Die Ratlosigkeit der Notenbanker
25. August 2016Versteckt zwischen den schneebedeckten Berggipfeln der Rocky Mountains treffen sich am Wochenende die Notenbänker dieser Welt im Jackson Lodge. Das berühmte Hotel liegt in gut 2000 Metern Höhe, ein kastenförmiger Bau mit schmuckloser Holzverkleidung. Auf Spa-Bereich, Fitnessstudio und Friseur wurde verzichtet, nicht einmal Fernseher gibt es auf den Zimmern. Dafür bietet das Lodge einen traumhaften Blick auf den Jackson Lake und die Teton Range, eine Bergkette innerhalb der Rocky Mountains. Viel Raum für Inspiration, die US-Notenbank-Chefin Janet Yellen gut gebrauchen kann. Die Währungshüter ringen um eine Entscheidung in der Frage, wo es mit den Zinsen weiter gehen soll.
Um die Wirtschaft nach dem Zusammenbruch 2008 zu beleben, senkte die Notenbank unter Ben Bernanke im Dezember 2008 die Zinsen auf null Prozent. Bereits damals galt dies als ein dramatischer Einschnitt in der Geldpolitik. Heute, acht Jahre nach der Krise, sind die Zinsen immer noch nur knapp über null Prozent. Janet Yellen hatte für 2016 vier Zinsschritte angekündigt. Geschehen ist jedoch - nichts. "Die Notenbank hat keinerlei Strategie", sagt der Ökonom Allan Meltzer.
Die Notenbank weiß nicht weiter
Aus den Protokollen der vergangenen Notenbanksitzungen geht hervor, wie gespalten die Teilnhemer in ihren Meinungen sind. Auch deswegen könnte die Konferenz in Jackson Hole wichtig sein für Janet Yellen. Im vergangenen Jahr ist sie nicht erschienen; jetzt scheint sie Rat zu brauchen. Ein Grund für die Ratlosigkeit der Notenbank ist ihre Abhängigkeit von Wirtschaftsdaten. Yellen orientiert sich vor allem an Inflation und Arbeitslosenquote, um die Lage der amerikanischen Wirtschaft zu beurteilen. Eine niedrige Arbeitslosigkeit und eine Inflation von zwei Prozent betrachtet die Notenbank dabei als optimal, um die Zinsen langsam zu erhöhen.
Doch keiner der beiden Werte sei als Indikator geeignet, sagen Kritiker. “In einem Monat sind die Arbeitsmarktdaten gut, dann vielleicht wieder schlechter”, sagt Melzer - die Notenbank sei dementsprechend wie ein Fähnchen im Wind. Das Inflationsziel von zwei Prozent wird auch immer wieder in Frage gestellt. “Zwei Prozent sind viel zu wenig”, sagt zum Beispiel Joseph Gagnon vom Peterson Institute for International Economics. Doch es hagelt auch Kritik aus den eigenen Reihen: Notenbanker John Williams selbst sorgte vergangene Woche mit der Aussage für Aufruhr, das Inflationsziel von zwei Prozent erhöhen zu wollen. So könnte die Notenbank die Zinsen länger niedrig halten. Ein Alleingang, der ihm Ärger mit seiner Chefin Yellen eingebracht haben dürfte.
Wall Street profitiert von den niedrigen Zinsen
Es fehlt der Notenbank an einer klaren Linie, glaubt man deswegen auch an der Wall Street. "Janet Yellen weiß nicht, was sie tut", sagt Händler und Wall Street-Legende Peter Tuchman. An der New Yorker Börse hat die lockere Geldpolitik der Notenbank für regelrechte Ausverkäufe gesorgt. Investoren flüchten in Aktienmärkte, weil alternative Anlageformen bei niedrigen Zinsen kaum Ertrag bringen. "Irgendwo müssen die Investoren ihr Geld ja anlegen", sagt Yayacli. Und da bleibe eben momentan nicht viel anderes als der amerikanische Aktienmarkt. Die Wall Street schreibt so Rekorde. In der vergangenen Woche erreichten alle drei US-Leitindizes seit 1999 erstmals zugleich ein Allzeithoch. Das steht im scharfen Kontrast zu den Ergebnissen der Unternehmen: Seit vier Quartalen melden die sinkende Gewinne, seit sechs Quartalen sinkende Umsätze. Skeptiker ziehen deshalb Vergleiche zur Dotcom-Blase Ende der neunziger Jahre - und fragen sich, wann die neue Blase platzt.
