Fußball-Bundesliga auf Bewährung
7. Mai 2020Am 16. Mai kehrt die Bundesliga unter anderem mit dem Revierderby zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 zurück. Das gab die Deutsche Fußball Liga (DFL) in Person von Geschäftsführer Christian Seifert am Donnerstag (7. Mai) bekannt. "Das ermöglicht die Weiterführung der betrieblichen Tätigkeit, die für manche Klubs das wirtschaftliche Überleben bedeutet", sagte Seifert nach der Vollversammlung aller 36 in der DFL organisierten Klubs. Möglich gewesen wäre auch ein Start am 15. Mai, nachdem der Liga-Verband wochenlang auf das Ziel Wiederaufnahme des Spielbetriebs hingearbeitet hatte.
Fußball-Lobbyismus in Politik und Öffentlichkeit war zum alltäglichen Gegenstand der Nachrichten - nicht nur im Sport - geworden. Mit Erfolg. Bund und Länder gaben am Mittwoch (6. Mai) wie erwartet grünes Licht für eine Wiederaufnahme des Spielbetriebes in der ersten und zweiten Liga ab Mitte Mai. Mit dem 16. Mai hält die DFL sich laut Seifert an die Vorgabe der Politik, verzichtet aber - wohl aus Attraktivitätsgründen - auf ein Freitags-Spiel zum Auftakt der Saison-Fortführung am 15. Mai. Flankiert wurde die Lobby-Arbeit zuvor auch noch durch einen Gastbeitrag von Manuel Neuer in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". In dem Text mit dem bedeutungsschwangeren Titel "Wir tragen das Trikot der Vorbilder" schreibt der Nationaltorhüter von "Verantwortung für uns, der wir uns mit jeder Faser bewusst sein müssen".
Formulierungen, die bei der DFL auf Gegenliebe stoßen dürften, transportiert über eines der prominentesten Fußball-Gesichter Deutschlands und platziert in einer großen überregionalen Tageszeitung. Auch nüchtern kann man feststellen: Der Fußball und seine Protagonisten überzogen die Öffentlichkeit regelrecht mit ihrer Botschaft, zu der auch der immer wiederkehrende Hinweis auf die ca. 55.000 Arbeitsplätze, die am Profifußball hängen, ohne nähere Einordnung der beruflichen Situation von Betroffenen zählte.
Dem Triumph folgt Demut
Doch auch so plant die Liga mit weniger als dem ursprünglich vorgesehenen Vorlauf von zwei Wochen. Denn der große Coup war schon gelungen, bevor Geschäftsführer Seifert vor die Presse trat. Dass der am Dienstag noch in der Beschlussvorlage enthaltene Passus zu einer zwingend erforderlichen zweiwöchigen Quarantäne der Teams vor dem Liga-Start kurzfristig noch um seinen konkreten Zeitraum reduziert worden war, ist einem totalen Triumph der DFL und des Profifußballs gleichzusetzen. Insbesondere BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hatte in der Öffentlichkeit nimmermüde seinen Wunsch nach dem 15. Mai und nicht etwa dem 22. oder 29. als Datum für die Bundesliga-Rückkehr bekräftigt.
Der Profifußball, der sich selbst als system- und gesellschaftsrelevant, also quasi unverzichtbar für die Bundesrepublik Deutschland inszeniert hatte, hat sich im wochenlangen Ringen auf ganzer Linie durchgesetzt. DFL-Geschäftsführer Seifert verzichtete allerdings darauf, diesen wirtschaftlich so bedeutsamen Triumph öffentlich auszukosten und gab sich zurückhaltend, moderierend und phasenweise gar demütig. Das geschieht natürlich nicht ohne Kalkül, doch neben dem Platzieren der für die DFL wichtigsten Kernbotschaften schaffte Seifert es, der Bundesliga und ihrem umstrittenen Start ein öffentlichkeitswirksames Gesicht von Demut und Vernunft zu verleihen.
Kritik überwiegt der Zustimmung
Denn der Fußball muss verloren gegangenes Vertrauen der Öffentlichkeit zurückgewinnen. Kritische Töne gegenüber der DFL, ihrem Konzept und der Vehemenz, mit der sie es durchgesetzt hat, waren zuletzt aus dem gesamten Sport und von der eigenen Fanbasis deutlich zu vernehmen. "Wenn dem wirklich so ist, dann verkauft der Staat die Gesundheit des Volkes und der leidenden Menschen an den Fußball. Das ist pervers", hatte beispielsweise Speerwerfer Johannes Vetter gesagt. Und auch Kugelstoßerin Christina Schwanitz machte keinen Hehl aus ihrer Einschätzung der Sonderrolle des Fußballs: "Ich finde es nicht schön, dass der Fußball eine Sonderrolle einnimmt und sich über alles hinwegsetzt, nur weil die Reibung zwischen Daumen und Zeigefinger stimmt", sagte sie der "Sächsischen Zeitung".
