Die EVP und ihr ungarisches Sorgenkind
2. Februar 2021Donald Tusk hatte ein vergiftetes Geschenk im Gepäck: In seinem Grußwort zum virtuellen Parteitag der CDU in Berlin am 16.01.2021 appellierte der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) an die "Standhaftigkeit in unserem gemeinsamen Kampf um die freiheitliche Demokratie. Auch in unseren eigenen Reihen." Jetzt kämen "harte Entscheidungen" auf die Konservativen in Europa zu. Dabei sei ein "klarer Standpunkt" "Gold wert."
Mit seinen Worten legte der Pole den Finger in eine zehn Jahre alte Wunde: Wie sollen die Konservativen in Europa mit ihrem Sorgenkind Viktor Orbán und seiner Partei Fidesz umgehen? Seit März 2019 ist die Mitgliedschaft der ungarischen Regierungspartei in der konservativen Parteienfamilie suspendiert; einzelnen Fidesz-Abgeordneten wird das Rederecht im Europaparlament verweigert; Tusk will Fidesz ganz loswerden und wird dabei von einigen kleineren EVP-Mitgliedsparteien unterstützt.
Zuletzt hatte Viktor Orbán die eigenen Reihen mit seiner Veto-Drohung gegen den EU-Haushalt verärgert. Die Zusammenarbeit mit der Regierung in Budapest in den vergangenen Monaten sei "extrem ernüchternd gewesen", sagte EVP-Fraktionschef Manfred Weber, dem von Fidesz-Mitgliedern "Gestapo-Methoden" vorgeworfen worden waren. "Die Entscheidung", ob die Ungarn noch in der EVP bleiben können, "kann nicht mehr aufgeschoben werden", urteilte der CSU-Politiker deshalb gegenüber der dpa.
Ein zehn Jahre altes Problem
Seit mittlerweile zehn Jahren hadert die EVP mit ihrem ungarischen Sorgenkind. Solange schon testen Viktor Orbán und Fidesz aus, wie weit sie gehen können. Angriffe auf Pressefreiheit, Justiz, Zivilgesellschaft und EU-Kommission, die Vertreibung der Central European University aus Budapest, Korruption - die Liste der Konflikte mit Brüssel, aber auch mit den konservativen Partnern ist lang.
Bisher hieß es aus den Unionsparteien immer, man wolle "intern" auf Orbán einwirken. "Ich darf daran erinnern, dass die wenigen Parteien, die gefordert haben, Fidesz auszuschließen, nicht repräsentativ sind für die Mehrheit der EVP", betont Bence Bauer im Gespräch mit der DW. Er ist selbst Fidesz-Mitglied und leitet das Deutsch-Ungarische Institut für Europäische Zusammenarbeit in Ungarns Hauptstadt Budapest.
CDU und CSU sind am Zug
Die radikalen Orbán-Kritiker innerhalb der EVP stammen aus einem knappen Dutzend kleinerer Parteien aus den nordischen und Benelux-Staaten. Für einen Ausschluss "braucht es am Ende die Stimmen der CDU und CSU", ist sich deshalb der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund sicher. Damit liege der Ball im Feld des neuen CDU-Vorsitzenden Armin Laschet: "Wenn er jetzt sagt: Meine Delegierten stimmen für den Ausschluss, dann könnte dieser Ausschluss vollzogen werden", so Freund im Gespräch mit der DW.
Dass das "eine schwierige Verhandlungsfrage" wird, gibt der CDU-Chef selbst zu. Polen und Ungarn würden in der Europäischen Union gebraucht - und er wolle nicht, dass sie "ins Rechtsradikale abdriften", sagte Armin Laschet im ZDF. Aber die EVP habe auch klare Bedingungen für eine Mitgliedschaft. "Und die werden wir von Viktor Orbán einfordern", so Laschet.
Appeasement-Politik der EVP
Aber was bedeuten diese Worte des möglichen CDU/CSU-Kandidaten für das Amt des Bundeskanzlers? "Dass die ausgewogene Politik von Angela Merkel fortgeführt wird," erwartet Bence Bauer, der unter anderem in der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung politisch sozialisiert wurde. "Das beste Drehbuch" aus Sicht der ungarischen Regierungspartei sei deshalb, den Status quo in der konservativen Parteienfamilie fortzusetzen - und irgendwie in der EVP, aber gleichzeitig auch weiterhin von dieser unabhängig zu bleiben, glaubt András Biró-Nagy, Direktor der Budapester Denkfabrik Policy Solutions.
Und wenn die EVP der Entscheidung wieder ausweicht? "Das kann man nicht ewig machen", sagt der Wiener Publizist Paul Lendvai der DW. Ein Ausschluss aus der EVP wäre "ein großer Schlag für das Prestige Orbáns und Fidesz", da ist der Autor des Buches "Orbáns Ungarn" überzeugt - "genauso wie die Verlängerung des Schwebezustandes nicht nur die Opposition, sondern vor allem die junge Generation enttäuscht." Die langjährige Appeasement-Politik der EVP gegenüber dem "Quertreiber Orbán" sei ein "Schatten auf der Kanzlerschaft Angela Merkels", so der Ungarn-Experte Lendvai.
Eine Win-Win-Situation
Bei allen Schwierigkeiten - die Beziehung EVP-Fidesz war bislang für beide Beteiligten eine Win-Win-Situation. Die Ungarn verhalfen mit ihren 14 Stimmen zu konservativen Mehrheiten und bekamen dafür politische Rückendeckung aus Brüssel, Berlin und München. Die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen wurde mit Fidesz-Stimmen EU-Kommissionspräsidentin. Mit ihr sei ein "Neustart" der Beziehungen zwischen EVP und Fidesz möglich geworden, betont Bence Bauer.
"Wir freuen uns darauf, unsere guten Beziehungen auch in Zukunft fortzusetzen", twitterte die Budapester Familienministerin Katalin Novák dem neuen CDU-Chef Laschet nach dessen Wahl und betonte die "gemeinsamen Werte". Über denselben Kurznachrichtendienst verschickte ihre Fidesz-Parteifreundin Kinga Gál aber auch eine Warnung: "Wenn die EVP Mitgliedsparteien ausschließt, deren Meinungen vom Mainstream abweichen", so die neue Wortführerin der ungarischen Regierungspartei im Europaparlament, "wird sie schwerlich stärkste europäische Partei sein können".
Die verlängerte Werkbank der deutschen Autobauer
Wegen Corona ist die Entscheidung über die Zukunft von Fidesz in der EVP vorerst aufgeschoben. Fallen wird sie erst, wenn wieder persönliche Treffen der Beteiligten möglich sind, sagte eine EVP-Sprecherin auf Anfrage der DW. Fraglich ist, ob die Hängepartie dann nicht in die Verlängerung geht.
"Die deutschen Wirtschaftsinteressen waren in den vergangenen Jahren für CDU und CSU wichtiger als die Angst um die Demokratie, die Zivilgesellschaft oder die akademische Freiheit", urteilt Policy Solutions-Direktor András Biró-Nagy mit Blick auf die verlängerte Werkbank der deutschen Autobauer Audi, Mercedes und BMW in Ungarn. Er erwartet deshalb keine Wende in den Beziehungen zwischen den Unionsparteien und Fidesz. "Dazu sind die deutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen zu wichtig."