Neue Gefahren, neue Antworten
19. November 2010Die Diskussion um eine neue Strategie führen die NATO-Staaten seit langem. Aber warum braucht die NATO eigentlich ein neues Konzept? Immerhin war der Kalte Krieg ja bereits 1999, als die bisherige Strategie verabschiedet wurde, fast zehn Jahre vorbei. Trotzdem denke die NATO noch weitgehend in alten Kategorien, meint der Sicherheitsexperte Roland Freudenstein vom Brüsseler Centre for European Studies, einem der Europäischen Volkspartei nahestehenden Institut, vor dem Gipfel der Allianz in Lissabon an diesem Freitag (19.11.2010). "Die NATO ist immer noch im Grunde ausgerüstet für einen konventionellen Krieg zur Abwehr eines Angriffs auf ihr Territorium. Das ist eine Bedrohung, die eigentlich nicht mehr existiert."
"Streitkräfte der Zukunft müssen Berufsarmeen sein"
Ob Cyberterrorismus, Anschläge mit Chemiewaffen, zerbrechende Staaten, die für die Welt gefährlich werden können, oder die weltweite Verbreitung von Atomwaffen und Raketentechnik - auf viele neue Bedrohungen habe die NATO bisher nur eine unzureichende strategische Antwort, meint Freudenstein. Und darum brauche man andere Soldaten als bisher: "Die müssen modern vernetzt sein mit den modernsten Kommunikationsmitteln. Die müssen leicht sein. Die müssen schnell verlegbar sein. Und es muss eine Berufsarmee sein."
Insofern sieht der Sicherheitsexperte die geplante Umwandlung der deutschen Bundeswehr als richtigen, wenn auch im Vergleich zu anderen NATO-Staaten späten Schritt.
Raketenabwehr trotz Sparmaßnahmen gefordert
Aber nicht nur die Soldaten und ihre Ausrüstung müssen sich ändern. Als Teil einer neuen Strategie sieht NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen auch den Aufbau eines Raketenwehrsystems, das zum Beispiel gegen Angriffe aus dem Iran schützen soll. Beim jüngsten Rat der Verteidigungs- und Außenminister im Oktober 2010 in Brüssel appellierte Rasmussen an die Bündnispartner, das Projekt nicht scheitern zu lassen. "Ich würde vom Gipfel eine Entscheidung zur Raketenabwehr erwarten. Das wäre ein sehr sichtbares Zeichen, dass wir bereit sein, selbst in Zeiten des Sparens unsere Verteidigungsfähigkeiten zu verbessern."
Strittig sind aber nicht nur die Kosten. Nach wie vor ist auch unklar, ob Russland für eine Zusammenarbeit bei einer Raketenabwehr gewonnen werden kann. Und der deutsche Außenminister Guido Westerwelle blitzte in Brüssel vollkommen ab mit seiner Anregung, den Aufbau eines Raketenabwehrsystems mit nuklearer Abrüstung zu verbinden, auch und gerade in Deutschland.
US-Kernwaffen dürften vorerst in Deutschland bleiben
US-Verteidigungsminister Robert Gates’ Antwort auf den deutschen Vorschlag im Oktober in Brüssel war eindeutig. "Ich habe nichts von einer Verbindung zwischen Raketenabwehr und nuklearer Abrüstung gehört. Mehrere Redner haben sogar gesagt, solange wir in einer Welt mit Atomwaffen lebten, sei es wichtig, dass die NATO ein Bündnis mit atomarer Bewaffnung bleibe."
Einer der genannten Redner war Frankreichs inzwischen ausgewechselter Verteidigungsminister Hervé Morin. Der begründete im Oktober seinen Widerstand gegen atomare Abrüstung zwar vor allem mit dem Argument, Europa brauche auf absehbare Zeit auch eine nukleare Abschreckung. Für die Franzosen spielt aber auch eine Rolle, dass sie ohne ihre "force de frappe" viel an nationalem Prestige verlieren würden. So wird das Ziel einer atomwaffenfreien Welt, wie es auch US-Präsident Barack Obama beschrieben hat, wohl eher unter Fernzielen firmieren ohne direkte Auswirkungen auf die neue NATO-Strategie.
Autor: Christoph Hasselbach
Redaktion:. Kay-Alexander Scholz