Enttäuschte Hoffnungen bei der Revolutionsjugend
25. Mai 2014Ali Ghoneim ist stinksauer auf die Machthaber in Ägypten. "Sie sind doch für die miese Wirtschaftslage verantwortlich", sagt er und haut auf den weißen Tisch in seiner kleinen Textilwerkstatt. "Dahinter steckt eine einfache Strategie: Die Leute sollen sagen, wir haben in der Ära Mubarak besser gelebt als jetzt", fügt er hinzu. Dem Sicherheitsapparat in Ägypten wirft er das Gleiche vor: "Sie lassen es zu, dass die Sicherheitslage schlechter wird. Damit wollen sie, dass die Leute nur noch nach Sicherheit verlangen." Die Faustschläge auf den Tisch werden lauter. "All die Menschenrechtsverbrechen, die sie sowohl in der Ära Mubarak als auch nach der Revolution begangen haben, sollen in Vergessenheit geraten."
Fataler Fehler der Revolutionsjugend
Vergessen kann er selbst aber nichts. Die Repressalien der Sicherheitsbehörden hat er am eigenen Leib erfahren. Mehrmals saß er in den vergangenen drei Jahren in Haft wegen der Teilnahme an Demonstrationen. Er holt ein Tablet aus seiner Tasche und zeigt Fotos von verschiedenen Kundgebungen: auf dem Tahrir-Platz im Januar 2011, gegen Militärgerichte für Zivilisten und gegen die Herrschaft der Muslimbrüder. Die Bilder kann er nur langsam auf dem zerbrochenen Display hin- und herschieben.
Das Gerät habe verhindert, dass ein Polizist ihm den Arm brach, sagt er und lächelt zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs. "Der hat angefangen, uns heftig zu schlagen. Zwei Schläge mit dem Stock waren auf meinen Arm gerichtet - haben aber das Tablet getroffen." Das war bei einer Demonstration vor dem Präsidentenpalast Ende November 2012 gegen den Verfassungsentwurf der Muslimbrüder, der Ex-Präsident Mohammed Mursi mit mehr Macht ausstatten sollte.
Die Ereignisse der vergangenen drei Jahre machen ihn traurig. Er sagt, seine Revolution wurde mehrmals geklaut. Einem großen Teil der jungen Männer und Frauen, die mit ihm demonstrierten, geht es momentan so. Von der Euphorie, die nach dem Sturz Mubaraks Anfang Februar 2011 überall zu sehen war, ist wenig geblieben. Rückblickend liege der Fehler bei der Revolutionsjugend selbst, sagt Ali Ghoneim. Er und seine Mitstreiter hätten nach dem Sturz von Mubarak auf dem Tahrir-Platz bleiben müssen, "bis alle unsere Forderungen erfüllt sind". Nach einer kleinen Denkpause sagt er: "Wir haben das Feld geräumt für die Wiederherstellung des Mubarak-Regimes. Ob durch das Bündnis seiner Überbleibsel mit Kräften, die zur Revolution zu rechnen sind, oder mit den Muslimbrüdern und anderen islamistischen Strömungen. Das war in der Tat ein fataler Fehler von uns."
"Wirtschaftsdiktatur und Politik des Bettelns"
2011 hatten sie gedacht, dass sie das alte Regime endgültig gestürzt hätten. Doch einige Relikte seien immer noch an der Macht. Nicht zuletzt Ex-Militärchef und Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi, der aussichtsreichste Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen, die nächste Woche anstehen.
Die Straßen von Alexandria, der Heimatstadt Ghoneims, sind voll mit Bannern und Werbeplakaten für Al-Sisi. Reiche Anhänger und Geschäftsleute haben sie anbringen lassen. "Es lebe Ägypten", steht überall neben dem Konterfei eines lächelnden Al-Sisi. Bilder, die Aktivist Ghoneimi ständig an das Scheitern der Revolution erinnern. Er ist entschlossen, die Wahlen zu boykottieren. Für ihn sei das ein Schauspiel, das nur dazu diene, das Bild Ägyptens im Ausland zu verbessern. "Es ist ein Ritual, einen Militärchef zum Präsidenten wählen zu lassen", sagt er. "Das Ziel ist die Wiederentstehung und die Fortsetzung des repressiven Regimes, sei es, um Freiheiten weiter zu unterdrücken oder die ökonomische Macht des Militärs in Ägypten auszuweiten."
Ali Ghoneim sieht sich durch die Ansprachen und Interviews von Al-Sisi bestätigt. Dieser redet kaum über die Menschenrechte, Sicherheit und Stabilität gehen für ihn vor. Gleichzeitig will er die wirtschaftlichen Probleme des Landes durch massive Einmischung des Militärs in den Markt lösen. Wenn essenzielle Güter teuer werden, sollen die Streitkräfte diese zum Beispiel zu niedrigeren Preisen anbieten. Dabei sollen zivile Personen den Verkauf übernehmen, um so auch der hohen Arbeitslosigkeit entgegen zu wirken. Für große Investitionen sollen befreundete Länder, vor allem die Golfstaaten, dem Land am Nil unter die Arme greifen. "Wirtschaftsdiktatur und Politik des Bettelns", sagt Ghoneim. Mehr hat er nicht für das Wahlprogramm von Al-Sisi übrig.
Hoffnung auf Rechtsstaat und Freiheiten
Er nimmt eine kleine Säge in die Hand und fängt an, karierte Stoffstücke vor sich auf dem Tisch zu zerkleinern. Seinem Geschäft gehe es gut, sagt er. Je nach Auftragslage beschäftigt er zwischen 13 und 18 Mitarbeitern. Über Politik wird auch während der Arbeit geredet. "Das Land geht den Bach runter, Herr Ali", sagt ihm eine ältere Mitarbeiterin, die kleine Stoffteile bügelt. "Die Muslimbrüder sind keine gute Menschen. Sie haben aber die ganzen Repressalien nicht verdient." Ali Ghoneim stimmt zu.
Das Rattern der Handsäge übertönt ihre Unterhaltung. "Wer weiß, wer der Nächste sein wird", entgegnet er. Doch er habe keine Angst, weiter für die Träume der Revolution zu kämpfen. Für die "Hoffnung, in einem Staat zu leben, der Gesetze respektiert. Und nicht die, die Panzer besitzen oder Waffen in der Hand halten, haben das Sagen. Wir träumen von echten Freiheiten, dass jeder friedlich seine Meinung äußert, ohne Angst zu haben, verhaftet oder geschlagen zu werden."