Die Demokraten müssen kämpfen
26. Oktober 201096 Mitglieder hat die Freimaurerloge in Avondale, einem Stadtteil im Nordosten von Cincinnati. Das Besondere: Die meisten sind Afro-Amerikaner. An diesem Abend im Oktober sind rund 20 von ihnen in die Villa gekommen, die als ihr Hauptquartier dient. Mit ernsten Gesichtern sitzen sie auf blau-goldenen Stühlen im Viereck. Die Beleuchtung ist spärlich, die Männer tragen ihre besten schwarzen Anzüge und weiße Handschuhe. Zahlreiche Goldketten und Fahnen geben der Sitzung eine feierliche Atmosphäre.
Mitten im Raum steht Steve Driehaus und macht Wahlkampf. Der demokratische Abgeordnete beantwortet Fragen nach auslaufenden Steuervorteilen und zu mangelnder Schulbildung der Kinder, es geht um Zwangsversteigerungen und natürlich um: Arbeitslosigkeit.
Steve Driehaus ist einer von jenen Abgeordneten, die mit dem Wahlsieg von Barack Obama vor zwei Jahren in den Kongress gespült wurden. Jetzt ist Obamas Stern gesunken und Driehaus kämpft, wie die anderen Neulinge, auf verlorenem Posten um seinen Job. Dieses Phänomen findet sich vor allem hier mittleren Westen, seit langem der Ort der Wechselwähler, wo die Menschen die schlechte Wirtschaftslage besonders hart trifft. Steve Driehaus weiß das.
"Wenn es um ihre eigene finanzielle Lage geht und ihre eigenen Zukunft", sagt er, "dann wollen die Leute, dass jemand Rechenschaft ablegt und ihre Fragen beantwortet." Der erste Reflex: Die Regierung in Washington wird zum Schuldigen erklärt. "Sie denken nicht daran, welche Politik sie in diese Situation gebracht hat", fährt Driehaus fort, "nicht, was den Häusermarkt zum Zusammenbrechen gebracht hat. Wenn sie das täten, dann würden sie erkennen, dass genau diejenigen für die Rezession verantwortlich sind, die jetzt wieder ins Amt wollen."
"Tsunami von Fehlinformationen"
Der 45-jährige Driehaus vertritt den Südwesten Ohios seit zwei Jahren im Repräsentantenhaus. Er ist einer von jenen Demokraten, die der Gesundheitsreform von Präsident Obama lange die Zustimmung verweigert haben. Für ihre Stimme verlangten sie die Zusicherung, dass mit öffentlichen Geldern keine Abtreibungen finanziert werden. Denn beim Thema Abtreibung hat der Katholik Driehaus keine liberalen Ansichten. Dennoch müsse er sich nun von den Republikanern als Abtreibungsbefürworter beschimpfen lassen, sagt er frustriert: "Wir kämpfen gegen einen Tsunami von Fehlinformationen."
Und das gelte nicht nur für seine eigenen politischen Ansichten, sondern auch, wenn es um die Politik der Bundesregierung in Washington geht. Driehaus versucht in seinem Wahlkampf, die Erfolge der Obama-Regierung in den Vordergrund zu stellen: 3,5 Millionen Arbeitsplätze geschaffen oder gerettet, die Gesundheitsreform ebenso durchgedrückt wie die Finanzreform. Doch das ist nicht immer einfach, gibt er zu. Selbstkritisch erklärt er, die Demokraten hätten es den Republikanern überlassen, die Agenda zu bestimmen. "Wir Demokraten sind ganz groß im Erbsenzählen und darin, uns gegenseitig die Schuld zuzuschieben."
Der mittlere Westen steht auf dem Spiel
Ähnlich wie in Ohio ist die Lage in vielen Bundesstaaten des Mittleren Westens: In Illinois, Indiana und Michigan zum Beispiel. Diese Staaten eint vor allem eins: Die hohe Arbeitslosigkeit noch über dem bundesweiten Durchschnitt, der im August bei 9,6 Prozent lag. Nimmt man Pennsylvania und Wisconsin dazu, dann stehen mehr als 20 Sitze im Repräsentantenhaus und vier Senatorensitze auf dem Spiel.
Dabei ist gerade der Wahlbezirk von Steve Driehaus prädestiniert für einen Wahlsieg: 2008 waren 28 Prozent der Wähler Afro-Amerikaner. Doch selbst die sind enttäuscht. In diesem Jahr, das ergab die jüngste Umfrage im Auftrag der Zeitung Cincinnati Enquirer, ist ihr Anteil an der Wählerschaft auf 16 Prozent gesunken. Driehaus gibt sich kämpferisch, aber sein Konkurrent, der Republikaner Steve Chabot, liegt um Längen vorn.
Alter Kandidat wirbt um junge Stimmen
Steve Chabot wirbt in der Universität von Cincinnati um Stimmen. Die College-Republikaner haben zu Pizza und Politik geladen in einen fensterlosen Raum, in dem es sonst um Ingenieurs- und andere Wissenschaften geht. Die Studentinnen und Studenten, die gekommen sind, müssen nicht von republikanischen Werten überzeugt werden. Sie wollen von dem 57-jährigen Chabot allenfalls Argumente hören, warum sie die Gesundheitsreform schlecht finden können, obwohl sie selbst davon profitieren.
Steve Chabot gehört zu den alten Hasen. 14 Jahre hatte er das Amt inne, das er vor zwei Jahren verlor. Nicht, weil er Fehler gemacht hat, sondern wegen der "Obama-Welle": "Damals hatten wir viele Erstwähler in den demokratischen Gegenden, die Obama wählten und dann auch einfach bei allen anderen Demokraten das Kreuz machten." So sieht er auch keinen Grund, seine Politik zu ändern. "Ich habe damals geglaubt, dass wir weniger Regierung und niedrigere Steuern brauchen und mehr persönliche Verantwortung", sagt er, "und dieser Ansicht bin ich auch heute noch."
Von der Tea Party unterstützt
Diesmal, so erklärt Steve Chabot, der seine spärlichen grauen Haare sorgfältig über die Halbglatze gekämmt hat, seien die Republikaner motiviert. Und diesmal werde er wieder gewinnen. Einen Konkurrenten der erz-konservativen Tea Party braucht Chabot nicht zu fürchten. Mit seinen Ansichten passt er in ihr Weltbild, hat er doch zum Beispiel gegen das Bankenrettungspaket gestimmt. Chabot hat die Unterstützung der Tea Party.
Der Demokrat Driehaus dagegen muss weiter um jede Stimme kämpfen. Dabei machen zumindest die Afro-Amerikaner der Gilde in Avondale klar, wo ihr Herz schlägt. Man dürfe zwar niemanden offiziell unterstützen, erklärt Freimaurer Jason Dunn, als er den Abgeordneten Driehaus verabschiedet, aber jeder solle doch bitte überlegen, welche Werte ihm wichtig sind.
Driehaus selbst gibt sich optimistisch und will nicht aufgeben. Das Wahlkampfkomitee der Demokratischen Partei im Kongress allerdings sieht seinen Kampf offensichtlich schon als verloren an. Nach mehreren Presseberichten zogen die Demokraten Fernsehspots im Wert von 500.000 US-Dollar wieder zurück, die eigentlich in den letzten Wochen des Wahlkampfes in Cincinnati laufen sollten. Das Geld soll Kandidaten zugute kommen, die Aussichten haben, ihren Kampf zu gewinnen.
Autorin: Christina Bergmann
Redaktion: Mirjam Gehrke