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Die alltägliche Fremdenfeindlichkeit

Karin Jäger29. Mai 2013

Beim Brandanschlag vor 20 Jahren in Solingen verlor Familie Genç fünf Angehörige im Feuer, das rechtsextreme Jugendliche legten. Trotz aller Bemühungen zur Integration gibt es noch heute Vorbehalte gegenüber Migranten.

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Fremdenfeindliche Graffiti in Solingen (Foto: DW Archiv)
Bild: Heinz Siering/1992

"Es hätte auch mich treffen können", erzählt Secil Cakici. "Wir haben uns aus Angst im Keller versteckt, und meinen Sohn habe ich die ersten Wochen in die Schule begleitet", beschreibt Maide Kulak ihre Gefühlslage nach dem Brandanschlag in Solingen vor 20 Jahren. 

"Mit Angst kann man dauerhaft nicht leben", wirft Secil Cakici ein, die seit 46 Jahren in Deutschland lebt. Und Ayla Uzun nickt zustimmend. Die türkischstämmigen Solinger Frauen treffen sich regelmäßig zum Austausch. Aus Anlass des NSU-Prozesses gegen Angeklagte, die zehn Jahre lang aus Fremdenhass gemordet haben sollen, werden die Ereignisse von 1993 in Solingen wieder wachgerufen.

Die Berufsschullehrerin Ayla Uzun engagierte sich damals schon in der Kommunalpolitik. Sie erinnert sich an die Furcht der Migranten direkt nach dem Brandanschlag auf das Haus der Gençs; fünf Familienmitglieder kamen dabei zu Tode. Es war der bis dahin schlimmste Angriff auf Ausländer in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg. Aus Furcht vor Nachahmern änderten türkische Familien ihre Namensschilder an den Klingeln. Ihre Kinder schickten sie bekleidet ins Bett, um im Ernstfall schneller fliehen zu können. Und Familien beschäftigen sich mit Brandschutzmaßnahmen für ihre Häuser und Wohnungen.

Türkischer Frauenverein (Foto: Karin Jäger/DW)
Emanzipiert und wortgewandt: Ayla Uzun (2.v.l.) im Türkischen FrauenvereinBild: DW/K. Jäger

"Die Angst, dass es wieder passieren kann, ist immer da"

Immer wenn es irgendwo brennt und eine türkische Familie betroffen ist, hofft Ayla Uzun, dass kein Anschlag der Auslöser und die Ursache ein technischer Defekt war. Riesengroße Enttäuschung empfindet sie darüber, dass die Behörden, die "auch von meinen Steuern bezahlt werden", die rassistisch motivierten Morde der Terrorgruppe NSU zehn Jahre lang nicht aufgedeckt haben. "Wie sicher kann ich mich in diesem Land fühlen?", fragt die Frau, die den Kindergarten der Arbeiterwohlfahrt vor 23 Jahren mitgründete.

Die Furcht der Deutschen vor Islamismus

Längst hat sie sich entschieden, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Auch Maide Kulak hat den deutschen Pass. Mit zwölf Jahren sei sie nach Deutschland gekommen. Ihre Eltern hätten ihr fünf Jahre lang einen Privatlehrer bezahlt, um die Sprache zu lernen. Trotzdem fühle sie sich oft wie eine islamische Deutsche, ergänzt die gelernte Apothekenhelferin. Auch Ayla Uzun hat erlebt, wie Menschen aufgrund ihres Namens, Aussehens, Akzents oder wegen ihrer Religion diskriminiert werden: "Ich selbst trage kein Kopftuch, aber ich würde nie Frauen danach beurteilen, wie es die deutsche Gesellschaft oft tut. Wir sind auch gegen Fanatismus", sagt Ayla Uzun. "Es sind meine Persönlichkeit und meine Fähigkeit, mit denen ich mich einbringe. Ich kann doch nicht noch meinen Namen ändern, um in diesem Land akzeptiert zu werden", beklagt sie.

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Doch gerade wegen seines gar nicht deutsch klingenden Namens wurde der Sohn von Secil Cakici diskriminiert: "Mein Sohn hat sich nach dem Studium beworben, doch jedes Mal erhielt er eine Absage. Als er danach einen deutschen Namen angab, wurde er sofort zum Vorstellungsgespräch eingeladen."

Das Engagement Einzelner für Zivilcourage

"Der ausländische Namen ist ein Manko", bestätigt Heinz Siering, der in der Jugendhilfe-Werkstatt junge Leute betreut, die woanders keine Chance bekommen. Sie stammen aus Tunesien, dem Libanon, der Türkei, Eritrea. Der gelernte Schweißer animiert die Jungen und Mädchen immer wieder mit dem Ziel, einen Ausbildungsplatz oder eine Beschäftigung zu erhalten.

