"Die Welt isst nicht gerecht"
15. Oktober 2013"Ein Mangel an guter Ernährung in den ersten tausend Tagen bedeutet stets auch einen Mangel an Möglichkeiten im späteren Leben.“ Der Appell von Bundespräsident Joachim Gauck ist deutlich: "Mit der Würde des Menschen ist dies nicht vereinbar. Das Recht auf ausreichende Ernährung ist ein Menschenrecht." Jeweils vor der Hauptnachrichtensendung meldet sich der Bundespräsident am Sonntagabend im ersten und im zweiten Programm des deutschen Fernsehens zu Wort. Seine Rede bildet den Auftakt zur Aktionswoche. Die Deutsche Welthungerhilfe, 1962 gegründet, will mit Veranstaltungen rund um den internationalen Welternährungstag am 16. Oktober die Deutschen dazu ermuntern, gegen den Hunger in der Welt einzutreten. Seit vielen Jahren gibt es die Aktionswoche, dieses Jahr enthält das Motto ein Wortspiel und lautet "Die Welt isSt nicht gerecht".
Die Welthungerhilfe kritisiert, dass nach wie vor 842 Millionen Menschen weltweit hungern. 3,1 Millionen Kinder sterben jährlich an Mangelernährung - im Schnitt alle zehn Sekunden eins. Insgesamt sterben jedes Jahr sieben Millionen Menschen weltweit an Hunger. Darum will die Nichtregierungsorganisation den Begriff "Aktionswoche" wörtlich verstanden wissen: Die Deutschen sollen selbst aktiv werden und zum Beispiel auf Schulfesten, Benefizkonzerten oder in Unternehmen Spenden sammeln. "Jeder kann etwas tun" lautet denn auch das Credo von Bundespräsident Gauck in seiner Ansprache.
Ein bewusster Umgang mit Essen spart Ressourcen
Roman Herre von der Menschenrechtsorganisation FIAN (FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk) zeigt sich im Gespräch mit der DW vom Konzept der Woche überzeugt: "Positiv ist, wenn durch solche Aktionswochen das öffentliche Bewusstsein und die öffentliche Wahrnehmung des Themas Hunger gestärkt werden und sich eine breitere Öffentlichkeit mit diesem Skandal des Hungers auseinandersetzt." Eine falsche Rohstoffpolitik, eine Import-Export-Politik, die die Kleinbauern im globalen Süden in Abhängigkeiten drängt - all dies seien Mängel im System, die zum Hunger führten. Aber auch der Endverbraucher in Europa könne im Kleinen sein Übriges tun, um zur Lösung des Problems beizutragen, meint Herre: "Man kann sich informieren, welche Produkte wo herkommen. Und: Es geht natürlich auch um ein Konsumverhalten, das nicht so viele Ressourcen verbraucht und verschwendet."
Der Menschenrechtsexperte nennt ein Beispiel - das Fleisch. "Wir wissen ja, dass man beim Fleischkonsum sieben oder acht Mal mehr Nahrung braucht, um dann hinterher ein Stück Fleisch produziert zu haben. Das benötigt Ressourcen, zum Beispiel Futtermittelimporte." Positiv sieht Herre, dass in Deutschland immer wieder Menschen auf die Straße gehen, um für eine gerechtere Verteilung der Ressourcen zu demonstrieren - wie im Januar 2013, als in Berlin 25.000 Menschen unter dem Motto "Wir haben es satt" protestierten: "Das sind wichtige Möglichkeiten, um sich einzubringen und sich gegen den Hunger in der Welt einzusetzen."
"Mehr Geld für Afrika bedeutet nicht mehr Entwicklung"
Anderer Meinung ist der ehemalige Radio-Journalist und Mitinitiator des "Bonner Aufrufs", Kurt Gerhardt. Der "Aufruf" kritisiert die aktuelle Entwicklungshilfe der Industriestaaten und setzt sich für eine bessere Politik vor Ort ein. "Das Schicksal der Menschen entscheidet sich in Afrika und nicht auf unseren Straßen und Plätzen, wo Leute zusammenkommen und vielleicht auch Geld spenden", so Gerhardt zur DW. Die Aktionswoche der Welthungerhilfe allerdings findet er gut: "Einen kleinen Impuls gibt das immer bei Leuten, die wanken, die zwar bisher nichts geben, sich dadurch aber denken 'Ach, eigentlich könnte man ja doch mal'. Für solche Leute ist die Woche das richtige."
Wichtig ist Gerhardt, dass das gesammelte Geld auch wirklich bei den Bedürftigen, zum Beispiel in Afrika, ankommt. Das würde schließlich Leben retten. Ansonsten kritisieren Gerhardt und seine Kollegen vom "Bonner Aufruf" aber das Ziel der Vereinten Nationen, demzufolge 0,7 Prozent des nationalen Bruttoeinkommens pro Jahr für die Entwicklungshilfe aufgewendet werden sollen. "Man sollte sehr zurückhaltend sein, Afrika mit noch mehr Geld zu überschütten. Die Vorstellung, dass mehr Geld mehr Entwicklung bedeutet, ist ein sehr gefährlicher Irrtum." Stattdessen müsse vor Ort geholfen werden, ein funktionierendes Wirtschaftssystem auf die Beine zu stellen und Korruption zu bekämpfen. In dem Zusammenhang könne man zusätzliche Eigeninitiative von den Afrikanern verlangen, so Gerhardt.
"Unterstützen Sie die Welthungerhilfe" - mit dieser Bitte schließt Bundespräsident Gauck seine eindringliche Fernsehansprache. Wie sehr die Deutschen sich einsetzen, das werden die nächsten Tage zeigen: Die Aktionswoche der Welthungerhilfe geht noch bis zum 20. Oktober.