Die Kommission bekommt Recht
14. Juli 2004"Die Beschlüsse vom 25. November 2003, die die Verfahren gegen Frankreich und Deutschland betreffen, sind annuliert", sagte der Vorsitzende Richter des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Vassilios Skouris. Damit kassierte das Gericht den Coup, den Deutschland und Frankreich in jener dramatischen Novembernacht 2003 gegen den Stabilitätspakt gelandet hatten. Der Finanzministerrat, also die Vertretung der Mitgliedsstaaten, hatte auf deutsch-französischen Druck hin die Defizitverfahren gegen die beiden Staaten ausgesetzt.
Dieser Beschluss der Finanzminister war ebenso unrechtmäßig wie die Verabschiedung von eigenen Empfehlungen zur Haushaltsführung, entschied das höchste Europäische Gericht. Die Minister hätten neue Vorschläge der Kommission abwarten müssen und dürften sich nicht selber welche zurechtbiegen. Denn das Recht, Empfehlungen abzugeben, liege bei der EU-Kommission, die 1997 im Vertrag von Amsterdam zur Hüterin des Stabilitätspaktes gemacht wurde. Der Rat habe aber einen gewissen Entscheidungsspielraum und könne zum Beispiel längere Fristen zur Erfüllung von Auflagen einräumen.
EU-Kommission gestärkt
Die Richter forderten den Ministerrat auf, neue Auflagen für Deutschland und Frankreich zu verabschieden, die in diesem Jahr zum dritten Mal in Folge gegen das Neuverschuldungskriterium von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes verstoßen. Das Urteil ist eine unerwartet klare Stärkung der EU-Kommission. Sie hatte im Januar 2004 Klage gegen den Ministerrat eingereicht. EU-Kommissionspräsident Romani Prodi zeigte sich in Brüssel hochzufrieden: "Das Urteil bestätigt die Auffassung der Kommission über die Rollenverteilung für Kommission und Ministerrat bei der Anwendung des Stabilitätspaktes. Das macht für die Zukunft die Koordinierung der Haushaltspolitik transparenter und vorhersehbarer."
Der derzeitige Vorsitzende des Finanzministerrates, der Niederländer Geritt Zalm, sagte, er sei glücklich über das Urteil, da es einige Dinge klarstelle. Zalm hatte sich im November 2003 gegen das deutsch-französische Vorgehen ausgesprochen. Er gilt als einer der härtesten Widersacher des deutschen Finanzministers Hans Eichel. Bis Ende 2004 will die niederländische Präsidentschaft Refomvorschläge für den Stabilitätspakt vorlegen. Die Regeln sollen flexibler ausgelegt werden. Neben der Neuverschuldung sollen die staatliche Gesamtverschuldung und der Konjukturzyklus in den betroffenen Staaten stärker berücksichtigt werden. Gegen vier der zwölf Staaten, die den Euro als Gemeinschaftswährung haben, läuft zur Zeit ein Defizitverfahren. Italien steht zudem kurz davor.
Eichel argumentiert
Bundesfinanzminister Hans Eichel, für den das Urteil eine schwere Niederlage ist, hatte stets argumentiert, der Pakt müsse an die Wirklichkeit angepasst werden. Eichel sagte noch beim Finanzministerrat im Mai 2004 in Brüssel: "Unsere Befürwortung des Paktes hat nie zur Debatte gestanden, sondern die Frage einer vernünftigen Anwendung, je nachdem in welcher konjunkturellen Situation wir uns befinden."
Eine Änderung der strikten Kriterien lehnt er aber ab. EU-Währungskommissar Joaquin Almunia hatte bereits angekündigt, bis Ende 2004 Reformvorschläge vorlegen zu wollen. Dann muss auch entschieden werden, wie mit Deutschland im folgenden Jahr verfahren werden soll, wenn der Bundeshaushalt zum vierten Mal in Folge gegen den Stabilitätspakt verstoßen könnte. Strikte Haushaltsauflagen wären möglich, ganz am Ende des Prozesses würden hohe Geldstrafen von bis zu zehn Milliarden Euro stehen.
Der Euro bleibt unbeeindruckt
Die Europäische Zentralbank besteht entgegen der Argumente des Finanzministers darauf, die beste staatliche Konjunkturpolitik sei ein solider, möglichst ausgeglichener Haushalt, der nicht auf Kosten der zukünftigen Generationen finanziert werde.
Dem Kurs der Gemeinschaftswährung Euro, der durch den Pakt ja eigentlich geschützt werden soll, hat das Gerangel um den Stabilitätspakt übrigens nichts anhaben können. Die Finanzmärkte blieben unbeeindruckt.