Die Enkelin des KZ-Kommandanten
24. September 2013"Viele Menschen können gar nicht glauben, dass die Geschichte keine Fiktion ist", sagt Jennifer Teege über ihre Herkunft. Und in der Tat: es klingt etwas absurd, wenn eine Anfang vierzigjährige Frau mit dunkler Haut berichtet, sie habe herausgefunden, dass ihr Großvater ein berüchtigter NS-Verbrecher war. Es handelt sich um Amon Göth, den ehemaligen Kommandanten des Konzentrationslagers Plaszów bei Krakau.
Der Name Amon Göth ist bekannt, weltweit. Auch heute noch. Steven Spielbergs Film "Schindlers Liste" von 1993 erzählt die wahre Geschichte zweier Männer. Amon Göth tötet Juden im Konzentrationslager, Schindler rettet hunderten Menschen aus dem Lager das Leben, indem er sie in seiner Fabrik arbeiten lässt. Schindler wurde von Israel als "Gerechter unter den Völkern" geehrt, Amon Göth als Kriegsverbrecher 1946 in Polen erhängt. Zwei Deutsche gleichen Alters, bei dem einen bringt der Krieg das Gute hervor, bei dem anderen das Schlechte. Dies zeigt der preisgekrönte Film.
Vom Balkon der Villa schoss er auf Juden
Besonders eine Filmszene bleibt im Gedächtnis: Vom Balkon seiner Villa in Plaszów erschießt Amon Göth Häftlinge. Einfach so. Dieser Mann galt schon zu Lebzeiten als die Inkarnation des sadistischen NS-Mörders. Und Jennifer Teege ist seine Enkelin.
Teege ist in einer Pflegefamilie aufgewachsen. Ihr leiblicher Vater kommt aus Nigeria, ihre Mutter ist Deutsche. Oft genug musste sie erleben, wie es ist, wenn man auffällt. "Als Kind gab es schon Äußerungen, auch zu meiner Hautfarbe und das hat mich damals getroffen", sagt sie im Gespräch mit der DW. Studiert hat sie in Israel und dort auch viele Holocaust-Überlebende kennengelernt. Sie hat ihnen vorgelesen - auf Deutsch - und war froh, doch niemals als Deutsche wahrgenommen zu werden. Dass ausgerechnet diese Frau mit dunkler Haut die direkte Nachfahrin eines NS-Verbrechers ist, darauf wäre in Israel niemand gekommen.
Auch Jennifer Teege selbst wusste lange nichts von ihrer Familiengeschichte. Als kleines Kind kam sie in eine Pflegefamilie. Anfangs besuchten ihre leibliche Mutter und ihre Großmutter sie noch, doch dann bricht der Kontakt ab. Erst mit 38 Jahren findet sie zufällig ein Buch, auf dessen Einband sie ihre Mutter erkennt. Es ist ein Buch über den KZ-Kommandanten Amon Göth und seine Tochter Monika - Jennifer Teeges Mutter.
Was hat der eigene Großvater während der NS-Zeit getan?
An diesem Punkt beginnt das Buch, das Jennifer Teege jetzt gemeinsam mit der Journalistin Nikola Sellmair geschrieben hat. Der drastische Titel: "Amon. Mein Großvater hätte mich erschossen." Es ist die intime Geschichte von Jennifer Teege und ihrer Suche nach Identität. Und es geht um das Schweigen der Nachkriegszeit, das Auswirkungen hat bis heute.
"Stellt Euch Eurer Vergangenheit!", das haben jüngere Generationen von denen gefordert, die den Nationalsozialismus aktiv miterlebt haben. Aber: "Was der eigene Großvater wirklich getan hat - viele wissen es nicht", schreibt die Journalistin Nikola Sellmair. Sie ordnet in dem Buch die individuelle Geschichte von Jennifer Teege historisch ein.
"Viele Kinder prominenter Nationalsozialisten schwanken zwischen Glorifizierung der Väter - und grenzenlosem Hass auf ihre Erzeuger", schreibt Sellmair. Der Sohn von Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß versuchte zeitlebens seinen Vater zu rehabilitieren. Die Großnichte von Hitlers Luftwaffenchef Hermann Göring ließ sich sterilisieren, "um nicht noch so ein Monster hervorzubringen". Jennifer Teeges Mutter Monika Göth hat etliche Interviews über ihren Vater gegeben, in denen sie zwischen Hass auf den Vater und Rechtfertigung seiner Taten schwankt. "Die Kinder arbeiteten sich noch an den Verbrechen ihrer Väter ab - die Enkel arbeiten die Verstrickungen ihrer Familien auf", schreibt Sellmair. Das Abarbeiten lässt die Nachfahren weiter um die Schuld ihrer Familie kreisen, erst beim Aufarbeiten finden die Enkel einen Weg, sich aus ihr zu befreien.
Der Mensch ist nicht Gut oder Böse
"Es ist ganz leicht, sich von Amon Göth, einem so starken Sinnbild für das Böse, zu distanzieren und zu sagen, ich bin anders", meint Jennifer Teege. "Aber es gibt Schattierungen, der Mensch ist nicht Gut oder Böse." Für Teege ist diese Differenzierung wichtig. Gerade damit keine Feindbilder entstehen. Denn genau das war schließlich im Nationalsozialismus geschehen.
Jennifer Teege stellt sich ihrer Familiengeschichte, schaut sich Bilder ihrer Großmutter an - die zeitweise mit Amon Göth in seiner KZ-Villa lebte - fährt nach Krakau, an den Ort der Verbrechen ihres Großvaters, trifft Zeitzeugen, liest alles, was sie über die NS-Vergangenheit finden kann und spricht mit Psychologen. "Man denkt, dass etwas, über das man nicht spricht, keine Auswirkung hat. Aber in meinem Fall hatte das Schweigen eine zerstörerische Wirkung", sagt sie.
Ihr Leben lang habe sie Depressionen gehabt, erzählt sie, heute fühle sie sich sehr gut. "Herkunft ist grundlegend für die eigene Identität. Und jeder Mensch braucht das Gefühl für die eigene Identität". Bisher stand für sie die deutsche Familiengeschichte im Vordergrund. In Zukunft will sie aber auch Afrika kennenlernen. Und nach Nigeria fahren. In die Heimat ihres leiblichen Vaters.
Jennifer Teege / Nikola Sellmair: "Amon. Mein Großvater hätte mich erschossen". Rowohlt; 19,95 €.