"EU braucht Lobby-Regeln"
18. Februar 2013Deutsche Welle: Herr Moser, wie lang haben Sie für Ihren Film '"The Brussels Business" recherchiert?
Friedrich Moser: Insgesamt haben wir an unserem Film beinahe vier Jahre gearbeitet, wobei wir zwei Jahre davon recherchiert haben. Ich muss allerdings dazu sagen, dass mein Co-Autor und Co-Regisseur Matthieu Lietaert ein profilierter Politikwissenschaftler ist, der genau zu diesem Thema Lobbying und Governance in Europa gearbeitet hat. Er ist einer der fünf Top-Experten zum Thema Lobbying in Brüssel.
In Brüssel soll es 10.000 bis 20.000 Lobbyisten geben. Genaue, beziehungsweise offizielle Zahlen liegen nicht vor. Wie groß ist deren Einfluss auf Entscheidungen in der EU?
Der Einfluss der Lobbyisten in Brüssel ist ein sehr großer, denn die Lobbyisten sind die, die die Expertise bringen. Die europäischen Institutionen, vor allem die Kommission, aber auch das Parlament sind im Vergleich zu nationalen Regierungen unterbesetzt. Das heißt, sie haben zu wenig Personal, um diese Expertise im Haus selbst herzustellen. Das Problem des Lobbyings ist ja nicht, dass es Lobbyisten gibt. Ich glaube, es ist sehr wichtig und notwendig in einer Demokratie, dass den Gesetzgebern möglichst viele Interessen präsentiert werden, damit sie gute Gesetze machen können. Das Problem des Lobbyings in Brüssel ist, dass die Kräfteverhältnisse sehr unausgewogen sind und das ist ein sehr großer Unterschied zu Ländern wie Österreich und Deutschland.
Vor wenigen Tagen und nach anstrengenden Diskussionen haben die europäischen Staats- und Regierungschefs den künftigen EU-Haushalt verabschiedet. Inwieweit sind Entscheidungen von solcher Tragweite von Lobbyisten beeinflusst?
Beim EU-Haushalt haben die Lobbyisten weniger Einfluss. Das ist wirklich eine Sache, bei der nationale Regierungsinteressen eine große Rolle spielen. Die Lobbyisten haben einen viel größeren Einfluss, wenn es darum geht, Richtlinien zu erlassen. Wie zum Beispiel in der Debatte um die EU-Pläne zur Privatisierung der Wasserwirtschaft, wo den großen Wasserkonzernen in Europa durch die Hintertür Möglichkeiten geöffnet werden, an noch mehr Wasserkonzessionen zu kommen.
Was charakterisiert Ihrer Ansicht nach den typischen Lobbyisten in Brüssel. Ist er politischer Berater für bestimmte Themen oder knallharter Strippenzieher für den jeweiligen Auftraggeber?
Man muss verschiedene Arten von Lobbyismus unterscheiden. Da ist der Lobbyist, der für einen Verband arbeitet, für eine Nichtregierungsorganisation oder für einen Konzern. Der ist jemand, der technisch sowie juristisch sehr versiert ist und weiß, wie der Gesetzgebungsprozess funktioniert und an welchen Stellschrauben er drehen muss, um seine Interessen berücksichtigt zu finden. Dann gibt es den Auftragslobbyisten, der in Brüssel immer wichtiger und stärker wird. Diesen Typus hat man hauptsächlich aus den USA importiert, wo die technische Expertise überhaupt keine Rolle spielt. Dort geht es nur darum, an den richtigen Stellschrauben zu drehen. Also zu wissen, wo man in legislativen Prozessen eingreifen kann und welche die dafür entsprechenden Kontakte sind. Knallharte Strippenzieher sind die Leute, die sich im Hintergrund halten. Die kein Tag-zu-Tag-Lobbying betreiben, sondern die in den Think Tanks die großen Strategien vorgeben. Einer davon ist Etienne Davignon, ein belgischer Politiker. Früher war er EU-Kommissar, ging dann in die Wirtschaft und ist Gründer von dem Think Tank "Friends of Europe". Ein anderer dieser wirklichen Strippenzieher, bei denen es um die großen strategischen Entscheidungen geht, ist Peter Sutherland. Auch er war EU-Kommissar, war dann bei der Welthandelsorganisation WTO und ist in die Privatwirtschaft gegangen und im Bankensektor tätig. Oder der ehemalige Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann.
Sie konnten mit Lobbyisten sprechen. Nun könnte man meinen, dass die Interessenvertreter lieber unerkannt bleiben wollen. Wie haben Sie es geschafft, dass sie sich vor der Kamera geäußert haben?
