Die Waffen der Armen aus Gaza
18. Juli 2018Um das Bein des Vogels wand sich ein dünner Draht, an dessen Ende ein Behälter mit einer brennbaren Flüssigkeit hing. Der Falke hatte sich in der Nähe der Waffenstillstandslinie zwischen Gazastreifen und Israel niedergelassen, wo Inspektoren der israelischen Natur- und Parkbehörde ihn fanden - missbraucht als tierischer Brandsatz, von seinen palästinensischen Haltern dazu bestimmt, Felder des verhassten Nachbarn in Brand zu setzen.
Seit dem Frühjahr sehen sich Israelis einer neuen Strategie militanter Palästinenser aus dem Gaza-Streifen ausgesetzt. Zahllose mit Brand- oder Sprengsätzen versehene Drachen und gasgefüllte Ballons sind seitdem von palästinensischem Boden aus in den Himmel aufgestiegen, um dann vom Wind über die Grenze getragen zu werden, irgendwann herabzusinken und in der trockenen Jahreszeit einen Brand zu entfachen.
Zehn bis zwanzig Brände täglich registrieren die Israelis, über tausend sind es bislang insgesamt. Rund 2600 Hektar Land gingen nach israelischen Angaben bislang in Flammen auf, die Sachschäden gehen in die Millionen. Zudem haben die Brandsätzte eine herbe psychologische Wirkung: Die Grenzregion am Gazastreifen verzeichnet einen einschneidenden Rückgang des Tourismus.
Schüsse auf Jugendliche?
In palästinensischen Medien werden die Angriffe als erfolgreiche politische Strategie gesehen. Der kürzeste Weg, sie zu beenden, heißt es in der in Ost-Jerusalem erscheinenden Zeitung "Al-Quds", sei es, den Palästinensern ihre Rechte zuzugestehen: "das Recht auf Rückkehr und Selbstbestimmung sowie zur Gründung eines unabhängigen Staates mit Jerusalem als Hauptstadt".
In Israel diskutieren Politiker und Militärs derzeit intensiv die Frage, wie auf die Angriffe zu reagieren sei. Zwar ist es möglich, die Drachen mit Drohnen abzufangen. Doch auch andere Möglichkeiten werden erörtert. "Sie (die Palästinenser im Gazastreifen, Anm. d- Red.) werden einen Preis zahlen, ebenso, wie sie einen Preis zahlen, wenn sie Raketen abfeuern", sagte Verkehrsminister Israel Katz.
Der Generalstabschef der Israelischen Streitkräfte, Gadi Eizenkot, hingegen hält es für unangemessen, auf Kinder und Jugendliche zu zielen. Denn meist seien sie es, die die Ballons steigen ließen. Auf sie wolle er keine Angriffe starten lassen, erklärte er.
Risiken einer militärischen Antwort
Die palästinensische Zeitung "Al Quds" schrieb bereits, Angriffe des Militärs auf Jugendliche, die Drachen steigen lassen, würden sie an die Praxis des "Knochenbrechens" während der ersten Intifada erinnern. Während des 1987 ausgebrochenen Aufstands soll der damalige Verteidigungsminister Yitzchak Rabin angeordnet haben, Aufständischen "die Knochen zu brechen". Das mag metaphorisch gemeint gewesen sein, wurde von Teilen des Militärs aber wörtlich verstanden - und dementsprechend ausgeführt. Ein vergleichbar rigoroses Vorgehen wollen israelische Militärs und Politiker nicht mehr praktizieren. Auch in Israel selbst sind massive Aktionen des Militärs umstritten.
Zudem will das Militär auch den in der Nähe des Gazastreifens lebenden Bürgern einen Krieg möglichst nicht zumuten. Diese wissen, womit in einem solchen Fall zu rechnen wäre: mit heftigem Beschuss aus dem Gazastreifen, Evakuierungen, Opfern unter der Zivilbevölkerung und unter den Soldaten.
Zwischen Hochgefühl und Ohnmacht
Auch die Hamas scheut einen schweren Waffengang. Die radikalislamische Organisation ist unter weiten Teilen der im Gazastreifen lebenden Palästinenser umstritten. So dürften ihr die Angriffe mit Drachen und Ballons aus propagandistischer Sicht zwar gelegen kommen, weil sie eine - begrenzte - Macht symbolisierten, vermutet das Internet-Magazin "Al-Monitor". "Verzweifelt wie sie ist, hat Hamas die Waffen für die Schwachen gefunden", heißt es dort.
Dennoch dürfte die Hamas nach den Kriegen von 2008, 2012 und 2014 einen weiteren Waffengang gegen Israel scheuen. Denn eine nochmalige Zerstörung weiter Teile des Gazastreifens dürfte die Bevölkerung noch mehr gegen sie aufbringen.