1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Die Lage der deutschen Wirtschaft verdüstert sich"

25. Juli 2023

Die Stimmung in den deutschen Unternehmen hat sich weiter verschlechtert. Der wichtige Geschäftsklimaindex des Ifo-Instituts ist im Juli zum dritten Mal in Folge gefallen.

https://p.dw.com/p/4UL5L
Deutschland Berlin | Bauarbeiter | Deutsche Wirtschaft
Besonders schlecht läuft es im BaugewerbeBild: Monika Skolimowska/dpa/picture alliance

Deutschland droht dem Ifo-Institut zufolge eine Sommerrezession. "Die Schwächephase der deutschen Wirtschaft geht in die Verlängerung", sagte der Leiter der Ifo-Umfrage, Klaus Wohlrabe, am Dienstag angesichts des erneuten Rückgangs des Geschäftsklimaindex. Das Bruttoinlandsprodukt werde im laufenden dritten Quartal voraussichtlich sinken, nachdem es im Frühjahr in etwa stagniert haben dürfte.

Der Ifo-Geschäftsklimaindex fiel zum Vormonat um 1,3 Punkte auf 87,3 Zähler, wie das Ifo-Institut am Dienstag in München mitteilte. Es ist der dritte Rückgang des stark beachteten Konjunkturbarometers in Folge. Ökonomen interpretieren drei Rückgänge hintereinander normalerweise als konjunkturellen Wendepunkt. Analysten hatten im Schnitt mit einem geringeren Rückgang auf 88,0 Punkte gerechnet.

"Die Lage der deutschen Wirtschaft verdüstert sich", kommentierte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Die aktuelle Lage wurde von den rund 9000 befragten Unternehmen deutlich schlechter bewertet, die künftigen Geschäftsaussichten fielen dagegen nur geringfügig schwächer aus.

Kaum Lichtblicke in der Industrie

Ein Grund für die Misere sei die anhaltende Schwäche der Industrie. "Die Unternehmen können zwar die bestehenden Aufträge besser abarbeiten, weil die Lieferengpässe kontinuierlich zurückgehen", sagte Wohlrabe. "Aber es kommen weniger neue Aufträge nach." In der Industrie gebe es kaum Lichtblicke. Mittlerweile schwächelten auch der Maschinenbau und die Elektrotechnikbranche, die Chemieindustrie schon länger. Auch die Auslandsnachfrage sei eher mau. "Von der Exportseite ist kein Schwung zu erwarten", sagte der Ifo-Experte.

Deutschland | Produktion bei Heidelberger Druckmaschinen AG
Auch der Export deutscher Maschinen läuft nicht mehr so rundBild: Ute Grabowsky/photothek/picture alliance

Das Geschäftsklima trübte sich zwar in allen betrachteten Bereichen ein, besonders stark ist aber die Baubranche betroffen, die unter steigenden Zins- und Materialkosten leidet. "Dort ist das Geschäftsklima so schlecht wie seit 2010 nicht mehr", sagte Wohlrabe. Bei den Dienstleistern sei das Bild gemischter. Der IT-Bereich laufe nach wie vor gut, auch der Tourismus. Schlechter sehe es hingegen etwa für die Transport- und Logistikbranche aus, die am Tropf der Industrie hänge.

Experten glauben nicht an schnelle Erholung

Jens-Oliver Niklasch, Volkswirt bei der LBBW ist überrascht von der Entwicklung. "Die Mehrzahl der Frühindikatoren fällt weiter, das Geschäftsklima ist keine Ausnahme. Die schlechte Nachricht heute ist, dass der Rückgang auf das Konto der Lage geht. Das lässt vermuten, dass das dritte Quartal ebenso schwierig wird wie das erste Halbjahr gewesen ist", so Niklasch. "Wir sind in einer Rezession und kommen da so schnell nicht raus."

"Dass der Ifo-Geschäftsklimaindex weiter nachgibt, die Börsenkurse aber wieder nach oben gehen, zeigt einmal mehr, dass Realwirtschaft und Finanzmärkte zwar eng miteinander verwoben, aber eben nicht immer Spiegelbild voneinander sind", bemerkt Jörg Zeuner, Chefvolkswirt von Union Investment. Während die Kapitalmärkte das Ende des Zinserhöhungszyklus antizipieren und mit großer Hoffnung auf das Thema Künstliche Intelligenz schauen würden, schlage sich bei der Realwirtschaft nun der volle Bremseffekt der strafferen Geldpolitik nieder, meint Zeuner. "Deshalb rechnen wir in diesem Jahr weiterhin mit wenig Dynamik bei der Konjunktur."

Keine Angst vor Rezession?

"Deutschland zieht Eurozone nach unten"

"Die deutsche Wirtschaft bewegt sich zurzeit im konjunkturellen Niemandsland zwischen schwacher Rezession und kraftloser Erholung", kommentiert Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW. Enttäuscht habe bislang vor allem die Industrie, denn trotz schwindender Lieferkettenprobleme trete die Produktion weiter auf der Stelle. "Positive Impulse könnten dagegen vom Konsum kommen, der von steigenden Löhnen und nachlassendem Inflationsdruck profitiert", glaubt Köhler-Geib. "Alles in allem sind vorerst aber bestenfalls kleine Schritte in Richtung Konjunkturerholung drin."

"Deutschland zieht die Eurozone nach unten. In kaum einem anderen Land ist die Konjunktur derzeit so stark unter Druck wie hierzulande", sagt Andreas Scheuerle, Volkswirt der Dekabank. Es gebe strukturelle Schwachstellen der deutschen Volkswirtschaft und die Folgen der hohen Inflation würden noch belasten. "Diese sucht eine Volkswirtschaft wie eine böse Krankheit heim: Erst spürt man – wie im Winterhalbjahr - das Gift des Kaufkraftentzugs. Die anschließende Heilung gleicht einer Rosskur, denn die restriktive Geldpolitik führt zu einer Belastung der Investitionstätigkeit. Und weil das Gegengift auch in zahlreichen anderen Ländern verabreicht wurde, kommt auch die Auslandsnachfrage unter Druck."

iw/hb (ifo-Instiut, dpa, rtr)