PR-Maschine Taliban
25. Juli 2008"Heute, am 25. Juli 2008 um sieben Uhr lokaler Zeit haben Mudschahedin des Islamischen Emirats von Afghanistan in der Provinz Helmand einen Panzer der britischen Besatzungsarmee zerstört. Sechs ihrer Invasions-Terroristen wurden getötet." Das verkündet eine englischsprachige Internetseite der Taliban in Afghanistan. Meldungen wie diese kommen jeden Tag neu auf die Seite.
Das Internet ist nur eine Front, an der die extremistische Gruppe ihren Propaganda-Feldzug gegen die Regierung in Kabul und die westlichen Truppen im Land führt. Und dieser Propaganda-Krieg läuft für die Taliban zusehends erfolgreicher. Das berichtet die International Crisis Group (ICG) in einem aktuellen Bericht. Demnach gelingt es den Taliban immer besser, die Ineffizienz der Regierung von Präsident Hamid Karzai öffentlichkeitswirksam für sich zu nutzen. Die PR-Maschinerie der Taliban müsse endlich in den Fokus der Kabuler Regierung und des Westens rücken, so die Forderung der ICG-Forscher.
Multimediale Präsenz
Die erwähnte Webseite im Namen des vorherigen Regimes – des Islamischen Emirates von Afghanistan – bietet sechs Sprachen zur Auswahl, darunter auch Englisch und Arabisch. Damit wendeten sich die Taliban in erster Linie an internationale Leser, sagt ICG-Analystin Joanna Nathan in Kabul: "Mit der englischen Seite sollen besonders westliche Berichterstatter angesprochen werden. Die arabische Variante richtet sich an mögliche Geldgeber."
Dazu kommen Video-DVDs oder Tonbandkasetten, die die Kommunikationsabteilung der Taliban für die heimische Bevölkerung produziert, von der ein Großteil nicht schreiben oder lesen kann. Inhalt sind neben "Nachrichten" auch Gedichte und Musik. Ein weiteres Medium, das sich besonders für weniger freundliche Inhalte eignet, sind die sogenannten "Nachtbriefe". "Diese werden während der Nacht vor Häusern und an Mauern in Dörfern angebracht und enthalten oft Drohungen an einzelne Personen oder Gruppen", erläutert Nathan.
Die Internet-Updates, die über vermeintliche militärische Erfolge berichten, seien aber grobe Übertreibungen, sagt Nathan. Insgesamt gelinge es den Taliban so, sich als "viel größer und stärker darzustellen, als sie eigentlich sind". Die PR schaffe es auch, die internen Streitigkeiten zwischen einzelnen Taliban-Fraktionen erfolgreich nach außen hin zu verdecken.
Pakistanische "Radio-Mullahs" helfen
Dabei schlagen die Taliban verstärkt nationalistische Töne an: Die radikal-islamische Agenda zieht offenbar bei vielen Afghanen nicht mehr. Dagegen treibt die tiefgreifende Enttäuschung mit der Regierung in Kabul und die Aktionen ausländischer Truppen die Bevölkerung viel stärker in die Arme der Taliban. Die Meldung nicht existenter militärischer Erfolge mag westlichen Beobachtern als blanke Propaganda anmuten. Afghanen, die sich mit der Auslöschung etwa einer Hochzeitsgesellschaft durch amerikanische Jagdflugzeuge konfrontiert sehen – so geschehen vor wenigen Wochen, werden die Pressearbeit des Pentagons nicht anders einschätzen.
Weiter auf einem hauptsächlich militärischen Vorgehen gegen die Taliban zu bestehen, sei vor diesem Hintergrund nicht nur nutzlos, sondern kontraproduktiv, sagt Farzana Shaikh, Associate Fellow im Asien-Programm des Chatham House in London. Überraschend sei nicht, dass die Taliban Militärschläge gegen Zivilisten propagandistisch für sich nutzen – sondern, dass der Westen die PR-Maschine der Taliban jetzt erst wahrnimmt, sagt Shaikh. Den Grund dafür sieht sie in der lange getroffenen Unterscheidung des Westens zwischen den Taliban in Afghanistan und den Unterstützern in Pakistan. Die Kampfgenossen aus Afghanistan nutzen Rückzugsgebiete in Pakistan. Doch wo die pakistanischen Taliban aufhören und die afghanischen beginnen, sei längst nicht mehr auszumachen. "Die Taliban in Pakistan sind aber schon seit Jahren online aktiv. Da ist es keine Überraschung, dass die Expertise dieser auch vor Ort so benannten 'Radio-Mullahs' über die Grenze gewandert ist", sagt Shaikh.
Bessere Kommunikation, mehr Transparenz gefordert
Der ICG-Bericht sieht die afghanische Regierung in der Pflicht, die Taliban-Propaganda zu entkräften: Hamid Karzai muss deutlicher und sichtbarer reagieren, wenn Zivilisten zu Opfern von Regierungs- oder militärischer Gewalt werden. Seine Regierung muss bestimmter gegen Korruption vorgehen und transparenter agieren. Dazu gehört auch, die Medien unbehelligt arbeiten zu lassen. Auch ausländische Regierungen sind gefordert: Diese müssten stärker als bisher die Kommunikation mit den Menschen vor Ort suchen und diese in ihre Arbeit einbinden.
Das sind notwendige Schritte, sagt Farzana Shaikh. Eine Schlüsselrolle komme aber auch der pakistanischen Regierung zu. Während Stammespolitik die Regierung in Kabul und die Dynamik der Taliban stark beeinflusse, wäre die pakistanische Regierung in einer besseren Lage, die Taliban-Strukturen im eigenen Land anzugehen – und damit auch die Taliban in Afghanistan nachhaltig zu schwächen. Ironischerweise "ist die pakistanische Führung aber ebenso handlungsunfähig. Der Grund ist ein ganz anderer: die andauernde Verfassungskrise", sagt Shaikh.
Playmates auf der Taliban-Seite
Widerstand erfährt die Taliban-Propaganda zumindest im Web und von ganz anderer Seite. Viele Betreiber von Webservern blockieren den Zugang zum Taliban-Newsportal recht zügig. Ebenso oft wechseln daher die Webadressen unter denen die Seite erreichbar ist. Mit bisweilen bizarren Auswirkungen, die möglicherweise auch durch Hacker befördert werden: Wer auf der erwähnten Webseite des "Islamischen Emirates" einen Link zu einem kritischen Beitrag über Präsident Karzai anklickt, wird umgeleitet auf eine US-Werbeseite – mit Bildern leichtbekleideter Playmates.