Man muss vorausschicken, dass Brüssel ein relativ offenes System ist. In Brüssel kommt man eigentlich relativ leicht an Informationen. Es gibt sogar eine Überinformation aus den Institutionen und deren Umfeld heraus. Es ist sehr schwierig, diese Informationen richtig einzuordnen und zu strukturieren. Bei den Lobbyisten ist es dasselbe. Die sind auch leicht zugänglich. Da hat man eigentlich keine Schwierigkeiten. Bei den beiden Lobbyisten, die wir in unserem Film porträtiert haben und zu Wort haben kommen lassen, war es so: Keith Richardson wollte schon immer ein Buch schreiben, über seine Tätigkeit beim "European Round Table of Industrialists" (ERT) und über die großen Entscheidungen, die Grundlagen der EU, die durch den ERT beeinflusst wurde. Wie diese beeinflusst wurden und welche Ideen da auch ganz spezifisch eingepflanzt wurden, neoliberale Ideen, die auch heute noch zutage treten.
Welche Rolle hat Keith Richardson genau gespielt?
Keith Richardson war lange Zeit der Generalsekretär der ERT. Er war praktisch der Geschäftsführer dieser Lobbygruppe von 45 Großkonzernen in Europa. Der fand aber keinen Verlag. Wir hatten ihn angesprochen und gesagt, dass wir diese wichtige Phase beim Zustandekommen der EU in unserem Film featuren wollen. Um zu verstehen, was heute in Brüssel abgeht, sollte man diese Episode der europäischen Geschichte kennen. Der war hoch erfreut, dass wir uns dafür interessiert haben. Der andere ist Pascal Kerneis, der im Dienstleistungsbereich Lobbying betreibt, einer Branche, die für 50 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung steht. Das sind Banken, Versicherungen, Telekomkonzerne, Tourismuskonzerne. Alles bekannte Namen, die man auch auf seiner Webseite findet. Der hat gesagt, Lobbying hat so einen schlechten Ruf und er möchte mit seiner Teilnahme im Film dagegen auftreten, um zu zeigen, dass es ein ganz normaler Job ist, der von ganz normalen Menschen gemacht wird.
Herr Moser, wie sehen Sie den Lobbyismus: Ist er ein hinnehmbares, notwendiges Übel im Zusammenspiel zwischen Politik und Interessenverbänden oder ein Phänomen, dass die Demokratie unterläuft und deshalb massiv bekämpft werden muss?
Ich denke, dass Lobbyismus ein Teil des demokratischen Prozesses ist, weil wirtschaftliche oder gesellschaftliche Interessen gebündelt an den Gesetzgeber herangetragen werden. Dieser muss ja diese Bereiche regulieren, wofür er Informationen aus erster Hand braucht, die er sich nicht aus den Fingern saugen kann. Lobbyismus wird dann gefährlich, wenn er mit Korruption in Verbindung kommt, wenn Geldflüsse mit im Spiel sind, wenn Regeln der Fairness und der Transparenz nicht eingehalten werden. In Brüssel hat man damit ein Problem. In den USA, wo der Lobbyismus schon viel länger als Teil des politischen Prozesses etabliert ist als in Europa, gibt es viel schärfere Regeln. Weil man auch weiß, was die Abgründe des Lobbyismus sein können. Ich glaube, dass man in Brüssel ein bisschen unbedarft ist. In den USA gibt es verpflichtende Regeln für alle. Es gibt vierteljährliche Offenlegungen, wo man erfährt, welche Lobby hat welchen Politiker getroffen. Wie finanziert sich diese Lobby, wer sind die Geldgeber, welche Interessen vertritt sie nach außen, welche Aktivitäten im PR-Bereich hat sie unternommen. Alles ist öffentlich über das Internet zugänglich. Das ist ein Vorbild, dem wir in Europa unbedingt nacheifern sollten. Ich glaube nicht, dass man Lobbyismus ausschalten kann, auch nicht ausschalten muss. Aber ich denke, es muss klare Regeln für Fairness und Transparenz geben.
Friedrich Moser (1969 in Gmunden, Österreich geboren) ist Regisseur, Produzent und Gründer der Produktionsfirma für Dokumentationen "blue+green communications". Der studierte Historiker und gelernte Fernsehjournalist hat in den vergangenen Jahren mehr als 20 Dokumentarfilme veröffentlicht. Die Dokumentation '"The Brussels Business" ist vom deutsch-französischen Fernsehsender Arte ausgestrahlt worden.