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Politik

Wie George Soros zum Feindbild wurde

Felix Schlagwein
27. Mai 2020

Seit Premier Viktor Orbán seinen einstigen Förderer zu Ungarns Staatsfeind Nummer Eins erklärt hat, ist der Philanthrop und Milliardär zur Hassfigur der internationalen Rechten avanciert. Wie konnte das passieren?

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Ungarn | Anti-Soros Plakate
Die wohl größte und kostspieligste Plakatkampagne in Ungarns Geschichte: "Lassen wir nicht zu, dass Soros zuletzt lacht"Bild: AFP/Getty Images

Es gibt nur wenige Länder, in denen eine Verschwörungstheorie Staatsräson ist. Ungarn ist eines davon. Vor rund fünf Jahren erhob Premierminister Viktor Orbán den aus Ungarn stammenden US-Philanthrop und Milliardär George Soros zum Staatsfeind Nummer eins. Der 89-Jährige sei der Strippenzieher einer großangelegten Verschwörung. Deren angebliches Ziel: Orbán stürzen, Europas Nationalstaaten auflösen und ihre Bevölkerungen durch Migranten ersetzen. Zu Soros' "Söldner" und "Agenten" zählen laut ungarischer Regierung Nichtregierungsorganisationen, Journalisten und Wissenschaftler, aber auch die Europäische Union und die Vereinten Nationen.

Aktuell befeuert die Corona-Krise diese Hetze. Denn auch hinter der internationalen Kritik an Ungarns autoritären Pandemie-Maßnahmen steckt laut der Regierung in Budapest George Soros. Der sei der "Großmeister" der "Brüsseler Bürokraten", erklärte Premier Orbán höchstpersönlich in der aktuellen Ausgabe seines wöchentlichen Radio-Interviews im staatlichen Kossuth Rádió.

Vom Förderer zum Feind

Ungarn Ministerpräsident Viktor Orban
Ungarns Premier Viktor Orbán verteidigt die Corona-Maßnahmen seiner Regierung vor dem Parlament in Budapest Bild: picture-alliance/AP Photo/T. Kovacs

Ironischerweise hat Viktor Orbán genau jenen Mann zum Feindbild erklärt, der seinen Aufstieg maßgeblich gefördert hat. George Soros, der als Kind jüdischer Eltern den Holocaust in Ungarn überlebt hatte, wanderte nach der Machtübernahme der Kommunisten zunächst nach London aus. 1956 emigrierte er in die USA, wo er mit Finanzspekulationen Milliarden verdiente.

Geprägt von nationalistischen und kommunistischen Schrecken sowie von Karl Poppers Philosophie der "offenen Gesellschaft" gründete Soros schon 1984 die Open Society-Stiftung. Die unterstützt seither weltweit Demokratie, Freiheits- und Menschenrechte, nach eigenen Angaben bis heute mit über 15 Milliarden US-Dollar.

Von Soros' philanthropischem Engagement profitierten auch der junge Viktor Orbán und seine Partei Fidesz (Bund Junger Demokraten). Der Milliardär unterstützte die damals radikal-liberale Organisation mit großzügigen Summen; er ermöglichte Orbán und seinen Mitstreitern, ihre eigene Zeitung herauszugeben; Soros finanzierte Sprachkurse und Parteibüros. Später erhielten zahlreiche Fidesz-Mitglieder von ihm Stipendien für ein Studium im Westen. Orbán ging nach Oxford.

Als nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft 1989 Nationalisten begannen, Soros für dessen Unterstützung liberaler Kräfte im Land zu diffamieren, verteidigte Fidesz dessen Engagement gegen die "niederträchtigen Attacken". Begeistert unterstützten Orbán und Co. die Gründung der von Soros mitfinanzierten Central European University, die schon bald zur angesehensten Hochschule Ungarns avancierte. Rund dreißig Jahre später vertrieb die mittlerweile nationalkonservativ-rechtspopulistisch ausgerichtete Orbán-Partei eben diese Universität aus dem Land.

Ungarn Proteste in Budapest
Demonstration für die von Soros finanzierte Central European University in Budapest Bild: Imago/ZUMA Press/O. Marques

Zwei US-Politikberater erfinden die Soros-Verschwörung

Nachdem Viktor Orbán die Wahlen 2002 krachend verloren hatte, musste er für acht Jahre in die Opposition. Erst 2010 wurde er zum zweiten Mal ungarischer Premierminister - mit überwältigendem Erfolg und einem völlig anderen Programm.

Mit einer Zweidrittelmehrheit im Rücken begann der Ex-Liberale, Ungarn zu einem "illiberalen Staat" umzubauen. Er änderte die Verfassung, beschränkte die Pressefreiheit und besetzte das Verfassungsgericht mit ihm gegenüber loyalen Richtern. Doch um seine Macht langfristig zu sichern, brauchte Orbán ein Feinbild. In Ungarn machte ihm niemand mehr ernsthafte Konkurrenz. Die Opposition war zerstritten, die meisten Medien auf Fidesz-Linie. Woher also den Sündenbock nehmen?

