Die EU will Lateinamerika Freund und Partner sein
12. Mai 2006Beim traditionellen "Familienfoto" staunten die 62 Staats- und Regierungschefs nicht schlecht, als plötzlich eine Umwelt-Aktivistin im glitzernden, perlenbestickten Bikini vor ihnen auf und ab tanzte, und das im Hochsicherheitsbereich des Gipfelgeländes. Evangelina Carrozza, eine Karnevalskönigin aus Argentinien, wollte mit ihrem Auftritt am Freitag (12.5.2006) in Wien gegen den Bau von Zellstoff-Fabriken in Uruguay protestieren.
Sicherheitskräfte führten die Frau ab, während der österreichische Gastgeber, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, in der anschließenden Pressekonferenz seine Fassung schon wieder gefunden hatte und ins Philosophieren kam: "Südamerika ist anders als wir", sagte Schüssel - nicht mit Blick auf die Umwelt-Aktivistin, sondern mit Blick auf die zersplitterte politische Landkarte.
Aber gleichzeitig, betonte Schüssel, habe man gemeinsame Werte und Ziele. Man wolle Lateinamerika auf seinem Weg zu mehr Zusammenhalt nicht bevormunden und die EU habe auch nichts dagegen, wenn andere Staaten wie China sich in Lateinamerika engagieren: "Ich bin kein Anhänger der These, die manchmal veröffentlicht wird: 'Achtung, wir verlieren Lateinamerika!' Wir sind kein Vormund, der was vorschreiben will, sondern wir sind Freund und Partner."
"Das nenne ich Populismus"
Der mexikanische Präsident Vicente Fox sagte, Lateinamerika könne bei der politischen Integration des Kontinents von Europa lernen, denn im Moment überschattet die Konkurrenz zwischen den verschieden Staatengemeinschaften in Südamerika den Gipfel. Entscheidende Fortschritte bei den Gesprächen über Freihandel zwischen der EU und Südamerika blieben deshalb aus.
Der Streit zwischen Protektionisten wie Boliviens Präsident Evo Morales und den Wirtschaftliberalen wie Vicente Fox, wurde auf der Wiener Bühne ausgetragen. Der mexikanische Präsident sagte, Abschottung der Märkte und sozialistischer Populismus seien keine Lösung: "Das ist eines der großen Hindernisse für Wachstum und Entwicklung. Das ist ein falscher Ansatz im Kampf gegen die Armut. Das nenne ich Populismus." Der bolivianische Präsident Morales hatte nach der Verstaatlichung der Erdgasfelder einen solchen Schritt auch für andere Wirtschaftszweige angekündigt.
Der Präsident Venezuelas, Hugo Chavez, wetterte gegen Kapitalismus im Allgemeinen und die USA im Besonderen. Er ist mit seinen markigen Auftritten der Liebling der Medien und der Star auf dem kapitalismus-kritischen Gegengipfel der Nicht-Regierungsorganisationen.
Annan: Welthandel braucht Vertrauen
UN-Generalsekretär Kofi Annan mahnte in Wien, in einer globalen Wirtschaft bringe es nichts, durch Verstaatlichungen Investoren abzuschrecken. Wichtig sei, dass die wirtschaftlichen Beziehungen und nationale Ressourcen so gemanagt würden, dass die Nationen und die Bevölkerung davon profitierten. Der Welthandel brauche Vertrauen. Investoren müssten sicher sein können, dass die Bedingungen für ihr Engagement auch auf lange Sicht garantiert sind, mahnte der Generalsekretär.
Annan sagte weiter, ein Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik in Europa und vor allem in Südamerika müsse es sein, die Jugend-Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und jungen Leuten eine Alternative zu Drogenkonsum und Kriminalität zu bieten.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm nur für wenige Stunden am vierten EU-Lateinamerika-Gipfel teil und reiste am Freitagmittag nach einigen bilateralen Gesprächen ab.