Heinz Siering (Foto: DW)
Engagiert sich für Benachteiligte: Heinz SieringBild: DW/J. von Mirbach

Die Motivation zeigt Früchte: Die selbst geschaffenen Metall-Kunstgegenstände wurden schon bei internationalen Ausstellungen gezeigt. Siering sieht das Miteinander verschiedener Kulturen als Bereicherung und appelliert an die Zivilcourage. In seiner Freizeit engagiert er sich gegen Rassismus. Schon vor dem Brandanschlag 1993 lief er mit einem Farbeimer durch die Stadt, um Hakenkreuze von den Wänden zu entfernen. Nach dem Anschlag errichtete er mit den Jugendlichen ein Mahnmal als Zeichen gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus.

Gerade Jugendliche seien sehr leicht zu beeinflussen, sagt Siering. Deshalb kümmert er sich auch in der Freizeit um die jungen Leute, organisiert Ausflugsfahrten: "Unsere eigenen Leute kommen nicht rein in die Gesellschaft", stellt er immer wieder ernüchternd fest.

Jugendliche von der Straße in ein sicheres Umfeld holen

Daran hat sich seit dem 29. Mai 1993 nichts geändert. Trotz der zahlreichen Initiativen, die seit dem Brandanschlag ins Leben gerufen wurden. Als eine der ersten entstand die internationale Jugendbegegnungsstätte, kurz "Interju". Jeden Nachmittag durchdringt Kinderlärm das innen bunt gestrichene Haus in der Nähe des Ohligser Bahnhofs: Eine Gruppe Kinder und Jugendlicher schart sich um den Billardtisch, andere malen oder pflegen die selbst gezogenen Kräuter auf der Fensterbank. Die Pädagogen legen wert darauf, das Miteinander der verschiedenen Nationen von klein auf zu fördern.

"Es kommt zu Reibungen aufgrund der unterschiedlichen Geschlechter, Hautfarben oder Kulturen. Junge Türken und Italiener beispielweise führen sich wie Machos auf", sagt Tim Holland, der einzige deutschstämmige Mitarbeiter, der beim Gummitwist ebenso Hilfestellung gibt wie beim Bewerbungstraining. Um die Jüngeren kümmert sich Magdalena Richartz, die aus Polen stammt: "Wir bieten eine Alternative zur Ganztagsschule, machen mit den Kindern auch Hausaufgaben." Tim Holland fügt mit Hinblick auf die Kinder berufstätiger Eltern hinzu: "Wir merken, dass viel gearbeitet wird, aber wenig Geld dabei heraus kommt." Viele Eltern seien alleinerziehend.

Martine Rossi, Leiterin Interju (Verein zur Förderung der int. Jugendbegegnung in Solingen), Magdalena Richartz, Tim Holland (Foto: DW)
Internationale Betreuer im Interju: Martine Rossi (l.), Magdalena Richartz, Tim HollandBild: DW/K. Jäger

Menschen aus 130 Nationen leben in Solingen. "40 Prozent der Kinder, die in Deutschland geboren werden, haben einen Migrationshintergrund", sagt Ayla Uzun vom türkischen Frauenverein selbstbewusst. Die Anzahl der Migranten nehme zu und Deutschland brauche diese Leute auch als Arbeitskräfte. Es sei endlich an der Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie man das Zusammenleben aller Menschen in Deutschland zum Positiven verändern könne. "Vielleicht würde eine Quote für Ausländer helfen, deren Position in der Gesellschaft zu verbessern?", fragt Uzun die Runde.

Selbst gemalte Bilder von Kindern in der InterJu in Solingen-Ohligs. Foto: Karin Jäger (DW)
Solingen ist bunt: Menschen aus 130 Staaten leben in der StadtBild: DW/K. Jäger

Doppelte Staatsbürgerschaft und muslimische Friedhöfe

Sie selbst wünscht sich die doppelte Staatsbürgerschaft. Denn mit der Abgabe des türkischen Passes für einen deutschen Ausweis musste sie auch ein Stück ihrer Identität weggeben. Das sei ihr sehr schwergefallen.

Aysun Giray äußert den Wunsch nach mehr muslimischen Friedhöfen. "Mein Vater wurde in der Türkei beerdigt. Ich kann nie dorthin gehen. Und ich will hier begraben werden, so dass meine Kinder an meinem Grab stehen können, wenn sie das Bedürfnis haben."

Alle türkischstämmigen Frauen in der Runde wünschen sich eine aufmerksamere Polizei, einen besseren Verfassungsschutz und eine entsprechende Gesetzgebung, damit Straftaten, wie sie durch die NSU-Gruppe begangen wurden, nicht erst nach zehn Jahren aufgedeckt werden. Vom Prozess in München erwarten die Frauen gar nichts: "Das, was bisher geschah, ist doch peinlich für Deutschland", sagt Ayla Uzun, und die anderen nicken zustimmend.