Wenn die Blase platzt
Niedrige Zinsen können so schnell zum Problem für die Wirtschaft werden. Sie machen es für Unternehmen und Konsumenten attraktiv, sich über Kredite zu finanzieren. Das soll den Konsum und so die Wirtschaft ankurbeln. Doch droht ein ökonomischer Schock, hat die Notenbank kaum noch Möglichkeiten, gegenzusteuern - die Zinsen sind bereits niedrig oder bei null. Und gefeit vor einem solchen Schock ist die US-Wirtschaft aktuell nicht, glaubt Allan Melzer. Die Arbeitslosigkeit ist zwar gesunken, aber viele Amerikaner haben die Suche nach einem Job aufgegeben und tauchen lediglich deshalb nicht mehr in der Statistik auf. Das Lohnwachstum stagniert. Die Produktivität wächst nur langsam, das Investitionsniveau liegt noch weit unter jenem vor der grossen Krise 2008. "Die Notenbank hat ihre Möglichkeiten längst ausgereizt”, sagt Mohamed El-Erian, Chef-Ökonom der Allianz-Gruppe. Er warnte bereits vor der nächsten Rezession. Der legendäre Anleihenspezialist und Milliardär Bill Gross sagte der "Financial Times" unlängst, die Notenbanker bedrohten "mit ihrem Cocktail aus lockerer Geldpolitik und niedrigen Renditen die Wirtschaftsmaschine".
Letzter Ausweg Helikopter-Geld
Irgendwann blieben der Notenbank nur noch Negativzinsen, sagt die Ökonomin Özlem Yayacli von IHS Market Economics. Janet Yellen hat das zumindest nicht ausschließen wollen. In Ländern wie Japan und der Schweiz bekommen Menschen und Unternehmen Geld dafür, sich Geld zu leihen. Sparen hingegen kostet Geld. Die Menschen sollen ihr Geld ausgeben, am besten über günstige Kredite finanziert. Doch das funktioniert oft gar nicht. "Niemand kann gezwungen werden, Geld auszugeben", sagt Melzer. Gerade in unsicheren Zeiten sparen die Menschen trotz Negativzinsen, statt sich ein neues Auto auf Pump zu leisten. Und: "Es geht auch um den psychologischen Effekt", sagt Yayacli. Senke die Notenbank die Zinsen, signalisiere sie damit: Der Wirtschaft geht es so schlecht, dass wir ihr auf die Beine helfen müssen.
Immer wieder wird auch das Konzept des sogenannten Helikopter-Gelds diskutiert. Dabei gibt die Notenbank Geld direkt per Scheck oder indirekt durch Steuersenkungen an die Bürger. So soll der Konsum ebenfalls angekurbelt werden. Ein Konzept, das viele Ökonomen für unrealistisch halten. "Dazu müsste man den Kongress überzeugen, das Gesetz entsprechend zu ändern", sagt Joseph Gagnon vom Peterson Institute for International Economics. Außerdem drohe dies ein Fass ohne Boden zu werden. "Bei einer Krise wird dann einfach immer mehr Geld geschöpft. Das bekämpft nur die Symptome, nicht die Ursache."
Den Märkten fehlt der Glaube an die Fed
All diese Spekulationen sind nur möglich, weil die Notenbank selbst keine klare Richtung vorgibt. "Sie hält sich nicht an ihre eigenen Pläne", sagt Meltzer. Von der Konferenz in Jackson Hole erwarten die wenigsten klare Signale von Yellen. "Sie wird wiederkäuen, was sie immer sagt", glaubt Tuchman. Auch Yayacli erwartet keine Hinweise auf den Zeitpunkt der nächsten Zinserhöhung. Dabei sei die Konferenz eine gute Gelegenheit, um die Märkte mit der Notenbank zu versöhnen. Denn die, sagt Händler Tuchman, haben ihren Glauben an die Notenbank längst verloren. Man malt sich sein eigenes Bild der Zukunft. Tuchman schaut dabei auf seine Erfahrung, nicht auf die Reden der Notenbankchefin. Was am Wochenende zwischen den Gipfeln der Rocky Mountains besprochen wird, wird also von vielen gar nicht gehört werden. 2000 Höhenmeter sind vielleicht zu weit vom Boden der Tatsachen entfernt, fürchtet Tuchman.