"Die EU soll Bosnien unverzüglich aufnehmen"
4. März 2022"Der 24. Februar 2022 ist ein schwarzer Tag für die Geschichte Europas, und er verlangt von uns, schnell zu reagieren. Die Gefahr besteht, dass solch eine Aggression gegen einen souveränen Staat auch andere Diktaturen bewegen könnte, Ähnliches zu versuchen." Mit dieser dringlichen Warnung haben sich zwei ehemalige Hohe Repräsentanten von Bosnien und Herzegowina (Hohe Repräsentanten werden von der UN eingesetzt und verfügen über weitreichende administrative Vollmachten in Bosnien und Herzegowina, Anm. d. Red.), Christian Schwarz-Schilling und Valentin Inzko, an die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gewandt. Damit reagieren sie auf die russische Invasion in der Ukraine und die Angriffe des russischen Militärs auf zivile Ziele dort.
Abgesehen davon, dass die Kriegsführung des russischen Präsidenten Wladimir Putin sie an den Bosnienkrieg in den 1990er Jahren und den Artillerie-Terror gegen die Menschen in Sarajevo erinnert, glauben sie, dass der Führer der bosnischen Serben, Milorad Dodik und der Präsident Serbiens, Aleksandar Vucic, "Russlands Aggression gegen die Ukraine nutzen und einen neuen Krieg in Bosnien und im Kosovo provozieren könnten."
"Serbien und die Republika Srpska haben ihre Ziele aus den 1990ern nicht erreicht und sie stehen Russland nahe. Man muss befürchten, dass sich die aktuelle Aggression gegen die Ukraine auch auf den Westbalkan, besser gesagt auf Bosnien und Herzegowina und Kosovo, übertragen könnte", hieß es in einem gemeinsamen Brief an Ursula von der Leyen.
Beitrittsverhandlungen jetzt!
Angesichts der Tatsache, dass die Ukraine, die Tschechische Republik, Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Slowakei und Slowenien den dringenden Beitritt der Ukraine zur EU gefordert haben, sei es jetzt an der Zeit, dass man mit den Ländern des Westbalkans, die eine EU-Mitgliedschaft anstreben, unverzüglich Beitrittsverhandlungen beginne. Dies müsse auch für Bosnien und Herzegowina gelten, als Lehre aus den Ereignissen der letzten Tage, schreiben Inzko und Schwarz Schilling in ihrem Appell.
In einer Rede anlässlich des 30. Jahrestages der Unabhängigkeit Bosniens in Frankfurt am Main am 1.3.2022 wurde Schwarz-Schilling noch deutlicher: "Die EU soll unverzüglich und unbürokratisch Bosnien und Herzegowina in die EU aufnehmen", sagte er und fügte hinzu, dass die Europäer dem Land auch moralisch verpflichtet seien. Denn während des Krieges in den 1990er Jahren wurden die Angegriffenen durch die Verhängung eines Waffenembargos gegen Bosnien daran gehindert, sich zu wehren.
Valentin Inzko glaubt, dass die Ereignisse in der Ukraine die internationale Gemeinschaft dazu bewegen können, die Sezessionsdrohungen in Bosnien ernsthaft anzugehen. Der Präsident der Republika Srpska, Milorad Dodik, spreche zwar im Moment nicht darüber, während Russland, wie Serbien betone, die territoriale Souveränität des Landes unterstütze.
"Unter Vorbehalt können wir von einem System kommunizierender Röhren sprechen. Aus diesem Grund hat die EUFOR ihre Truppen in BiH bereits verstärkt, was ich immer gefordert habe, obwohl es keine oder fast keine deutschen Soldaten in Bosnien gibt. Die Formel lautet: Ein friedlicher Balkan - ein sichereres Europa", sagte Inzko und fügte hinzu, dass er in den letzten 15 Jahren kein so großes Interesse der internationalen Gemeinschaft an Bosnien und Herzegowina gesehen habe wie jetzt. Darüber sei er sehr froh.
"Die NATO ist verpflichtet, in Bosnien zu handeln"
Inzko und Schwarz-Schilling weisen darauf hin, dass die NATO und die EU mit ihren EUFOR-Truppen sowohl ein Mandat als auch eine Verpflichtung gegenüber Bosnien haben. Das leite sich aus dem Friedensabkommen von Dayton und dem Berlin-Plus-Abkommen (NATO-EU Vereinbarung über das gemeinsame militärische Handeln, Anm. d. Red.) ab und schließe den Schutz der Souveränität und der territorialen Integrität Bosniens mit ein, obwohl das Land weder ein Mitglied der NATO noch der EU ist.
Trotz dieser Verpflichtung fordern sie in einem Brief an den NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, "den Menschen in Bosnien und Herzegowina nachdrücklich zu versichern, dass sie nicht wie vor 30 Jahren im Stich gelassen werden."
"Niemand weiß, was Putins Ziele sind. Deshalb bitten wir Sie, alles in Ihrer Macht Stehende zu tun, um Bosnien und Herzegowina zu schützen. Ihre Bürger müssen NATO-Garantien erhalten, falls sich der Krieg auf den Westbalkan ausweitet", so Inzko.
Er glaube nicht, dass "Putin und Lawrow morgens aufwachen und an Banja Luka (Hauptstadt der Republika Srpska, des serbischen Teils in Bosnien und Herzegowina, Anm. d. Red.) denken werden". Aber das heiße nicht, dass das Land nicht eines Tages auf der Tagesordnung stehen könnte.
Aus diesem Grund fordern die beiden ehemaligen Hohen Repräsentanten die Entsendung von NATO-Truppen in den Brcko-Korridor und an die Grenze zwischen Bosnien und Herzegowina und Serbien. Dabei berufen sie sich auf Stoltenbergs jüngste Erklärung: "Der Kreml versucht, die NATO und die EU dazu zu zwingen, ihre Partner weniger zu unterstützen. Daher muss unsere gemeinsame Antwort darin bestehen, Länder wie Bosnien und Herzegowina, Moldawien und Georgien noch stärker zu unterstützen, damit sie bei ihren demokratischen Reformen und dem von ihnen gewählten Weg erfolgreich sind."
Serbien den Kandidatenstatus entziehen?
Inzko und Schwarz-Schilling gehen noch einen Schritt weiter. Sie glauben, dass Serbien von seiner Kandidatur für die EU-Mitgliedschaft ausgeschlossen werden sollte, weil Belgrad sich weigert, Sanktionen gegen Russland mitzutragen. Sie beziehen sich damit auf den ersten Hohen Repräsentanten in Bosnien und Herzegowina, Karl Bildt, der vor wenigen Tagen auf Twitter schrieb, dass sich Serbien durch seine Haltung gegenüber Russland "selbst aus dem Beitrittsprozess ausschließt" und dass "Länder, die europäische Werte nicht teilen, keinen Platz in der EU haben".
"Ich stimme mit Karl Bildt überein", sagte Valentin Inzko der Deutschen Welle, "aber das hätte er auch vorher sagen können. Ich möchte Sie daran erinnern, dass ein anderer Politiker - nämlich Heiko Maas (ehemaliger deutscher Außenminister, Anm. d. Red.) am 28. Oktober 2020 erklärte, dass es in einem Land, das der EU beitreten will, keinen Platz geben darf, um Nationalismus zu schüren, Kriegsverbrechen zu leugnen und Kriegsverbrechen zu verherrlichen."