Die "Kofferbomber"
11. April 2007Die Republik war noch immer vom Sommermärchen der Fußballweltmeisterschaft verzaubert, als am 31. Juli 2006 Unbekannte Kofferbomben in zwei Regionalzügen der Deutschen Bahn platzierten. Die Bauweise der Bomben war identisch. Beide waren in kleinen Koffern auf Rädern, in sogenannten Trolleys, versteckt. Die Kofferbomben bestanden aus je einer elf-Liter-Propangasflasche - dazu kamen mehrere mit Benzin gefüllte Flaschen, Backpulver, Zünder und Batterien.
Nur ein Konstruktionsfehler verhinderte Schlimmeres
Die Zünder waren auf 14.30 Uhr eingestellt. Die Sprengkraft innerhalb der Wagons wäre gewaltig gewesen, aber beide Koffer-Bomben explodierten wegen eines amateurhaften Konstruktionsfehlers nicht. Die herrenlosen Koffer in den beiden Regionalzügen fielen schließlich auf und wurden in Dortmund und Koblenz den Behörden übergeben.
Weil es sich um einen versuchten Anschlag handelte, übernahmen Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt die Ermittlungen - zunächst ohne konkrete Anhaltpunkte. Die Spekulationen reichten von einem möglichen Erpressungsversuch der Bahn bis hin zu einem fehlgeschlagenen El-Kaida-Anschlag.
Arabische Schriftzeichen deuten auf Libanon-Connection hin
Aber am 18. August 2006 verdichtete sich das Bild. Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, präsentierte auf einer Pressekonferenz erste Ermittlungsergebnisse, die auf eine Verbindung zum damals laufenden Krieg zwischen der libanesischen Hisbollah und Israel hindeuteten: "Wir haben in der Bekleidung in den Trolleys einen abgerissenen Zettel mit arabischen Schriftzeichen und Telefonnummern aus dem Libanon gefunden. Vorstellbar ist also, dass die Täter Signale setzen wollte im Hinblick auf den Konflikt im Nahen Osten."
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble spricht es endgültig aus: Die Bundesrepublik war am 31. Juli 2006 nur knapp einem Terroranschlag entgangen.
Die Fahndungsschlinge zieht sich zu
Das Bundeskriminalamt veröffentlichte Videoaufnahmen von Überwachungskameras am Kölner Hauptbahnhof. Die Bilder zeigen zwei junge dunkelhaarige Männer zwischen 20 und 30, die mit Rollkoffern in den betroffenen Regionalzügen verschwinden. Diese Videoaufnahmen und Fotos wurden anschließend über die Medien verbreitet, und die Bundesanwaltschaft erließ Haftbefehle wegen versuchten massenhaften Mordes und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
Der Fahndungsdruck war riesig, die Schlinge zog sich zu. Nur einen Tag später, am 19. August 2006, nahmen Polizisten dann auf dem Kieler Hauptbahnhof den Libanesen Youssef el Hajdib fest. Er war direkt nach dem versuchten Anschlag zusammen mit seinem Komplizen in den Libanon geflohen, musste aber schon eine Woche später wieder zurück nach Deutschland. Sein ahnungsloser Vater zwang ihn, sein Ingenieurs-Studium in Kiel fortzusetzen. Der 21-Jährige gehorchte - und reiste direkt in die Arme der Fahnder.
Seither ist er in Deutschland inhaftiert, die Bundesanwaltschaft will im Sommer 2007 Anklage erheben.
Zweitem "Kofferbomber" wird im Libanon der Prozess gemacht
Der zweite "Kofferbomber" stellte sich vier Tage später selber - im Libanon. Sein Name ist Jihad Hamad. Er war zum Tatzeitpunkt 20 Jahre alt und lebte als Gaststudent in Köln. In seiner Wohnung sind die beiden Kofferbomben gebaut worden - nach Anleitungen aus dem Internet. Kofferbomber Hamad sitzt seitdem in einem Gefängnis der libanesischen Hauptstadt Beirut. Am Mittwoch (11.4.) begann in Beirut der Prozess gegen ihn.
Deutschland hat seine Auslieferung beantragt und erhofft sich vom Prozess der libanesischen Justiz neue Anhaltspunkte für die eigenen Ermittlungen. Hamad hat inzwischen ein umfassendes Geständnis abgelegt und bereut seine Tat. Danach hatten er und sein Komplize keine Verbindung zu einer terroristischen Vereinigung.
Radikalisierung durch Mohammed-Karikaturen?
Der junge Mann sagt, er habe sich von seinem älteren Freund zu der Tat verführen lassen - die Mohammed-Karikaturen und der israelische Einmarsch in den Libanon hätten ihn radikalisiert. Seine Tat hätte im Zweifel nicht verhindert werden können.
Für Innenminister Wolfgang Schäuble steht am Ende deshalb die oft wiederholte, nüchterne Erkenntnis: "Es gibt keine Insel der Seligen. Der Terrorismus bedroht uns weltweit und überall und deswegen müssen wir auch überall das Menschenmögliche an Vorsorge treffen."