Die Deutschen und die EZB
23. Mai 2016"Nicht alle Deutschen glauben an Gott, aber alle glauben an die Bundesbank", sagte einst Kommissionspräsident Jacques Delors. Die Deutschen schätzten vor allem die Unabhängigkeit ihrer Notenbank und pochten darauf, dass eine Europäische Zentralbank ähnlich konzipiert werden müsste. So ist es auch gekommen. Die EZB ist laut Statut mindestens so unabhängig wie die Bundesbank und hat auch das gleiche Mandat, die Geldwertstabilität zu wahren.
"Dieses Mandat hat die EZB schon lange verlassen, weil sich die Notenbanken heutzutage auch für die allgemeine Wirtschaftspolitik und für das Wirtschaftswachstum zuständig fühlen", sagt der bekannte Investor und Wissenschaftler Max Otte gegenüber der Deutschen Welle. Um die Wirtschaft in der Eurozone anzuschieben, feuert die EZB aus allen Rohren. So senkte sie im März den Leitzins auf Null und erhöhte den Strafzins für das bei der Zentralbank geparkte Bankengeld zuletzt auf 0,4 Prozent. Nebenbei läuft noch das 1,7 Billionen Euro schwere Anleihekaufprogramm.
Deutschland besonders betroffen
Von dieser ultralockeren Geldpolitik sei Deutschland besonders betroffen, meint Max Otte: "Die Deutschen werden enteignet als Sparer, denn fast 80 Prozent des deutschen Geldvermögens sind Termingelder oder Lebensversicherungen. Die Volks- und Raiffeisenbanken sowie die Sparkassen werden ein Problem bekommen, weil sie im Kreditgeschäft fast nichts mehr verdienen."
Kein Wunder, dass die schärfsten Kritiker der EZB-Politik sowie dessen Präsidenten Mario Draghi aus Deutschland kommen. Dazu zählen Vertreter des Sparkassenverbandes, Bundesbank-Chef Jens Weidmann und Finanzminister Wolfgang Schäuble. Obwohl sich Schäuble dank Draghi so billig wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik verschulden kann, sieht er in der Nullzinspolitik den Nährboden für Rechtspopulismus.
Milde Worte aus taktischen Gründen
Dieser Vorwurf wiegt so schwer, dass selbst Jens Weidmann es für nötig hielt, seinem Kollegen Mario Draghi zur Seite zu springen. "Es ist nicht unüblich, dass Politiker eine Meinung zur Geldpolitik haben", sagte der Bundesbank-Präsident der "Financial Times" (FT) und betonte zugleich, dass die Notenbank unabhängig sei.
In der Tat hat nicht nur der deutsche Finanzminister eine Meinung zur Geldpolitik, auch die deutsche Bundeskanzlerin. Auf einer Veranstaltung in Leipzig nahm sie neulich Mario Draghi in Schutz: Die Notenbank habe "als Aufgabe eben auch die Geldwertstabilität, und dazu gehört eine bestimmte Mindest-Inflationsrate".
So viel Verständnis für den Italiener war selten aus Deutschland zu vernehmen. Was ist passiert? Insidern zufolge wollen Spitzenpolitiker und Währungshüter aus Deutschland den EZB-Chef umgarnen, um ihn letztlich von seinem Kurs abzubringen. Rechtzeitig vor dem Ende des Anleihekaufprogramms im März 2017 wollen sie den EZB-Rat davon überzeugen, das Programm nicht weiter zu verlängern.
"Draghi macht, was er will"
Experte Otte zweifelt am Erfolg solcher Bemühungen: "Letztlich ist die Bundesbank entmachtet. Jens Weidmann darf sich noch gelegentlich zu Wort melden. Aber eigentlich tut Draghi sowieso, was er will." Der Wirtschaftsprofessor in Graz und Worms geht fest davon aus, dass Mario Draghi dann das nächste Anleihekaufprogramm auflegen wird: "Bis dahin stehen wir ja nicht besser da."
In der Summe sei diese Niedrigzinspolitik für Deutschland eine Katastrophe, so Otte weiter. Nicht nur für Deutschland: "Billiges Geld hat uns in den Crash reingebracht, jetzt machen wir noch mehr davon. Das kann auf Dauer nicht gut gehen." Seiner Meinung nach stünden uns Zwangswirtschaft, Bargeldverbot und eine neue Organisation des Währungssystems bevor.
Würde ein Deutscher an der EZB-Spitze das Ruder herumreißen? "Wir hätten am Anfang einen deutschen EZB-Chef gebraucht. Jetzt könnte auch ein Deutscher nicht mehr viel verändern."