"Die Slowakei schlägt den Weg Orbáns ein"
30. April 2018Deutsche Welle: Herr Soltész, vor zwei Monaten wurden der Investigativjournalist Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnírová ermordet. Der Mordfall hat die Slowakei zutiefst erschüttert. Was haben Sie empfunden, als Sie davon erfuhren, und wie sehen Sie die Situation im Land jetzt?
Árpád Soltész: In den ersten Stunden war ich unglaublich schockiert, dann empfand ich eine große Trauer und Wut. Ich persönlich habe keine Angst, aber ich sorge mich um dieses Land. Ich fürchte, dass dieser Mord nie aufgeklärt werden wird, denn es gibt einen starken politischen Willen, ihn nicht aufzuklären. Zwar sieht es so aus, als ob die politische Elite wirklich nicht wisse, wer Ján ermordet hat, aber man scheint zu ahnen, dass die Täter so groß und mächtig sind, dass sie alle mitreißen würden, wenn der Fall aufgeklärt werden würde. Klar ist, dass der Mord im Zusammenhang mit Jáns Arbeit geschah. Ich habe gerade einen Kommentar geschrieben mit dem Titel "Ján ist tot, die Mächtigen regieren weiter, wir gewöhnen uns daran".
Der zurückgetretene Regierungschef Robert Fico hat sich, wie schon in früheren Jahren, inzwischen wieder mehrmals abfällig über Journalisten geäußert. Ist das zwei Monate nach dem Mordfall wieder salonfähig?
Ja, wir können sehen, dass Fico den Weg Ungarns, den Weg Orbáns einschlägt. Es war in Ungarn und auch in Polen immer der erste Schritt, den Medien das Maul zu stopfen. Vor zwei Monaten schien es in der Slowakei unvorstellbar, dass ein Journalist ermordet wird. Dann ist es passiert. Es kann sein, dass weitere Morde folgen werden und dass sich die Öffentlichkeit langsam daran gewöhnt und dass Morde an Journalisten, wie in Russland, zu einem Mittel der Problemlösung für Leute wird, die sich das leisten können.
Es muss auch nicht unbedingt ein Journalist sein. Vielleicht wird es auch ein Richter oder ein Staatsanwalt sein. Es könnte auch ein Modell für andere Länder sein, für Polen oder für Ungarn. Ich denke, dort haben sie auch von dem Mordfall Kuciak gehört und in gewisser Weise wird damit dort auch eine psychologische Barriere durchbrochen worden sein. Etwas, das wirklich unvorstellbar war, liegt heute im Bereich des Möglichen. Es wird immer schwieriger, in Mittelosteuropa Journalist zu sein.
1998 wurden Sie bei einer Recherche krankenhausreif geprügelt.
Ja, es ging um die Privatisierung einer Fleischfabrik in der ostslowakischen Stadt Presov, zu der ich recherchierte. Eines Abends hatten wir in der Stadt Kosice in einem Restaurant ein Familientreffen. In einem bestimmten Moment ging ich auf Toilette. Kurz nach mir kam jemand herein und schlug mich, ohne irgendein Wort zu sagen, furchtbar zusammen. Er brach mir ein paar Rippen und während ich halb bewusstlos am Boden lag, ging er ganz ruhig und schweigend aus der Toilette. Das war absolute Profiarbeit.
Vor einigen Monaten schrieben Sie, dass solche Verhältnisse wie in den 1990er Jahren in der Slowakei nicht mehr möglich seien. Das Land sei im Großen und Ganzen ein Rechtsstaat und auf einem guten Weg. Lagen Sie falsch?
Ja, nach dem Mord an Ján Kuciak und Martina Kusnírová scheint es, als ob ich mich geirrt habe.
Unmittelbar nach dem Mordfall haben sich die wichtigsten slowakischen Medien zusammengeschlossen und eine Gruppe gebildet, die zu den Themen, zu denen Ján Kuciak ermittelte, weiter recherchierte. Auch Sie gehören zu dieser Gruppe. Wie erfolgreich waren Sie bisher?
Wir haben sehr viele Themen, mit denen sich Ján beschäftigt hat, aufgegriffen und zu Ende geführt. Er hat sehr viele systematische Notizen hinterlassen, mit denen man gut weiter arbeiten konnte. Teilweise haben sich dadurch auch neue Spuren ergeben, die wir weiter verfolgen. Anfangs haben wir fast täglich etwas veröffentlicht. Jetzt ist das Tempo etwas langsamer geworden, auch deshalb, weil die Öffentlichkeit nicht täglich eine neue Affäre verarbeiten kann. Denn unsere Arbeit hat ja nur Sinn, wenn sie von der Öffentlichkeit auch reflektiert wird.
Diese Initiative scheint ziemlich einmalig. Es gibt nationale und auch internationale Rechercheverbände, aber dass sich die wichtigsten Medien eines Landes zusammenschließen, ist ungewöhnlich.
Ich denke, wir sollten uns dafür auch bei Ringier Axel Springer bedanken, denn ohne ihre Unterstützung hätte das nicht funktioniert. Es ist vielleicht auch nicht ganz so einzigartig. Nach dem Mord an der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia hat sich auch eine internationale Gruppe zusammengefunden, die zu dem Mord an ihr recherchiert hat. Auf alle Fälle sind solche Initiativen eine schlechte Nachricht für die Täter. Ich glaube, wann immer Journalisten ermordet werden, werden sich in Zukunft internationale Gruppen zusammenfinden, die dazu recherchieren. Jedem, der einen Journalisten ermordet, sollte künftig klar sein, dass er hinterher noch viel größere Probleme bekommt als das Problem, das er lösen wollte.
Welche Fortschritte haben sich durch diese Zusammenarbeit ergeben?
Wir konnten schneller und effektiver recherchieren. Zudem hat jeder in der Gruppe Teile eines Puzzles gesehen, die man allein vielleicht so nicht sehen kann. Wir haben viel tiefer graben können, als wenn wir nur individuell gearbeitet hätten.
Wird die Kooperation weiter bestehen?
Ja, ich denke schon. Ich weiß nicht wie lange, aber im Moment machen wir weiter, wenn auch ein bisschen langsamer als am Anfang.
Sehen Sie für sich als Journalist eine Zukunft in der Slowakei?
Als Journalist ist man ja immer dann erfolgreich, wenn die Verhältnisse nicht so gut sind und man sie kritisiert und Dinge aufdeckt. Allerdings gibt es auch Grenzen, die überschritten werden können. Solange wir noch eine Demokratie sind und in der Europäischen Union bleiben werden, werde ich auch weiter kämpfen. Aber wenn es hier ein autoritäres Regime geben sollte, dann hat es keinen Sinn mehr, dann kann man hier als Journalist nicht mehr arbeiten. Denn dann wird diese Arbeit verboten werden und aus dem Gefängnis heraus kann man nicht als Journalist arbeiten. Ich denke, das ist durchaus eine mögliche Entwicklung. Nicht eine zwangsläufige, aber eine sehr wohl mögliche.
Árpád Soltész, 48, ist einer der bekanntesten Journalisten der Slowakei und begründete Mitte der 1990er Jahre den Investigativjournalismus im Land mit. Wegen der antikommunistischen Einstellung seines Vaters durfte er unter der Diktatur nicht studieren, sondern musste als Maschinenschlosser arbeiten. Nach der samtenen Revolution in der Tschechoslowakei im November 1989 studierte Soltész zunächst Germanistik und wurde dann Journalist. Seit einigen Jahren arbeitet Soltész überwiegend als politischer Kommentator, derzeit für den Fernsehsender TV JOJ.