deutschen Reeder, dass die Preise noch weiter fallen werden. Die Umsätze der 50 befragten Unternehmen seien schon im März und April im Schnitt um 30 bis 40 Prozent zurückgegangen.
Neues Ungemach droht nun von der anderen Seite der Welt. Die Wirtschaft der USA befindet sich im freien Fall und in Südamerika droht ein neuer Corona-Hotspot zu entstehen. "Die Unternehmen, die im Bereich Seefracht und Luftfracht in dieser Region aktiv sind, werden mit einem massiven Rückgang nach Gütertransporte-Dienstleistungen rechnen müssen", meint Huster, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV).
Nicht alle Teilmärkte sind zusammengebrochen
Insgesamt sei die Logistik erheblich von der Corona-Pandemie getroffen, meint Robert Völkl, Geschäftsführer beim Verein Bremer Spediteure. Dabei treffe es nicht jeden Spediteur gleichermaßen. "Diejenigen, die besonders für die Automobilindustrie tätig sind, haben fast hundert Prozent ihres Umsatzes verloren", sagt Völkl. Auch im Bereich Elektronik, Maschinenbau und Textilhandel sei die Nachfrage nach logistischen Dienstleistungen nahezu komplett eingebrochen, ergänzt Frank Huster vom DSLV.
Im Gegensatz dazu ist die Nachfrage der Pharmazie- und der Lebensmittelbranche deutlich gestiegen, teilweise überproportional, so Huster. "Gut lief es auch im Bereich Lagerlogistik."
Insgesamt glaubt Huster, dass die Talsohle durchschritten ist. Die Wirtschaft in Ostasien laufe wieder an und mit ihr kommt auch der Güterstrom in Richtung Europa wieder in Fahrt. Auch die chemische Industrie und die Automobilindustrie in Deutschland und Europa fahren ihre Produktion wieder hoch. Auch der Handel, der viel Logistik-Bedarf hat, kommt nach den Lockerungen der Corona-Regeln wieder in Gang. "Das findet jetzt alles in verhaltenen Mengen wieder statt", so Huster.
Logistiker spüren Coronavirus in den Bilanzen
Den Löwenanteil der Logistik in Deutschland machen viele kleine und mittlere Betriebe aus. Rund 60.000 Unternehmen agieren im Bereich der logistischen Dienstleistungen. "Dort, wo bislang schon wenig verdient wurde, zum Beispiel im reinen Transportgeschäft, wo Einzelunternehmer mit ihrem Lkw unterwegs waren, da war der Wettbewerbsdruck bislang schon sehr hoch", sagt Heymann von Deutsche Bank Research. Diese Unternehmen hätten schon vor der Pandemie geringe Margen erzielt und dementsprechend kein dickes Finanzpolster angelegt. Dagegen hätten die größeren Unternehmen unter Umständen auch eher Zugang zu den staatlichen Hilfspaketen, glaubt Heymann.
Trotzdem spüren auch die Großen die Folgen der Pandemie. Das größte deutsche Logistikunternehmen, die Deutsche Post DHL, muss zwar einen größeres Paketvolumen stemmen, insgesamt aber hat die Pandemie den Gewinn im ersten Quartal einbrechen lassen.
Getroffen hat das Virus auch die Konkurrenten FedEx und UPS, die wie die Deutsche Post ihre Prognose für das laufende Jahr über Bord geworfen haben. Bei Kühne und Nagel sank der Gewinn vor Zinsen und Steuern im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 24 Prozent. Schenker, die Logistiktochter der Deutschen Bahn, verkündete Anfang Mai, dass sie 37 Prozent weniger Transportkapazität als noch vor einem Jahr habe.