Ulrich Mäurer, Bremer Innensenator und Dauermahner vor einem verfrühten Wiederbeginn der Bundesliga, sieht im Votum von Bund und Ländern eine Fehlentscheidung. "Der Beschluss ändert nichts an unserer Auffassung, dass wir es für eine falsche Entscheidung halten", sagte Mäurer der "Bild"-Zeitung, nachdem er sich dafür eingesetzt hatte, dass die Bundesliga, "wenn überhaupt", zu einem späteren Zeitpunkt starten solle.
Dazu kommt die Kritik von Fachleuten. "Ich hätte mir gewünscht, dass man wirklich noch ein paar weitere Wochen gewartet hätte", sagte Professor Uwe G. Liebert, Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Leipzig, in den ARD-Tagesthemen. Der Wissenschaftler sieht Probleme sowohl im Spielbetrieb als auch bei den Zuschauern von Geisterspielen zu Hause am Fernseher: "Spieler können sich durch unachtsamen Umgang oder dadurch, dass sie völlig unbekannt infiziert sind, gegenseitig gefährden", so Liebert. Zudem müsse man "berücksichtigen, dass die Fans vor dem Fernseher sitzen und da in direkten Kontakt zueinander kommen. Es ist schwierig, den Fans zu vermitteln, dass sie sich nicht umarmen und jubeln dürfen".
Dank, Demut und fünf Auswechslungen
Ein Umstand, der auch DFL-Chef Seifert beschäftigt. Er glaube aber an die Verantwortung und die Vernunft der Menschen, erklärte Seifert und betonte, dass die DFL hier nur "immer wieder appellieren" könne. "Wir rechnen damit, dass sich Fans vor den Stadien treffen, wenn der Spielbetrieb mit Geisterspielen wiederaufgenommen wird. Deshalb muss die Deutsche Fußball Liga ihr Konzept nachbessern. Wir brauchen Antworten, wie die Vereine das Stadionumfeld noch stärker in den Blick nehmen werden", sagte daraufhin der Vorsitzende des Städtetages Nordrhein-Westfalen, Thomas Hunsteger-Petermann, und unterstrich als Vertreter des Bundeslandes mit den meisten Klubs in den beiden Profiligen die Brisanz, die auch außerhalb des eigentlichen Spielbetriebs vorhanden ist. Außerdem verkündete Seifert, dass auch für Schiedsrichter medizinische und hygienische Vorschriften gelten. "Das wird auch Tests beinhalten", so der Liga-Chef und verwies auch auf die Zuständigkeit des DFB bezüglich der Schiedsrichter.
Bislang waren die Bundesliga-Schiedsrichter nach einem Bericht des "Kicker" nicht getestet worden. Eine Quarantäne sei darüber hinaus für die Unparteiischen nicht zwingend notwendig, weil diese laut Seifert im Gegensatz zu den Fußballprofis "kein Mannschaftstraining mit Vollkontakt" absolvieren. Um Trainingsrückstände auszugleichen und die Belastung der Spieler zu reduzieren, brachte er außerdem die Erhöhung von drei auf fünf mögliche Auswechslungen pro Partie ins Spiel.
Seifert folgt Söder
Die Kernbotschaft für die kritische Öffentlichkeit ist aber eine andere: "Es ist klar, wir spielen auf Bewährung, und jeder Spieltag ist eine Chance, sich den nächsten zu verdienen", so Seifert, nachdem er zu Beginn der PK - ganz typisch für das Business Fußball - "allen Beteiligten und Sponsoren" seinen Dank ausgesprochen hatte.
Der Liga-Chef schließt sich damit wohl nicht ganz unbewusst der Rhetorik von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder an, der im Radiosender Bayern 1 davon gesprochen hatte, dass die Liga "schwer unter Bewährung" sei und dass "die Öffentlichkeit genau hinschauen" werde. "Die Liga hat ein sehr gutes und professionelles Konzept vorgelegt. Es ist vertretbar. Ein bisschen Bauchgrummeln hat jeder dabei", hatte Söder als klarer Befürworter des DFL-Hygienekonzepts und des Bundesliga-Starts unmittelbar nach dem Entscheid gesagt.
Die Bundesliga hat die Chance, trotz aller Störfaktoren, wie den positiven Tests beim 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach oder dem entlarvenden Facebook-Video des Herthaners Salomon Kalou, zu beweisen, dass dieses hohe Risiko mit Recht eingegangen wird oder wie Seifert es formuliert: "Dieses Konzept kann eine Blaupause sein für alle Mannschafts-Ballsportarten, alle Kampfsportarten, viele Laufdisziplinen, Theater, andere Branchen. Es kann und wird Adaptionen dieses Konzeptes geben."