Türkei will wie 2008 brillieren
5. Juni 2016Als im März mitten in Ankara Dutzende Menschen durch ein Autobomben-Attentat auf dem Kizilay-Platz ihr Leben verloren, wurde indirekt auch der türkische Fußball getroffen. Unter den Opfern war der Vater von Nationalspieler Umut Bulut. Kurz zuvor hatte er seinen Sohn im Stadion spielen sehen. Es war nicht das erste Mal, dass der Terror, der die Türkei seit Monaten erschüttert, einen dunklen Schatten auf die Europameisterschaft 2016 wirft.
"Mir wäre es lieber, kein einziges Kind wäre gestorben, und wir hätten uns nicht qualifiziert", sagte ein trauriger Nationaltrainer Fatih Terim schon im vergangenen Jahr mit heiserer Stimme. Die Türkei hatte sich im Oktober 2015 erstmals seit acht Jahren wieder für ein großes Turnier qualifiziert. Doch richtig freuen konnte sich zu diesem Zeitpunkt eigentlich keiner, denn drei Tage zuvor waren in Ankara bei einem verheerenden Anschlag über 100 Menschen gestorben. Die Qualifikation für Frankreich - damals war sie kaum mehr als eine Ablenkung für ein paar Stunden.
Trio aus der Bundesliga
Mittlerweile ist die Vorfreude auf die EURO groß. Die Türkei, traditionell eine - zumindest, was die Begeisterung der Fans angeht - große Fußball-Nation, fiebert in Gruppe D packenden Duellen mit Europameister Spanien, Kroatien und Tschechien entgegen. Im Kader stehen drei Profis aus der Bundesliga: Nuri Sahin von Borussia Dortmund, der Mainzer Yunus Malli und Hakan Calhanoglu von Bayer 04 Leverkusen.
"Dass ich ein Teil der Mannschaft bin, die die Türkei bei der EM vertritt, macht mich unheimlich stolz", sagt der 22-Jährige im Interview mit der "Westdeutschen Zeitung" und verweist auf die Unterschiede zwischen Deutschland und der Türkei. "Man kann sich hier in Deutschland kaum vorstellen, was der Fußball in der Türkei bedeutet. Er ist dort so emotional beladen, das ist viel mehr als Sport", erklärt Calhanoglu. "Ein Sieg von uns in der Gruppenphase, und die Türkei wird Kopf stehen."
"Imperator" Terim als Erfolgsgarant
Das war auch schon vor acht Jahren so, als die Türken bei der EM in Österreich und der Schweiz ein sensationelles Turnier spielten. Erst im Halbfinale war gegen Deutschland Endstation (2:3). Damals wie heute auf der türkischen Bank: Trainer Fatih Terim, der seit Jahren beste und erfolgreichste Fußballlehrer aus der Türkei.
"Ich hoffe, wir können den Erfolg von 2008 wiederholen und vielleicht sogar daran anschließen", sagt Terim. Seine Mannschaft um Starspieler Arda Turan konnte beim letzten EM-Test gegen Slowenien (1:0) zwar nicht überzeugen, hat aber durchaus Chancen, sich in Gruppe D durchsetzen - nicht nur, weil der neue Turniermodus auch die vier bestplatzierten Dritten eine Runde weiterlässt. Das hat vor allem mit Terim zu tun, der den furchteinflößenden Spitznamen "Imperator" trägt.
2009 räumte er seinen Posten als Nationalcoach und kehrte 2013 zurück. Seitdem geht es mit dem Fußball in der Türkei wieder aufwärts. Zwar verpasste er die Qualifikation zur WM in Brasilien, doch die EURO in Frankreich wurde erreicht. Da Terim bereits von 1993 bis 1996 Nationaltrainer war, sitzt er nun zum dritten Mal bei einer Europameisterschaft für die Türkei auf der Bank.
Türkischer Messi Mor
Von dort wird Terim den besten Blick haben, wenn sein größtes Talent, Emre Mor, auf dem Platz zaubert - zumindest dann, wenn Mor die hohen in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt. Dem 18-jährige Rohdiamanten, der gerade vom FC Nordsjaelland in Dänemark zu Borussia Dortmund gewechselt ist, wird enormes Potential nachgesagt. Auch von seinem Co-Trainer im Klub, dem ehemaligen Dortmunder Bundesliga-Profi Otto Addo: "Wie er dribbelt, erinnert wirklich an Superstar Lionel Messi", sagte Addo im Interview mit dem "Kicker".
Terim gibt dem 1,69 Meter kleinen Flügelspieler bei der EURO eine Chance. Er berief ihn in seinen Kader, der traditionell hauptsächlich mit Spielern der drei großen Istanbuler Klubs, Galatasaray, Besiktas und Fenerbahce, bestückt ist. Wie viel Vertrauen der "Imperator" seinen Spielern entgegenbringt, zeigt eine selbstbewusste Aussage zu den Zielen der Türken bei der EM: "Wir wollen im Finale spielen", sagt Terim und verzieht dabei keine Miene. Eine Ansage, die viele der türkischen Fans wohl sofort begeistert unterschreiben würden.