Bisheriger Fachkräftemangel könnte jetzt Arbeitsplätze erhalten
Was die Logistikbranche trifft, trifft auch die deutsche Wirtschaft. Denn die Logistik ist in Deutschland der größte Wirtschaftsbereich nach der Automobilwirtschaft und dem Handel. Sie rangiert noch vor der Elektronikbranche und dem Maschinenbau. Durch die Steuerung der Waren- und Informationsflüsse, der Transport der Güter und ihre Lagerung erwirtschaftete die Branche 2019 rund 279 Milliarden Euro Umsatz, heißt es von der Bundesvereinigung Logistik. Mehr als drei Millionen Menschen sind in diesem Sektor beschäftigt.
Diese Arbeitsplätze könnten mit etwas Glück auch im Wesentlichen erhalten bleiben. "Noch gibt es kaum betriebsbedingte Kündigungen", sagt Huster. Die Logistik insgesamt sei mit dem Kurzarbeitergeld ganz gut gefahren. "Das kann sich natürlich ändern, wenn auf Dauer Kunden wegbrechen." Völkl erläutert, dass es in der Logistik jahrelang einen akuten Personalmangel gegeben habe. "Daher tun die Unternehmen alles, um ihre Mitarbeiter zu halten", so Völkl. Nach einer Umfrage unter seinen Mitgliedern heißt es vom Verein Hamburger Spediteure, dass für rund 95 Prozent der befragten Unternehmen Entlassungen nicht in Frage kommen.
Laut dem ifo-Institut hat im April bereits jedes zweite Unternehmen im Landverkehr Kurzarbeit angemeldet hatte. Lagerei und die Erbringung sonstiger Dienstleistungen für den Verkehr lagen bei 55 Prozent, Post-, Kurier- und Expressdienste bei 56 Prozent.
Zudem würden auch Arbeitsplätze im Transport wegfallen, heißt es vom ifo-Institut. Eine Konjunkturumfrage habe ergeben, das 24 Prozent der Unternehmen im Landverkehr und 20 Prozent im Bereich Lagerei und sonstige Verkehrsdienstleistungen bereits im April beschlossen haben, Beschäftigte zu entlassen oder befristete Verträge nicht zu verlängern.
Insolvenzen und Fusionen
Auch die Zahl der Insolvenzen im Bereich Logistik dürfte trotz aller Hilfspakete in den nächsten Monaten steigen, mutmaßt Eric Heymann von Deutsche Bank Research. "Zudem sind Übernahmen zu erwarten, wenn die Unternehmen sich in diese Situation trauen angeschlagene Unternehmen zu übernehmen."
Nach einer Blitzumfrage des Vereins Bremer Spediteure fürchten 20 Prozent der befragten Unternehmen um ihre Existenz, wenn sich die Weltwirtschaft nicht in absehbarer Zeit wieder erholt.
Herausforderungen für die Zukunft
Das Virus konnte sich auch deswegen so tief in die Eingeweide der Weltwirtschaft fressen, weil es ein weltweit stark vernetztes System ist. Das hat sich in dieser Pandemie als Nachteil erwiesen, nicht nur was die Versorgung mit Masken und Schutzanzügen angeht. So steht die Frage im Raum, ob es bald zu einer Art "De-Globalisierung" kommen wird, zu einer stärkeren Regionalisierung der Produktion.
Wenn Unternehmen ihre Produkte eher regional produzieren oder kaufen, wirkt sich das auch auf den Bedarf nach Logistik aus. "Das muss nicht unbedingt weniger Geschäft bedeuten", meint Heymann. "Denn wenn man Produktion auf mehrere Standorte aufteilt, kann das sogar zu mehr Transporten führen, auch zwischen den einzelnen Standorten."
Das wirklich wichtige Thema der Logistiker bleibt aber der Klimawandel. "Corona wird in einigen Jahren nur noch ein gravierender Einbruch in der Wirtschaft gewesen sein, den man in irgendeiner Form überwunden hat", so Heymann. "Was bleibt, ist das gesamte Thema Klima und umweltpolitische Regulierung." Der Verkehrssektor werde immer mehr in den Fokus dieser Regulierung rücken, ist sich der Ökonom sicher.