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Politik

Kolumbien: Die Gefahr links zu sein

Mira Galanova jdw
16. Juni 2018

Vor der Stichwahl um das Präsidentenamt fürchten linke kolumbianische Wähler um ihr Leben. Unterstützer des rechten Kontrahenten haben gedroht, sie "mit allen Mitteln" zu bekämpfen. Von Mira Galanova, Kolumbien.

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Kolumbien: Linke in Gefahr
Bild: DW/M Galanova

"Wir müssen Gewalt als Mittel aus der Politik verbannen. Sie dürfen uns nicht töten, nur weil wir andere Ideen haben", sagt Cristian Delgado. Er ist als Menschenrechtskoordinator in der Bewegung "Marcha Patriótica" (dt. "Patriotischer Marsch") aktiv und wird bedroht, seit er vor mehr als einem Jahrzehnt als Studentenführer begann. "In Kolumbien ist es gefährlich, Dinge wie öffentliche Bildung zu verteidigen."

Der Friedensvertrag, den die Regierung mit der FARC, der größten Rebellengruppe des Landes, im November 2016 unterzeichnet hat, verspricht, dass Aktivisten sicher seien. Doch nach Zahlen der Marcha Patriótica wurden seitdem rund 300 Sozial- und Menschenrechtsaktivisten getötet. Zahlreiche auf der Liste waren Mitglieder von Delgados Organisation.

Viele wurden getötet, weil sie sich gegen die Interessen des organisierten Verbrechens oder mächtiger Eliten in ländlichen Gegenden stellten: Sie zeigten illegale Rodungen an, setzen sich für die Umwidmung von Koka-Feldern ein oder für die Rückgabe von Land, das während des Bürgerkriegs geraubt wurde.

Guerilla-Stigma

Die Marcha Patriótica unterstützt den linken Präsidentschaftskandidaten Gustavo Petro, der am Sonntag gegen den rechten Kontrahenten Ivan Duque in der Stichwahl steht. In der Marcha vereinen sich Hunderte kleinere Organisationen, die traditionell ausgeschlossene Teile der Gesellschaft repräsentieren: Bauern, Frauen, Schwarze, Indigene, Homosexuelle. Ihr Ziel ist es, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Grundrechte einzufordern. Viele Mitglieder haben Todesdrohungen erhalten, weil sie Anhänger von Castro und Chavez und "als Menschenrechtler getarnte Guerillas" seien.

Kolumbien: Linke in Gefahr
Fühlt sich bedroht: Aktivist Cristian DelgadoBild: DW/M Galanova

"Marcha Patriótica wurde immer als politischer Arm der FARC stigmatisiert", sagt Delgado. Dasselbe passiere mit zwei weiteren politisch aktiven Organisationen, dem "Congreso de los Pueblos" ("Völkerversammlung") und dem "Proceso de Comunidades Negras" ("Prozess der schwarzen Communitys"), die sich in die Verhandlungen der Regierung mit dem ELN, der anderen großen Guerillagruppe des Landes, eingebracht haben.

Solch eine Stigmatisierung einer Organisation, sagt Delgado, komme einer Todesdrohung gegen ihre Mitglieder gleich. Denn die Beteiligung an dem umstrittenen Friedensprozess mit den Rebellen gilt manchen als weiterer Beweis dafür, dass die Anführer der sozialen Bewegungen getarnte Marxisten seien. "Deshalb töten sie uns", sagt Delgado. Die Gewalt eskaliere immer genau dann, wenn es Fortschritte in Richtung Frieden gibt.

Massive Drohungen

Das Hauptquartier der Marcha Patriótica in Bogotá wird von Kameras überwacht. Seit 2011 sind 166 Mitglieder der Bewegung ermordet worden. Derzeit würden 389 Mitglieder massiv bedroht, beklagt die Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission (IACHR) und fordert von der kolumbianischen Regierung ihren Schutz.

Auch ehemalige FARC-Kämpfer sind Attentaten zum Opfer gefallen: 68 von ihnen sowie 18 Familienmitglieder wurden seit November 2016 ermordet. Die kolumbianische Denkfabrik Indepaz warnt gar vor einer Wiederholung des "UP-Genozids", in Anspielung auf die Ermordung von mehr als 3000 leitenden Mitgliedern der linken Oppositionspartei "Unión Patriótica" (UP, "Patriotische Union") durch Paramilitärs und Sicherheitskräfte in den 1980er und 90er Jahren. Gegründet worden war die UP 1985 während der Friedensverhandlungen zwischen FARC und dem damaligen Präsidenten Belisario Betancur.

