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Sotschi und die Menschenrechte

Mirjam Gehrke7. Februar 2014

Russland und das IOC werden wegen Verletzungen der Menschrechte in Zusammenhang mit den Olympischen Spielen von Sotschi massiv kritisiert. Wie viel Verantwortung trägt der Sport und wie viel die Politik?

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Olympische Ringe am Flughafen bei Sotschi
Bild: picture-alliance/dpa

In Sotschi geht es vor allem um Medaillen und Rekorde. Vielleicht wird auch über Doping diskutiert werden müssen bei den XXII. Olympischen Winterspielen in und um den subtropischen Kurort an der russischen Schwarzmeerküste. Aber ob auch Menschenrechte ein Thema werden, vor allem ihre Missachtung und Verletzung durch russische Behörden, wenn Olympioniken aus aller Welt um einen Platz auf dem Treppchen kämpfen?

Von "Spielen der Superlative" war schon im Vorfeld die Rede gewesen. Zumindest macht die Rekordsumme von 37,5 Milliarden Dollar, die der Bau von Sportstätten, olympischem Dorf, Autobahnen und Hotels verschlungen hat, die Winterspiele von Sotschi zu den teuersten aller Zeiten - offenbar auf Kosten der Menschenrechte.

Die Arbeiter auf den Olympiabaustellen wurden "oftmals ausgebeutet, waren in schlechten Unterkünften untergebracht, hatten keine Verträge und haben keinen angemessen Lohn erhalten", resümiert Wolfgang Büttner von Human Rights Watch (HRW). Zweitausend Familien seien zwangsumgesiedelt worden, um Platz zu schaffen für die olympischen Sportstätten - entschädigt wurden demnach nur die wenigsten. Mehr noch: "Es gab immer wieder Verhaftungen und Einschüchterungen von Kritikern, die die Bauvorhaben und die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen kritisiert haben", sagt Büttner über die seit 2009 von HRW dokumentierte Behördenwillkür in Russland.

Olympische Winterspiele 2014 Baustelle des Olympischen Dorfs in Sotschi
Auf den Baustellen sind viele Arbeiter um ihren Lohn gebracht wordenBild: Getty Images

Rückblende: Peking 2008

Als "Spiele der Superlative" sind auch die Olympischen Sommerspiele von Peking 2008 in die Geschichte eingegangen: spektakuläre Eröffnungs- und Abschlussfeiern, perfekt organisierte Wettkämpfe und modernste olympische Bauten haben bleibenden Eindruck hinterlassen. Auch damals gab es Kritik.

Inhaftierte Regimekritiker, platt gewalzte Wohnviertel, ausgebeutete Bauarbeiter, Medienzensur - was in China angeprangert wurde, wirkt im Rückblick wie eine Blaupause für Russland. "Natürlich war Peking ein schlechtes Beispiel, was passieren kann, wenn die Olympischen Spiele an Sotschi vergeben werden", sagt Wolfgang Büttner rückblickend. Und Christoph Strässer, der neue Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, geht noch weiter: Die Vergabe der Spiele an Sotschi sei ein Fehler gewesen. "Alles, was da läuft - Umweltzerstörung, die Sicherheitslage - sind Dinge, die diejenigen, die die Spiele nach Sotschi vergeben haben, gewusst haben", so Straesser.

Als die Spiele im Juli 2007 an Sotschi vergeben wurden, war die Debatte um Menschenrechtsverletzungen in China bereits in vollem Gange. "Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat in Zusammenhang mit den Olympischen Spielen in China immer wieder bekräftigt, dass die Menschenrechtssituation sich aufgrund dieser Sportereignisse verbessern kann. Das war nicht der Fall", sagt Janna Sauerteig, Russland-Expertin von Amnesty International Deutschland. "Das Argument des IOC, dass sich die Menschenrechtslage allein durch die Olympischen Spiele in Russland verbessert, können wir im Moment nicht bestätigen."

Deutschland Protestaktion von Amnesty International in Berlin
Protestaktion von Amnesty International gegen Menschenrechtsverletzungen in RusslandBild: picture-alliance/dpa

Die Augen vor der Realität verschlossen?

IOC-Präsident Thomas Bach hat sich bei der Eröffnung der Generalversammlung in Sotschi drei Tage vor Beginn der Spiele vehement gegen Diskriminierung jeglicher Art ausgesprochen - und der russischen Regierung eine goldene Brücke gebaut. "Wir sind sehr zufrieden über die Zusicherung der russischen Regierung, die Olympische Charta während der Spiele zu respektieren", erklärte Bach und forderte die internationale Politik auf, die Kritik an Olympia-Gastgeber Russland nicht auf dem Rücken der Athleten auszutragen.

Von einem Boykott der Spiele halten auch Menschenrechtler nichts. Sie haben vielmehr das IOC selbst im Visier. "Was wir besonders kritisieren ist, dass sich das IOC oft auf Zusagen der russischen Behörden verlässt, von denen nicht sicher ist, ob sie umgesetzt werden", sagt Wolfgang Büttner von Human Rights Watch und wirft dem IOC vor, zu spät reagiert zu haben. "Die Menschenrechtsprobleme, die mit dem Bau der Olympiastätten verbunden sind, sind seit 2009 bekannt." Auf eine Interviewanfrage der DW zu diesen Vorwürfen hat das IOC nicht reagiert.

Der Sport, die Menschenrechte und die Politik

Der UN-Sonderbeauftragte für den Sport, Willi Lemke, hält die Debatte dagegen für eine "Überfrachtung der Olympischen Bewegung". Politische Debatten gehörten in die Generalversammlung der Vereinten Nationen oder auf die G-20-Gipfel. Lemke warnt, wenn man die Anforderungen an Menschenrechts- und Umweltstandards "sehr weit fasst, findet sich bald keine Stadt und kein Land mehr, in dem man Olympische Spiele ausrichten kann". Im DW-Interview lässt er durchblicken, dass die Debatte seiner Ansicht nach mit doppelten Standards geführt werde. "Glauben Sie, dass man in den USA, angesichts der Todesstrafen in 37 Bundesstaaten oder der Situation in Guatánamo, bei den vielen Menschenrechtsverletzungen, noch guten Gewissens große Veranstaltungen stattfinden lassen könnte?" Dabei seien die USA unbestritten das "Sportland Nummer eins".

Russland Olympia Sicherheitsmaßnahmen in Sotschi
Die Olympischen Spiele finden unter strengen Sicherheitsvorkehrungen stattBild: Reuters

Der Chor der Kritiker wird unterdessen immer lauter, größer und namhafter. Mehr als 200 Autoren, darunter die Literaturnobelpreisträger Günter Grass, Elfriede Jelinek und Orhan Pamuk, haben in einem offenen Brief die Wahrung der Meinungsfreiheit in Russland angemahnt. Die britische Zeitung "The Guardian" veröffentlichte den Appell. Darin prangert die Gruppe auch die Anti-Homosexuellen-Gesetze in dem Land an.

Wolfgang Büttner von HRW setzt angesichts des massiven Drucks auf einen Bewusstseinswandel: "Das IOC wird sich zunehmend seiner Verpflichtungen bewusst. Wir hoffen, dass insgesamt bei der Vergabe von Sportereignissen Menschenrechte eine größere Rolle spielen." Das betreffe nicht nur Olympische Spiele, sondern auch die Fußballweltmeisterschaft. Auf den WM-Baustellen in Brasilien und Katar hat es bereits mehrere Todesfälle geben.