Die Oberkommandierende
16. Dezember 2013Erst einmal habe sie tief Luft holen müssen, als die Bundeskanzlerin ihr das Ressort Verteidigung antrug, erzählt Ursula von der Leyen mit einem kleinen Seufzer. Aber dann habe sie dem überraschenden Vorschlag mit Freude zugestimmt. Als erste Frau in der Geschichte der Bundesrepublik wird sie an der Spitze des Verteidigungsministeriums stehen. Andere Länder wie Finnland, Frankreich und Spanien haben es längst vorgemacht, für Deutschland ist es eine Premiere. Hierzulande dürfen Frauen auch erst seit 2001 in allen Teilen der Truppe dienen.
"Mords-Respekt vor der Aufgabe"
Das Gespräch von der Leyens mit Angela Merkel liegt vier Tage zurück. Bis dahin hatte die bisherige Arbeitsministerin keinen Schimmer davon, dass sie künftig die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt sein wird, die Dienstherrin von mehr als 185.000 Soldatinnen und Soldaten. "Das ist eine Riesen-Aufgabe", sagt die promovierte Ärztin und Mutter von sieben Kindern. "Ich freue mich darauf, aber ich habe auch einen Mords-Respekt davor."
Dass Ursula von der Leyen sich schnell in das große und komplizierte Feld der Verteidigungspolitik einarbeiten wird, daran hat in ihrem Umfeld niemand Zweifel. An Sachkenntnis und einer schier unerschöpflichen Energie ließ sie es die 55-Jährige in ihren bisherigen Ämtern nie fehlen. "Das ist jetzt das vierte Ministerium, das ich übernehme", so ihr knapper Kommentar. Sie bringe viel Erfahrung mit und wisse, wie man mit einer großen Verwaltung umgehe.
An Merkels Seite
Als Angela Merkel 2005 zur Bundeskanzlerin gewählt wurde, holte sie ihre Vertraute aus der niedersächsischen Landespolitik an die Spitze des Familienministeriums nach Berlin. Dieses Amt hatte von der Leyen zuvor schon in Niedersachsen inne, wo ihr Vater, der CDU-Politiker Ernst Albrecht, lange Jahre Ministerpräsident war.
Nachdem im Jahr 2009 im Kabinett der wichtige Posten des Arbeitsministers vakant geworden war, betraute Merkel von der Leyen mit diesem Ressort. 2010 wurde sie zur stellvertretenden CDU-Vorsitzenden gewählt und war als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten im Gespräch. Da zeigte sich schon, dass sie zum engen Kreis jener CDU-Politiker gehört, die als "Allzweckwaffe" für fast jede Aufgabe infrage kommen.
Die eloquente und energische Christdemokratin polarisierte aber auch immer wieder. Hartnäckig forderte sie eine Frauenquote in den Chefetagen deutscher Unternehmen, beharrlich stritt sie für einen Renten-Zuschuss für Geringverdiener. Nicht immer unterstützte die Bundeskanzlerin ihre Pläne, und ihre Partei erteilte ihr bei der Wiederwahl zur Vize-Vorsitzenden mit nur 69 Prozent der Stimmen einen Dämpfer. Während der Koalitionsverhandlungen war gemutmaßt worden, Merkel würde der Medizinerin das sperrige Gesundheitsministerium andienen. Doch das erwies sich als Trugschluss.
Gewichtiges Amt mit Risikoaufschlag
Mit ihrer Ernennung zur Verteidigungsministerin eröffnet sich für Ursula von der Leyen die Chance, auch auf dem internationalen Parkett neue Erfahrungen zu sammeln. Die könnte sie gut brauchen, wenn die Ära Merkel dereinst zu Ende geht. Das Bekenntnis der Bundeskanzlerin, sie habe schon lange darüber nachgedacht, von der Leyen zur Verteidigungsministerin zu machen, weisen in diese Richtung - möglicherweise wird hier eine potenzielle Kanzlerkandidatin der CDU aufgebaut.
In der jüngeren Vergangenheit war das Verteidigungsministerium allerdings nicht unbedingt die erste Wahl für Politiker mit großen Ambitionen. Vielmehr erwies sich das Ministerium, das auf die zwei Standorte Bonn und Berlin aufgeteilt ist, als Arbeitsplatz mit Fußangeln. So laufen immer wieder millionenschwere Rüstungsgeschäfte aus dem Ruder. Die gescheiterte Beschaffung der Aufklärungsdrohne Euro Hawk hätte den bisherigen Minister Thomas de Maizière fast das Amt gekostet. Er hatte nicht rechtzeitig erkannt, dass die teure Drohne niemals fliegen würde. Seine Mitarbeiter hätten ihn nicht ausreichend informiert, rechtfertigte er sich. Die dringlichste Aufgabe für von der Leyen wird es also sein, den eigensinnigen und teils überbürokratischen Apparat ihres Hauses tatsächlich und nicht nur pro forma unter ihre Kontrolle zu bringen.
Fürsorge für eine gestresste Armee
Der Umgang mit dem Apparat wird schwieriger sein, als sich bei den Soldaten selbst Respekt zu verschaffen. Die erwarten vor allem Anerkennung für ihre Leistungen im Auslandseinsatz und Verständnis für den Frust, den die Dauer-Reform der Streitkräfte mit sich bringt. Seit der Wiedervereinigung befindet sich die Bundeswehr permanent im Umbau. Standen im Kalten Krieg noch eine halbe Million deutscher Soldaten unter Waffen, so sollen es Ende 2017 nur noch 185.000 sein. Zu diesem Zweck wurden Standorte geschlossen, Kommandos zusammengelegt und die Wehrpflicht im Schnellverfahren abgeschafft.
Seit die Bundeswehr eine Freiwilligenarmee ist, kämpft sie um qualifizierten Nachwuchs. In ihrem neuen Amt will Ursula von der Leyen dazu beitragen, die Streitkräfte zu einem attraktiven Arbeitgeber zu machen, in dem sich Familie und Beruf gut vereinbaren lassen. Nachdem Union und SPD sich darauf geeinigt haben, dass es keine Reform der Bundeswehr-Reform geben soll, muss sie für ruhiges Fahrwasser sorgen, damit die sogenannte "Neuausrichtung" zu einem guten Ende gebracht werden kann.
Gleiches gilt für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, der Ende 2014 vollzogen sein soll. Auch die Diskussion über die künftige strategische Ausrichtung Deutschlands wird am Verteidigungsministerium nicht vorbeigehen. Alles in allem eine Herkulesaufgabe, an der sich schon mehr als ein Minister verhoben hat. Ursula von der Leyen kann sich daher sicher sein, dass ihre Arbeit mit Argusaugen beobachtet wird. Meistert sie auch diesen Ministerposten, dann stehen ihr künftig alle Türen offen.