Kolumbien: Linke in Gefahr
Riosucio: Allein in dem entlegenen Landkreis an der Grenze zu Panama wurden 2017 vier Aktivisten ermordetBild: DW/M Galanova

"Das Ziel war es, die Organisation und ihre Mitglieder physisch zu eliminieren", sagt UP-Mitglied Pavel Santodomingo. Mit acht Jahren überlebte er eine Granatenexplosion, mit der sein Vater, ein UP-Anführer, getötet werden sollte. Er erinnert sich an den permanenten Verlustschmerz seiner Kindheit, in der ein Freund der Familie nach dem anderen ermordet wurde. "Das Risiko verschiebt sich", sagt Santodomingo. "Erst war es Marcha Patriótica, dann Congreso de los Pueblos. Es bleibt gefährlich, sich in die Politik des Landes einzumischen."

Kommission für Sicherheitsgarantien

Die Regierung gibt sich Mühe, die im Friedensvertag versprochene Sicherheit für Aktivisten herzustellen. Tausende, darunter 72 Marcha-Mitglieder, erhalten Personenschutz. Das Innenministerium arbeitet an Schutzmaßnahmen für ganze Communitys. Polizei und Armee wurden in Gebieten stationiert, in denen der Staat zuvor nicht präsent war. Doch das genügt nicht.

Kolumbien: Linke in Gefahr
Kennt die Bedrohung seit der Kindheit: UP-Aktivist SantodomingoBild: DW/M Galanova

Die Morde werden vor allem in ehemals von der FARC kontrollierten Gegenden verübt, in denen nun andere bewaffnete Gruppen das Sagen haben. 2017 wurde die Nationale Kommission für Sicherheitsgarantien gegründet, um solche Gruppen aufzulösen. In ihr sitzen unter anderen der Präsident und die Minister des Innern, der Verteidigung und der Justiz. Doch bisher funktioniere sie nicht richtig, sagt Gustavo Gallon, Vorsitzender der Kolumbianischen Juristenkommission: "Es hat sich als schwierig herausgestellt, alle Mitglieder zusammenzubringen. Wir haben wertvolle Arbeit geleistet, aber es ist erst ein Auftakt, der dem Ernst des Problems nicht gerecht wird."

Mächtige Gegner

Wenige zweifeln am guten Willen von Präsident Juan Manuel Santos, der 2016 den Friedensnobelpreis für sein Abkommen mit der FARC erhielt. Aber es mangelt ihm an Unterstützung bei den politischen und wirtschaftlichen Eliten, um es umzusetzen. Das macht es auch schwer herauszufinden, wer hinter den Morden an Aktivisten steckt. "Einige Mörder wurden gefasst und eingesperrt, aber kein einziger Auftraggeber", sagt der politische Analyst Ariel Avila von der "Foundation for Peace and Reconciliation" ("Stiftung für Frieden und Versöhnung"), die zur Weltweiten Evangelikalen Allianz gehört. "Wir sprechen über Menschen, die Wahlkampagnen für Regierungs- und Präsidentschaftskandidaten finanzieren."

Der linke Kandidat Gustavo Petro - den auch Marcha Patriótica und UP unterstützen - hat es in die zweite Runde geschafft. Aber seine Wähler werden von einem Mann bedroht, den manche für so gefährlich halten, wie der Chef-Killer des ermordeten Drogenbarons Pablo Escobar: "Wir werden sie mit allen Mitteln bekämpfen. 'Alle Mittel' heißt 'alle Mittel'", twitterte John Jairo Velasquez alias Popeye im Mai.

Velasquez ist ein treuer Unterstützer des rechten Kandidaten Ivan Duque, der gegen Petro in der Stichwahl steht. Die Angst unter linken Aktivisten ist spürbar: Duque ist der Kandidat von Ex-Präsident Alvaro Uribe. "Wenn er gewinnt," sagt Santodomingo, "steigt das Risiko ins Unermessliche."

Stichwahl in Kolumbien