Die vergessene Armee
30. Januar 2006"Meine Soldaten" - so nennt Kusoom Vadgama die 2,5 Millionen Inder, die im Zweiten Weltkrieg die größte Freiwilligenarmee der Welt, die British Indian Army, bildeten. "Wenn es in Schulbüchern oder Dokumentationen um den Krieg geht, tauchen diese Soldaten so gut wie nie auf", sagt die Autorin zweier Bücher über das koloniale Indien. Seit langem setzt sich die 70-Jährige in Großbritannien dafür ein, dass sich das ändert. Nicht nur die so genannten Sepoys hätten einen wichtigen, in Nordafrika sogar entscheidenden Beitrag geleistet; die Kolonie habe die Briten zudem mit Ausrüstung beliefert.
Ein Soldat erinnert sich
"Großbritannien hat mehr als fünfzig Jahre gebraucht, um uns zu ehren", sagt auch Eustace D'Souza. Der 85-Jährige, der bis 1977 Generalmajor in der indischen Armee war, meldete sich 1942 zum Dienst. Noch zwei Tage vor seiner Verpflichtung hatte er sich nicht träumen lassen, dass er Soldat werden würde: Er hatte gerade als Jahrgangsbester sein Studium der Mikrobiologie und der Chemie abgeschlossen und sich bei der obersten Gesundheitsbehörde Britisch-Indiens beworben. "Der britische Direktor sah mich an - ich war damals ein sehr guter Sportler - und sagte: Ich werde Sie nicht für Medizin, sondern für die Armee empfehlen", erzählt D'Souza.
Im März 1944 erreichte der zum Offizier aufgestiegene 22-Jährige den Hafen Taranto in Süditalien. Weiter im Norden hatte nach der italienischen Kapitulation im September 1943 die deutsche Wehrmacht wichtige Verteidigungsstellungen übernommen. "Die Deutschen machten es uns sehr schwer, unseren Weg vom Süden in den Norden freizukämpfen", sagt D'Souza. An der quer durch das Land verlaufenden "Gustav-Linie" kam der alliierte Vormarsch Anfang 1944 zum Stehen - es gelang nicht, die deutschen Stellungen am Monte Cassino einzunehmen und durch das Liri-Tal weiter nach Rom vorzurücken. "Die ersten beiden Angriffe waren gescheitert, als wir geholt wurden." Die Aufgabe von D'Souza und seinen Kameraden war es - dies war die erste Phase des letzten, erfolgreichen Angriffs - einen Brückenkopf über den Fluss Rapido zu errichten, der durch starke Winterregen angeschwollen war. Dazu seien zwei seiner Kameraden durch den Fluss geschwommen, sagt D'Souza.
Verlustrate von 40 Prozent
Auch bei der Einnahme der Höhenstellungen hätten indische Soldaten eine wichtige Rolle gespielt, sagt Ian Sumner, unter dessen Büchern über den Weltkrieg auch eines über die Armee Britisch-Indiens ist. "Die Inder hatten die meiste Erfahrung im Gebirgskampf", sagt Sumner. Die im dritten Anglo-Afghanischen Krieg 1919 im Hindukusch erlernte Taktik, im Feuerschutz von Kameraden von einem Punkt zum nächsten vorzurücken und die Ausrüstung auf Eseln zu transportieren, hätten sie auch am Monte Cassino angewandt. Es war ein blutiger Kampf: Insgesamt starben in der vier Monate andauernden Schlacht 20.000 deutsche und 12.000 alliierte Soldaten.
Die Regierung hält sich fern
"Die Kampfkraft der indischen Soldaten übertraf nicht nur in Italien die Erwartungen", sagt Sumner. Unter den insgesamt 20 alliierten Divisionen in Italien waren drei indische mit jeweils 14.000 Mann. Im Verlauf des Krieges, so Sumner, hätten einige indische Offiziere leitende Funktionen erhalten - was freilich die Ausnahme blieb. Von den 27 indischen Bataillonen in Italien sei lediglich eines von einem Inder befehligt worden, die übrigen hätten unter britischem Kommando gestanden, sagt D'Souza, der nach dem Krieg als Teil der Besatzungsmacht nach Japan ging und seine Militärkarriere in Indien fortsetzte.
Die wichtigste Rolle habe die indische Armee jedoch in Nordafrika und in Birma gespielt, sagt der Historiker Sumner. Dies sei später nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Indien wenig beachtet worden: "Nach der Unabhängigkeit gab es in Indien eine Tendenz, die Armee als etwas anzusehen, das die Kolonialherren geschaffen hatten - und ihre Leistungen herunterzuspielen."
Späte Ehrung
"Die Soldaten sind völlig vergessen worden", sagt auch Shreela Flather, Abgeordnete des britischen Unterhauses. Vor acht Jahren hörte sie zufällig ein Interview mit Kusoom Vadgama im Radio, die beklagte, dass es noch nicht einmal ein Denkmal für die Sepoys gebe. Die Baroness rief daraufhin den "Memorial Gates Trust" ins Leben. "Wir glaubten anfangs, dass die Regierung ein so verbindendes Projekt unterstützen würde", sagt Lady Flather. Doch weder die britische noch die indische Regierung waren bereit, sich in irgendeiner Form an dem Denkmal zu beteiligen.
"Insgesamt war die Resonanz in Großbritannien aber extrem gut", sagt Lady Flather. Es gelang der Stiftung, deren Schirmherrschaft Prince Charles übernahm, innerhalb kurzer Zeit, die nötigen 2,8 Millionen Pfund für das Denkmal zu sammeln. Königin Elizabeth II kam sowohl zur Grundsteinlegung als auch zur Enthüllung im November 2002. Dass Tony Blair der Zeremonie im Hyde Park fernblieb, ärgert die konservative Abgeordnete - denn zuvor habe er ein ähnliches Denkmal für die 500.000 australischen Soldaten eingeweiht. "Aber das Mahnmal ist jetzt da und wird dort bleiben", sagt Lady Flather. "Vielleicht werden auch die britischen Geschichtsbücher irgendwann die indischen Soldaten erwähnen."