Die  entscheidende Eingebungkam von außen. 2008 lernte Viktor Orbán den einflussreichen US-Politikberater Arthur Finkelstein kennen. Der hatte seit den 1970er Jahren erfolgreich republikanische Präsidenten von Richard Nixon bis George W. Bush beraten. Mitte der 1990er hatte Finkelstein Benjamin Netanjahu zum israelischen Premierminister gemacht.

Aus unzähligen Wahlkämpfen wusste Finkelstein, wie wichtig es ist, dem Feind ein Gesicht zu geben. George Soros' Einsatz für Liberalismus und Demokratie war der internationalen Rechten schon lange ein Dorn im Auge. Auch die Nationalisten auf dem Balkan hassten ihn für die Unterstützung der demokratischen Opposition, Russlands Präsident Wladimir Putin verabscheute ihn für sein Engagement in der Ukraine und Georgien. Und auch für die US-Republikaner war der Milliardär wegen seiner Spenden an die Demokraten, seinem Einsatz für den Klimaschutz und seiner scharfen Kritik am Irakkrieg längst zur Hassfigur geworden.

Für Orbán, so dachten Finkelstein und dessen Partner George Birnbaum, ist Soros das perfekte Feindbild. Er hat ungarische Wurzeln, lebte aber schon Jahrzehnte in den USA. Er ist reich und weltweit politisch engagiert. Im Sommer 2013 begann die Kampagne gegen den Philanthrop und Milliardär - aber erst zwei Jahre später sollte sie im Zuge der Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt erreichen.

Grenzzaun an der Grenze zwischen Ungarn und Serbien
Zaun gegen Migranten an der ungarischen Grenze zu SerbienBild: picture-alliance/AP Photo/D. Vojinovic

Antisemitische Untertöne

Es folgte die wohl größte und kostspieligste Plakatkampagne der ungarischen Geschichte: "Lassen wir nicht zu, dass Soros zuletzt lacht", forderte die Regierung ihre Bürger auf. Wenig später verabschiedete sie das "Stop-Soros-Gesetz", das sich gegen Nichtregierungsorganisationen richtete, die sich für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten einsetzen. Und schließlich vertrieb sie die von Soros mitgegründete Central European University aus Budapest.

Zunehmend fütterte die ungarische Regierung ihren Feldzug gegen Soros auch mit antisemitischen Untertönen. So erklärte Orbán 2018 in seiner Rede: "Wir kämpfen gegen einen Feind, der anders ist als wir. Nicht offen, sondern versteckt, nicht geradlinig, sondern schlau, nicht ehrenhaft, sondern unehrenhaft, nicht national, sondern international, der nicht an Arbeit glaubt, sondern mit Geld spekuliert, der kein eigenes Heimatland hat, aber so tut, als ob er die ganze Welt besitzt."

Von Verschwörungstheorien zu Terroranschlägen

Das Feindbild Soros hat sich mittlerweile verselbstständigt. Egal ob US-Präsidengt Donald Trump, der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan, Netanjahu oder Putin - sie alle haben Orbáns Diktum vom allmächtigen Puppenspieler Soros übernommen. In den sozialen Netzwerken wird der milliardenschwere Philanthrop als der Bösewicht schlechthin dargestellt. Rechtspopulistische Parteien von Europa bis Australien machen Stimmung gegen ihn.

Diese Hetzkampagnen führen zunehmend zu Gewalt: Mitarbeiter der Open Society Stiftungen wurden wiederholt angegriffen. Ein fanatischer Trump-Unterstützer schickte 2018 eine Rohrbombe an Soros' Privatadresse. Auch rechtsextreme Terroristen begründen ihre Taten zunehmend damit, einen angeblich von globalen Eliten geplanten "Bevölkerungsaustausch" verhindern zu wollen - eine Verschwörungstheorie, bei der George Soros eine führende Rolle spielt.

Halle | Gedenkfeier an der Synagoge
Bürger von Halle trauern um die Opfer des Anschlags auf die Synagoge der StadtBild: Reuters/H. Hanschke

Sie war Teil des rassistischen "Manifests" des Attentäters von Christchurch, der Muslime ermordete. Der Attentäter von Pittsburgh tötete aus ähnlichen Beweggründen Juden. Und auch der Attentäter von Halle glaubte an eine vermeintliche jüdische Weltverschwörung und erklärte, Soros wolle Deutschland in einen multikulturellen Staat umwandeln.

Ob Arthur Finkelstein und George Birnbaum - beide selbst Juden - mit dem tödlichen Ausmaß ihrer vermeintlich "genialen" Erfindung rechnen konnten? Finkelstein kann man nicht mehr danach fragen: Er starb 2017. Und Birnbaum will nicht darüber reden. Eine Interviewanfrage der Deutschen Welle lehnte er ab.